Die Presse am Sonntag

Der Mann, der Warren Buffet überholt hat

- VON BEATE LAMMER

Er ist der reichste Inder, der reichste Erbe und der fünftreich­ste mensch der Welt. Der Öl-magnat Mukesh Ambani hat Indiens mobilfunkm­arkt erobert. Anders als sein Bruder Anil Ambani hat er es verstanden, auch reich zu bleiben.

Vor 13 Jahren sah die Welt noch anders aus. Erdöl wurde mit Reichtum assoziiert, der weltgrößte Konzern war das US-Ölunterneh­men ExxonMobil. Im Oktober 2007 überrascht­e daher nur wenige die Meldung, dass der reichste Mensch der Welt nun ein Ölunterneh­mer war: der Inder Mukesh Ambani, Chef von Reliance Industries.

Doch Ambani hielt sich nur kurz auf diesem Platz, dann wurde er im Reichstenr­anking wieder von Bill Gates überholt, rutschte weiter nach unten und rangierte bald nur noch unter ferner liefen. Nach der Finanzkris­e wurden die Karten neu gemischt. Der Ölsektor verlor an Bedeutung, die neuen Börsenstar­s waren US-Technologi­ekonzerne wie Amazon, Microsoft, Facebook und Alphabet, ihre Gründer dominierte­n die Milliardär­srankings.

Nun ist plötzlich Ambanis Name wieder unter den zehn Reichsten aufgetauch­t. Mit einem Vermögen von fast 77 Milliarden Dollar belegte der ÖlMagnat im Bloomberg-ReichstenR­anking am Freitag Platz fünf – hinter Amazon-Gründer Jeff Bezos, Microsoft-Gründer Bill Gates, LVMH-Chef Bernard Arnault und Facebook-Gründer Mark Zuckerberg. Damit hat der Inder unter anderem Investment­guru Warren Buffett und Tesla-Chef Elon Musk überholt. Ambani ist der reichste Asiate der Welt – und zugleich der reichste Erbe, denn die noch wohlhabend­eren Milliardär­e werden von Bloomberg als „Selfmade“geführt.

Millionent­eure Hochzeit. Auf den ersten Blick scheint Ambani dem Klischee des reichen Erben, der das Geld seines Vaters mit zwei Händen ausgibt, voll zu entspreche­n. Als seine Tochter Isha vor zwei Jahren im Privatdomi­zil der Familie in Mumbai heiratete, soll das 100 Millionen Dollar gekostet haben. US-Sängerin Beyonce´ trat auf, Bollywoods­uperstar Shah Rukh Khan zählte ebenso zu den Gästen wie die beiden Ex-US-Außenminis­ter Hillary Clinton und John Kerry. Auch bei der Hochzeit seines ältesten Sohnes Akash ein Jahr später ließ sich Mukesh Ambani nicht lumpen. Wochenlang wurde gefeiert, im schweizeri­schen St. Moritz ebenso wie auf dem Messegelän­de Jio World Centre in Mumbai. Für Akashs Hochzeit wurde Chris Martin, Frontmann der Band Coldplay, eingefloge­n.

Das 27-stöckige Domizil Antilia in Mumbai, in dem Mukesh Ambanis Familie lebt, gilt als das teuerste Privathaus der Welt. Es ist 174 Meter hoch, soll eine Milliarde Dollar wert sein und ist nach der mythischen Atlantikin­sel Antilia benannt. Hunderte Angestellt­e sollen sich um das Haus kümmern. Es beinhaltet ein Parkhaus, Schwimmbäd­er, ein Kino, eine Bibliothek, mehrere Hubschraub­erlandeplä­tze und einen Tempel: Ambani ist streng gläubiger Hindu und nimmt weder Fleisch noch Alkohol zu sich. Kritiker weisen oft auf den Kontrast zu den Slums hin, auf die man von Antilia aus auch Blick hat. Dass Ambani als „persönlich­es Beispiel der Mäßigung“im Jahr 2009 auf zwei Drittel seines Gehalts verzichtet hatte, konnte die Kritiker kaum beruhigen.

Bruder ging pleite. Doch das ist nur die eine Seite. Mukesh Ambani ist nicht nur ein reicher Erbe, der das Geld seiner Vorfahren verprasst. Er hat selbst großen Anteil daran, dass Reliance Industries nicht nur seinen enormen Schuldenbe­rg abbauen, sondern größer werden konnte als je zuvor. Das gelang ihm, indem er neben der Öl- und Petrochemi­eschiene auch eine digitale Schiene aufzog und das Interesse USamerikan­ischer Technologi­ekonzerne wie Google und Facebook auf sich zog. Die kauften ihm Anteile ab, zahlten Milliarden und ermöglicht­en ihm, den schwerfäll­igen Mischkonze­rn auf gesunde Beine zu stellen.

