Ägyptens |MeToo-Moment
Lang war das Thema sexuelle Belästigung ein Tabu. Doch jetzt wollen Ägyptens Frauen schweigen. Auslöser sind die schockierenden Taten eines 21-Jährigen. »Schülerinnen sprechen nun über sexuelle Belästigungen durch die Lehrer.«
Es ist eine wahre Lawine, die die Instagram-Seite ausgelöst hat: Mehr als 150 Frauen haben inzwischen darauf zum Teil detailliertes Zeugnis darüber abgelegt, wie sie von Ahmad Zaki sexuell angegriffen, manchmal vergewaltigt und oft durch Erpresseranrufe zu sexuellen Handlungen genötigt wurden. Sein jüngstes mutmaßliches Opfer ist 14 Jahre alt. Viele der Aussagen wurden auf der Instagram-Seite mit beigefügten Text-Messages und Audiobotschaften belegt, in denen der 21-jährige Student ankündigt, alles den Familien oder Freunden zu erzählen. Oft droht Zaki mit seinem Vater, der angeblich beim ägyptischen Geheimdienst arbeitet. Einmal mit den Worten: „Wir besitzen den Boden, auf dem du gehst“.
Ägypten ist ein Land, in dem sexuelle Belästigung für viele Frauen zur Tagesordnung gehört und sexuelle Gewalt selten vor Gericht endet. Viele Frauen schämen sich, über ihre Erfahrungen zu sprechen. Doch seit Anfang des Monats erlebt das Land am Nil seinen „|MeToo-Moment“: Der Fall Ahmad Zaki hat eine landesweite Debatte über sexuelle Gewalt ausgelöst.
„Das ist ein wichtiger Moment.“Inzwischen ist 21-Jährige festgenommen worden. In einer ersten Erklärung sagte die Staatsanwaltschaft, er sei zunächst im Fall von drei Vergewaltigungsversuchen angeklagt, darunter einer Minderjährigen. Zudem ermutigt sie weitere Betroffene, Anzeige zu erstatten. Dem Parlament liegt ein „Lex Zaki“Gesetzesentwurf vor, laut dem Frauen bei Verfahren gegen sexuelle Gewalt Anonymität zugestanden werden soll.
„Dies ist ein wichtiger Moment“, glaubt Lobna Darwish, die bei der ägyptischen Menschenrechtsorganisation EIPR die Verletzung ägyptischer Frauenrechte dokumentiert. Es sei in den vergangenen Jahren immer hier und da in Ägypten über sexuelle Belästigung und sexuelle Gewalt geredet worden. „Aber dieser Fall sticht wegen der schieren Menge der Opfer heraus und hinterlässt eine Gesellschaft im Schock, die nun zuhört“, sagt sie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.
Dass der Fall eine solche Fahrt aufgenommen hat, liegt wahrscheinlich auch daran, dass die Opfer aus der Oberschicht kommen. Zaki studierte und trieb sein Unwesen an den renommiertesten Schulen und Universitäten des Landes, zunächst bei der American International School, einer der teuersten Privatschulen Ägyptens, dann an der American University Cairo. Vergangenes Jahr wechselte er an die EU Business School in Barcelona, wo er inzwischen suspendiert ist. In Spanien droht ich ihm auch ein Strafverfahren. Anwälte der Universität machten inzwischen eine 54-seitige Anzeige bei der spanischen Polizei wegen sexueller Angriffe auf dortige Mitstudentinnen.
Aber die Causa hat weit über die ägyptische Oberschicht hinaus für einen Durchbruch gesorgt. „Ich sehe, wie viel da gerade passiert. Inspiriert vom Fall Zaki gehen Frauen auch in anderen Fällen an die Öffentlichkeit, sagen gegen ihre Professoren an den Universitäten aus. Schülerinnen berichten über sexuelle Belästigungen durch die Lehrer“, erzählt Darwish. Zudem wurde ein Priester der koptischen Kirche in der Diözese im südägyptischen Minja wegen sexuellen Missbrauchs seines Amtes enthoben.
Auch die islamische al-Azhar-Universität, eine der wichtigsten Rechtsautoritäten im sunnitischen Islam, und der Mufti des Landes stellten sich nun hinter die Opfer und ermutigten sie, Anzeige zu erstatten. „Stillschweigen und in die andere Richtung zu schauen bedrohen die Sicherheit der Gesellschaft und ermutigen zu weiteren Verbrechen“, heißt es in einer Erklärung der al-Azhar, die weiter ausführt: „Wie die Frauen angezogen sind, ist niemals eine Rechtfertigung dafür, ihre Privatsphäre, ihre Freiheit und ihre Würde anzugreifen.“Sie stellt damit klar: Die Opfer tragen keine Mitschuld.
Belästigung auf der Straße. Die Betroffenen von sexueller Gewalt zu Mittätern zu stilisieren ist in Ägypten nämlich weitverbreitet. Viele vergewaltigte Frauen behalten für sich, was geschehen ist, aus Angst um ihren Ruf und den ihrer Familie. Und auch unter dieser Schwelle von Gewalt ist Belästigung auf der Straße und in den öffentlichen Verkehrsmitteln eine Erfahrung, die jede ägyptische Frau macht: Bei einer Umfrage von UN-Women 2013 hatten 99,3 Prozent aller befragten Frauen angegeben, das erlebt zu haben. Acht von zehn befragten Frauen fühlten sich deswegen auf der Straße unsicher.
„Die Gewalt und Belästigungen hören nicht auf, aber in den vergangenen Jahren hat sich doch viel getan“, sagt die Frauenrechtlerin Darwish. „Als wir vor 15 Jahren das erste Mal den Begriff sexuelle Belästigung benutzt hatten, wurde das auf der Straße weder verstanden noch akzeptiert. Es wurde als Flirten abgetan. Heute weiß jeder, was sexuelle Belästigung ist.“
Eine Herausforderung sei nun, die durch den Fall Zaki aufgebrochene Diskussion für die gesamte Gesellschaft zu nutzen. Denn in den unterschiedlichen sozialen Klassen werde oft mit zweierlei Standards gemessen. In den Armenvierteln Kairos versuchen junge Frauen über soziale Medien wie TikTok oder Instagram mit Gesang,