Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Schauen wir einmal. Manch populäre CoronaErkenntnisse sind voreilig. Etwa, dass wir nun erkennen, doch nicht die Krone der Schöpfung, ja nicht einmal marktwirtschaftsfähig zu sein.
Philipp Blom ist immer anregend. Ein soeben in der „NZZ“erschienener Essay des in Wien lebenden Schriftstellers regt zum Widerspruch an. Blom vertritt dort zwei populäre Behauptungen zur Coronakrise, die beide möglicherweise falsch, sicher aber verfrüht sind: Zwei „kollektive Fiktionen“hätten sich als brüchig erwiesen, und zwar der „liberale Traum von Wachstum und Fortschritt“– weil die Lockdowns gezeigt hätten, dass es auch anders geht – und zweitens die jahrtausendealte Grundlage dieses Traums, nämlich die Idee der „Erhabenheit des Menschen über den Rest der Natur“.
Die erste Aussage erinnert an die Geschichte des Mannes, der vom Hochhausdach gefallen ist und sich denkt: „Das ist ja gar nicht so schlimm!“, während er am 5. Stock vorbeifliegt. Die Bewältigung des durch die Lockdowns ausgelösten ökonomischen Erdbebens hat ja noch gar nicht richtig begonnen. Das dicke Ende mit Insolvenzwelle und hoher Arbeitslosigkeit, Steuererhöhungen, Sparprogrammen und/oder Inflation kommt erst. Viele werden ihre Lebensgrundlagen neu aufbauen müssen. Ich halte es daher für wenig wahrscheinlich, dass die im frühlingslinden Homeoffice aufgeblühte Idee der Mach- und Wünschbarkeit einer gebremsten Volkswirtschaft attraktiv bleibt. Wenn uns unser Wohlstand, unser Sozialsystem und damit unsere politische Stabilität nicht um die Ohren fliegen sollen, brauchen wir die Marktwirtschaft. Wir können sie verbessern, nicht aber ersetzen.
Aber beweist dann nicht gerade dieses Ausmaß der Katastrophe, dass der Mensch viel mehr der Natur unterworfen ist, als er geglaubt hat, und dass, „eskalierende Eingriffe eskalierende Konsequenzen“haben? Ich sehe den Anhaltspunkt nicht, den uns das Coronavirus liefern könnte. Mit Epidemien hat uns die Natur immer schon und jedes Mal eine lange Nase gezeigt – bis zum Gegenmittel. Ist dieses Mal etwas anders? Anders als etwa bei der Hongkong-Grippe vor 50 Jahren mit bis zu vier Millionen Toten (in Deutschland 40.000), die heute vergessen ist? Die globale Vernetzung? Sie beschleunigt die Ausbreitung – begünstigt aber auch die Eindämmung, da sie die Forschung schneller zu Ergebnissen bringt und Impfstoffe und Medikamente rascher global verfügbar (und dank des Kapitalismus auch finanzierbar) macht.
Warten wir lieber noch mit unseren Erkenntnissen. Es ist gut, eine Katastrophe zu nützen, indem man aus ihr lernt. Sie in Dienst zu nehmen für die Urteile, die man eh schon längst über den Menschen und sein Tun gefällt hat, ist aber – selbst wenn es schlüssig wäre – nur sehr bedingt ein Lernprozess.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.