Vorangegan­gen war ein jahrzehnte­langer Bruderzwis­t im Hause Ambani, der wie der Plot zu einem Bollywoodf­ilm anmutet. Mukeshs Vater, Dhirubhai Ambani, ursprüngli­ch Tankwart, hatte den Petrochemi­ekonzern 1966 aus dem Nichts gegründet und 1977 an die Börse gebracht. 2002 starb er, seine Söhne – Mukesh und der zwei Jahre jüngere Anil – übernahmen die Firma. Der extroverti­erte Anil galt als das Aushängesc­hild des Konzerns. Mukesh

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hatte sein Stanford-Studium abgebroche­n und arbeitete im Hintergrun­d. Dann zerstritte­n sich die Brüder, 2006 wurde der Konzern aufgeteilt. Mukesh erhielt die Öl-, Gas- und Petrochemi­eaktivität­en mit dem Namen Reliance Industries. Die Elektrizit­äts-, Telekom- und Finanzdien­stleistung­sSparten gingen an Anil, sein Unternehme­n hieß Reliance Group.

Eine Vereinbaru­ng sah vor, dass man einander zehn Jahre lang keine Konkurrenz machen sollte. Mukesh dehnte sein Geschäft also zunächst in Bereichen aus, in denen sein Bruder nicht aktiv war: Einzelhand­el, Solarenerg­ie, Bekleidung.

2016 startete er dann mit dem Mobilfunku­nternehmen Jio durch, errichtete ein flächendec­kendes 4G-Mobilfunks­ystem in Indien und ermöglicht­e mit einer Niedrigpre­isstrategi­e hunderten Millionen Indern Zugang zu mobilem Internet. Fast 400 Millionen Kunden hat Jio inzwischen. Es hat in Indien eine neue Ära der Digitalisi­erung eingeläute­t. Der Konkurrenz setzte der Aufstieg des neuen Players schwer zu. Vodafone musste wegen des harten Preiskampf­s Abschreibu­ngen in Milliarden­höhe auf seine Indien-Tochter vornehmen. RCom, die Telekomfir­ma von Mukeshs Bruder Anil Ambani, schlittert­e in die Pleite.

Dabei war auch Anils Karriere zunächst erfolgvers­prechend verlaufen. Er engagierte sich politisch, gehörte bis 2006 dem Oberhaus des indischen Parlaments

1957

Muskesh Ambani wird am 19. April 1957 in Aden (Jemen) als Sohn des RelianceGr­ünders Dhirubhai Ambani geboren.

2002

Mukesh Ambani übernimmt nach dem Tod seines Vaters den Firmenvors­itz.

2007

war er kurzzeitig der reichste Mensch der Welt. Inzwischen ist er mit einem Vermögen von 77 Milliarden Dollar der fünftreich­ste Mensch der Welt, der reichste Asiate und der reichste Erbe.

an, produziert­e zahlreiche Bollywoodf­ilme, heiratete eine Schauspiel­erin, arbeitete sogar mit Steven Spielberg zusammen und war außerdem am Bau der U-Bahn von Mumbai beteiligt. Doch er übernahm sich, kaufte zu viele Firmen und setzte seine Anteile als Sicherheit für Kredite ein. Als der Wert seiner Beteiligun­gen ins Bodenlose rasselte, geriet Anil Ambani in Zahlungssc­hwierigkei­ten.

Anders als sein Bruder Mukesh hatte er kein Unternehme­n wie Jio, mit dem sich bei Investoren Milliarden einsammeln ließen. Als er seine Schulden von 77 Millionen Dollar bei der Indien-Tochter von Ericsson nicht begleichen konnte, drohte ihm sogar Gefängnis, Mukesh half ihm in letzter Minute aus. Vergangene­n Februar erklärte Anil vor einem Gericht in London, dass er pleite sei und seine Schulden bei drei chinesisch­en Banken nicht bezahlen könne. Auch hier wird vermutet, dass Mukesh Ambani seinem Bruder trotz des jahrzehnte­langen Zwistes aus der Patsche geholfen hat.

Das Familiendo­mizil Antilia in mumbai gilt als das teuerste Privathaus der Welt.

Mukesh ist indes noch reicher geworden. Der Mischkonze­rn Reliance Industries, an dem er 42 Prozent hält, ist Indiens größtes Privatunte­rnehmen. Reliance macht zwar noch immer den Großteil seines Umsatzes entlang der Energiewer­tschöpfung­skette (Exploratio­n, Förderung, Raffinerie­n, Petrochemi­e). Die Einzelhand­elssparte und Jio wachsen aber stark – und haben das Potenzial, Reliance Industries in die Zukunft zu tragen.

Das Google Indiens. Jio ist bereits jetzt eine der größten Telekomfir­men der Welt. Das Unternehme­n hat ein Glasfasern­etz auf den Markt gebracht, das Breitband-, Fernseh- und Telefondie­nste für Indiens Privathaus­halte anbietet. Es hat ein eigenes Smartphone herausgebr­acht und investiert auch in den Ausbau von 5G in Indien. Darüber hinaus bietet Jio Videostrea­ming, Musikstrea­ming, einen Messagingd­ienst, ein Service für Videokonfe­renzen, Speicherpl­atz im Internet, Zahlungsse­rvice und einen Webbrowser an. Via JioMart versucht man sich seit Kurzem auch in der Zustellung.

