Zeitreise mit dem Auto: Brave neue Welt
Als man Anfang der 1980er für „Zurück in die Zukunft“nach einem glaubwürdigen Auto suchte, das Doc Brown als Vehikel für Zeitreisen dienen könnte, wurde man schnell fündig: Der DeLorean DMC-12, zum Zeitpunkt der Dreharbeiten relativ unbekannt, war für futuristische Belange wie geschaffen. Jedenfalls äußerlich.
Vom italienischen Design-Maestro Giorgio Giugiaro auf dem Höhepunkt der Begeisterung für scharfe Kanten und plane Oberflächen entworfen, mit Paneelen aus Edelstahl beplankt – und zum Einsteigen ließ man Flügeltüren hochfahren: das geborene Filmauto.
Von irgendeiner Zukunft war der DeLorean aber weit entfernt, und selbst hatte er auch keine gehabt: Nach nur zwei Jahren, Ende 1982, war die Produktion eingestellt worden. Ein müder Sechszylinder trieb ihn an – Mini-Kernreaktoren wie Doc Browns Fluxkompensator gehörten ja nicht zur Serienausstattung –, die Instrumente waren enttäuschend analog, und an den überschweren Flügeltüren schlug man sich schnell den Kopf an.
Wie das Auto der Zukunft, zumindest dreieinhalb Jahrzehnte später, tatsächlich aussehen würde, das ließ sich indes auf der Tokyo Motorshow 1983 inspizieren. Doch jener Nissan NRV-2, der dort ausgestellt war, wurde von den meisten übersehen.
Fabulös. Mit ihm als automobilen Hauptdarsteller wäre die „Zurück in die Zukunft“-Trilogie vermutlich auch gefloppt. Zu unscheinbar sein Äußeres, dem Blechkleid nach ein Nissan Sunny, eine schon damals nicht wahnsinnig aufregende Stufenhecklimousine der Mittelklasse. Zu fantastisch, zu fabulös im Gegensatz dazu die vielen Dinge, die das Auto beherrschen sollte. Und das mit manuellen Fensterkurbeln! Selbst die Vertreter der Fachpresse hielten es mehrheitlich so: Kopfschütteln, weitergehen.
Doch als Showcar war der Nissan NRV-2 auch nie vorgesehen. Es war nicht einmal geplant, ihn bei der Automesse auszustellen; als man sich doch dazu entschied, bekam er die hinterste Ecke des Messestands zugewiesen. Die vielen spektakulären Blickfänger, typisch für die Tokioter Autoshow und selbstredend auch mit einem Nissan darunter, vergrößerten noch den Schatten, in dem er stand. Und doch war es das Auto, in dem man eine echte Zeitreise antreten konnte. Auch wenn die vielleicht weniger aufregend ausfallen würde als erwartet.
Demo mit Sprühflasche. NRV steht für Nissan Research Vehicle, und genau das war der unscheinbare Viertürer: eine rollende Forschungsstation, konzipiert für einen Fachkongress von Ingenieuren für Ingenieure, vielleicht auch für fantasieschwache Entscheidungsträger. In Zusammenarbeit mit mehreren Zulieferern packte man erstmals alles, was als Zukunftstechnologie erachtet wurde, in ein Auto, um alle Komponenten zusammen anschaulich auf die Straße zu bringen.
Von einem Serieneinsatz war das allermeiste noch weit entfernt. Doch im Gegensatz zu vielen Show-Autos funktionierten alle Features, was den Nissan vermutlich zum teuersten Auto der ganzen Ausstellung machte.
Wo beginnen? Im TV-Beitrag eines australischen Senders (eines der wenigen Medien, die das Thema damals aufgriffen, zu sehen auf YouTube) lässt sich der Moderator eine Sprühflasche reichen – ein Spritzer Wasser auf die Windschutzscheibe, und die Scheibenwischer legen los; umso schneller, je mehr Wasser gesprüht wird. Mit Sensoren ausgestattet sind auch die Scheinwerfer – auf dass Licht werde, sobald es dämmert.
Navi ohne GPS. Licht- und Regensensor gehören heute zum fixen Inventar. Vielfach auch der automatische Abstandshalter – wie jener des fast 40 Jahre alten Nissan. Zwei an der Front versteckte Mittelwellen-Radare messen den Abstand zum Vordermann und schlagen Alarm, wenn es kritisch wird, zuerst als Lichtzeichen, dann akustisch, schließlich folgt ein Bremsmanöver. Dies in einer Zeit, als ABS noch Aufpreisposten in der Luxusklasse war.
Doch nicht nur der Blockierschutz beim Bremsen, sogar ein Vorläufer des ESP ist an Bord des Nissan. Einzelne
Räder werden abgebremst, sobald ihre Geschwindigkeit von der des Fahrzeugs abweicht.
Auch unsere Welt voller Bildschirme wurde vorweggenommen. Der NRV-2 hat ein digitales, kunterbunt leuchtendes Cockpit und ein Bordsystem mit Navigation. Und Touchscreen.
Weil GPS noch der militärischen Nutzung vorbehalten war, musste man den eigenen Standort über die Karte eingeben. Popelige Bildschirmarbeit? Mitnichten, ein Knopf auf dem Lenkrad aktivierte die Spracheingabe, mit der sich auch das Navi bedienen ließ. Über 26 Kommandos, die einzusprechen waren, lernte das System die Stimme seines Nutzers.
30 Computer soll Nissan in dem Auto verbaut haben, um die benötigte Rechenleistung zu erbringen – die Hardware wäre im Kofferraum untergebracht, mutmaßt unser australischer Moderator. Er habe nicht hineinschauen dürfen. Die Idee der feststehenden
2015 würden Autos doch sicher fliegen können! Doch das war Fiction, ohne Science.
Von den meisten übersehen: Technologieträger im biederen Kleid.