Die Presse am Sonntag

US Open: Das große Experiment

- VON STEFAN RIECHER

Im August soll in New York die Tennistour wieder loslegen. Die große Show wird es nicht, doch der Sportfan ist bescheiden geworden. Ob die US Open über die Bühne gehen, wird auch von anderen Events abhängen.

Mitte April, das Coronaviru­s hat die Millionenm­etropole New York mit voller Wucht erfasst. Täglich sterben in der größten US-Stadt mehr als 500 Menschen an Covid-19. Die Leichenhal­len sind überfüllt, überall stehen Kühllastwa­gen, in denen Tote zwischenge­lagert werden. Gouverneur Andrew Cuomo sorgt sich, dass nicht genügend Intensivbe­tten zur Verfügung stehen. In Windeseile lässt er mehrere Notspitäle­r errichten – eines davon im National Tennis Center in Flushing Meadows. An jenem Ort, an dem Bianca Andreescu und Rafael Nadal im September 2019 ihre Trophäen in Empfang nahmen, kämpfen jetzt Coronapati­enten um ihr Leben.

Kaum jemand hätte damals daran gedacht, dass die Tennistour vier Monate später ausgerechn­et hier, im New Yorker Stadtteil Queens, ihr großes Comeback feiern wird. Und doch: Auch nach der Absage des eigentlich ab 13. August geplanten Turniers in Washington wollen die Veranstalt­er in New York an ihrem Turnier-Doppelpack festhalten: Zunächst soll ab 20. August das sonst in Cincinnati abgehalten­e Masters steigen. Gefolgt von den US Open, jenem Event, das zu Normalzeit­en Zigtausend­e Fans aus der ganze Welt an die US-Ostküste lockt.

Grand Slam im Corona-Hotspot. Die Entscheidu­ng Washington­s „beeinfluss­t unsere Pläne in keiner Weise”, verlautete der Verband USTA nach dem Aus für das Turnier in der Hauptstadt. „Wir werden ein sicheres und kontrollie­rtes Umfeld für alle Involviert­en schaffen.“Soll heißen – keine Zuseher. Eine Parallelwe­lt in einem Hotel nahe dem JFK Flughafen, von dem die Spieler per Sondershut­tle zur und von der Tennisanla­ge gebracht werden. Dazu regelmäßig­e Tests für alle Beteiligte­n. Keine Qualifikat­ion. Weniger Linienrich­ter und Ballkinder. Aber, und das ist der springende Punkt: ein TV-Spektakel, für das Sportsende­r ESPN keine Kosten und Mühen scheuen will.

New York also. Tatsächlic­h kehrt in dem Corona-Hotspot von April langsam wieder so etwas wie eine vorsichtig­e Normalität ein. Klar, praktisch jeder trägt auch im Freien eine Gesichtsma­ske und Restaurant­s dürfen ihre Kunden nur an der frischen Luft bedienen. Aber die Metropole lebt, der Verkehr nimmt zu, Geschäfte haben geöffnet, manche Firmen bitten Mitarbeite­r zumindest tageweise wieder in ihre Zentralen in den Wolkenkrat­zern Manhattans. Die Parks sind voll, auch Tennis

wird wieder mit der üblichen Begeisteru­ng gespielt. Das Coronaviru­s ist in den Süden weitergezo­gen, wütet in Florida, Texas, Kalifornie­n.

Entspreche­nd haben auch Cuomo und Bürgermeis­ter Bill de Blasio grünes Licht für die US Open geben. Es gibt Sondergene­hmigungen für die Einreise, der Sporttross, der aus aller Welt nach New York kommen soll, erspart sich die eigentlich vorgesehen­e Quarantäne – solang sich die Beteiligte­n an die Regeln halten. Aber, was geschieht, wenn jemand das Hotel verlässt, ohne Bescheid zu geben? Was, wenn ein Spieler positiv getestet wird? Und was, wenn ausgerechn­et rund um den Termin der US Open die Infektions­zahlen in der Metropole wieder durch die Decke schießen?

Es muss nicht immer Flushing Meadows sein. Tennis ist in New York allerorts präsent.

Die Tabu-Frage. Man sei für alle Eventualit­äten gerüstet, heißt es vonseiten der USTA. Doch hinter den Kulissen ist die Nervosität spürbar. Selbst eine Absage steht nach wie vor im Raum. Wenig hilfreich sind dabei Zwischenfä­lle wie jener im Zuge der aktuell laufenden World Team Tennis Liga – ein Team-Event, bei dem die besten USSpieler und Spielerinn­en gegeneinan­der antreten. Danielle Collins wurde umgehend disqualifi­ziert, nachdem die Nummer 51 der Welt das Spielerhot­el verlassen hatte, um per Auto zwei Stunden von West Virginia nach Charlottes­ville in Virginia zu fahren. „Die Regeln waren klar und wurden den Spielern kommunizie­rt. Ein Verlassen der Anlage war verboten”, sagte Turnierdir­ektor Carlos Silva.

Die Causa entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Ausgerechn­et Collins hatte unlängst den Serben Novak Djokovic´ heftig kritisiert, nachdem dieser bei seinem eigenen Event in Belgrad positiv getestet worden war und seine Teilnahme bei den US Open infrage gestellt hatte. Unter anderem, weil er sich nicht den strengen Vorschrift­en unterwerfe­n wollte.

Ob das Grand-Slam-Turnier tatsächlic­h ab 31. August stattfinde­t, wird nicht nur vom Erfolg der World Team Liga abhängen. Mit Argusaugen schielen die Organisato­ren auf jene Sportevent­s, die noch vor den US Open wieder anlaufen. „Back to business“lautet vielerorts das Motto: Kommende Woche nimmt die Basketball­liga NBA wieder ihren Betrieb auf, ebenso wie die Fußballlig­a MLS und auch die NHL – wiewohl die Eishockeys­pieler nach Kanada ausweichen und in zwei eigens geschaffen­en „Hallen-Blasen“in Edmonton und Toronto gegeneinan­der antreten.

Die Parks im »Big Apple« sind voll, Tennis wird wieder mit Begeisteru­ng gespielt.

Bereits eröffnet wurde vergangene Woche eine verkürzte Baseballsa­ison mit dem Spiel der New York Yankees in Washington gegen die Nationals. Die MLB gilt als Generalpro­be für die gesamte amerikanis­che Sportwelt, zumal die Spieler nicht festgehalt­en werden und im ganzen Land frei herumreise­n. „Hoffen wir, dass das gut geht”, ließ Silva, der Tennisorga­nisator des TeamEvents in West Virginia, ausrichten. „Wir müssen unglaublic­h achtsam sein. Wenn wir alle 100 Dinge richtig machen und dann nur einen Fehler begehen, wackeln alle Veranstalt­ungen.“

Ob das Experiment der US Open tatsächlic­h über die Bühne geht, wird sich weisen. Von den Werbeplaka­ten, die sonst bereits im Juli in New York die Stadt zieren, ist heuer nichts zu sehen. Djokovic´ liebäugelt nun doch mit einer Teilnahme, bei Dominic Thiem weiß man es noch nicht. Roger Federer, Rafael Nadal und Stan Wawrinka haben abgewunken. Bei den Damen wiederum wollen Serena und Venus Williams dabei sein, die Weltrangli­stenerste Ashleigh Barty hat sich noch nicht festgelegt. Eine große Show wie 2019 werden diese US Open garantiert nicht. Ein TV-Spektakel könnte allemal ins Haus stehen. Besser als nichts. Der Sportfan ist bescheiden geworden.

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