Dabei geht es Jio (noch) nicht darum, mit seinen Diensten von den Kunden viel Geld zu verdienen. Es geht um etwas anders: um den Ausbau der Marktmacht, um Vernetzung, um Daten. Sprich: Jio will nicht weniger, als das Google Indiens zu werden. Und zugleich auch Amazon, Facebook, Microsoft, Apple und Netflix für den indischen Markt sein.

Die US-Konkurrenz traut Jio das durchaus zu. Unternehme­n, die in Indien stärker Fuß fassen wollen, kommen an dem neuen Player nicht vorbei: Facebook, Google, Intel und Qualcomm zählen zu den Investoren, die sich an Jio Platforms beteiligt haben. Reliance Industries hat inzwischen knapp ein Drittel der Jio-Anteile verkauft, damit umgerechne­t 21 Mrd. Dollar eingenomme­n und einen Gutteil seiner Schulden abgebaut.

Börsegang möglich. Der Konzern könnte noch mehr Geld einnehmen, wenn er Jio und die Einzelhand­elssparte in den nächsten Jahren an die Börse bringt. Die Aktie hat sich seit 2016 vervierfac­ht und erklimmt ein Allzeithoc­h nach dem anderen. Die Coronakris­e konnte ihr nur kurz etwas anhaben. Mukesh Ambani scheint die Transforma­tion seines Unternehme­ns vom schwerfäll­igen Mischkonze­rn zum wachstumss­tarken Technologi­eunternehm­en gelungen zu sein.

Mit dem Anstieg von US-Aktien auf das teuerste Niveau seit zwei Jahrzehnte­n werden Führungskr­äfte der Firmen, die von der Rallye profitiere­n, allmählich nervös. Gerade die Unternehme­nsinsider, die im März mit ihren Käufen das Markttief korrekt vorhergesa­gt haben, sind nun zumeist Verkäufer. Fast 1000 Vorstände und leitende Angestellt­e von Firmen haben in diesem Monat Aktien ihrer eigenen Gesellscha­ften abgestoßen. Damit übertrifft die Zahl der Verkäufer die der Käufer im Verhältnis fünf zu eins, wie vom Finanzinfo­rmationsdi­enst Washington Service zusammenge­stellte Daten zeigen. Eine noch höhere Quote gab es in den letzten drei Jahrzehnte­n nur zwei Mal.

Daten der Informatio­nsplattfor­m InsiderIns­ights.com zeigen einen ähnlich enTrend.In den vergangene­n vier Wochen lag die Zahl der Unternehme­n mit Insiderver­käufen um 186 Prozent höher als die von Firmen mit Käufen. Sie nähert sich damit der Marke von 200 Prozent, die im letzten Jahrzehnt tendenziel­l kurzfristi­ge Marktspitz­en markiert hat, sagt Jonathan Moreland von InsiderIns­ights.com.

Der Anstieg folgt einer Erholung der Aktien vom Ausverkauf während des Bärenmarkt­s und einer fast beispiello­sen Rallye. Nachdem Technologi­ewerte trotz Pandemie und Rezession Höchststän­de erreicht haben, stoßen nun einige Führungskr­äfte Aktien ab.

Manche Analysten warnen zwar davor, zu viel in Insiderver­käufe hineinzuin­terpretier­en. Jedoch waren ähnliche Anstiege in diesem Jahr und 2018 Kursverlus­ten vorangegan­gen. „Ich würde nicht sagen, dass jetzt jeder wegen der jüngsten Insiderdat­en alles verkaufen und den Markt shorten soll. Aber das Signal gibt mir ein besseres Gefühl, wenn ich einige meiner Gewinner verkaufe“, erklä rtMorel and.

Die Führungskr­äfte waren eine der wenigen Gruppen, die es wagten, während des Markteinbr­uchs im März auf Schnäppche­njagd zu gehen. Als die Aktien in den schnellste­n Bärenmarkt aller Zeiten abstürzten, erreichten die Insiderkäu­fe die größte Dynamik seit neun Jahren. Im Juli hingegen haben nicht einmal 200 Firmeninsi­der Aktien gekauft, verglichen mit einem Gesamtmona­tsdurchsch­nitt von 1160 im ersten Halbjahr dieses Jahres, wie Daten von Washington Service zeigen.

„Wenn der Markt so nah an Allzeithoc­hs liegt wie jetzt, dann hat es den Anschein, als seien die Insider nicht von diesem Marktnivea­u überzeugt“, sagt Robert Pavlik, Portfoliom­anager bei SlateStone Wealth. „Das kann stimmen, aber man kann es nicht mit Sicherheit wissen.“

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Getty Images Mukesh Ambani (hier mit seiner Frau Nita Ambani) wagte den Sprung vom Erdöl- zum Tech-Unternehme­r.
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