»Ich führe einen inneren Kampf. Jedes Mal.«
Asmik Grigorian: Danke, dass wir das Interview nach hinten verschieben konnten. So konnte ich noch ein wenig bei meiner kleinen Tochter sein.
Die „Presse am Sonntag“: Gern. Bei Ihrem Arbeitspensum brauchen Sie sicher ein ganzes Babysitter-Team.
Ja, das habe ich auch. Nur wenn ich ohnehin den ganzen Tag arbeite, bin ich um jede Stunde froh, die ich mit meiner Tochter verbringen kann.
Begleitet Sie Ihre Tochter zur jeder Produktion?
Das tut sie, immer. Selbst wenn ich viel zu tun habe, kann ich so jede Nacht bei ihr verbringen und mit ihr frühstücken. Das gibt mir inneren Frieden.
Noch sechs Tage bis zur Premiere von „Elektra“
Wie ist Ihr emotionaler
Status quo?
Ich bin extrem froh, dass dieses Festival stattfindet. Es ist für uns Künstler, für die ganze Welt so wichtig. Wir brauchen die Zuschauer, die Oper kann sich nicht ins Internet verlagern. Wenn wir in Supermärkte und Gaststätten gehen und mit dem Flugzeug fliegen, kann man auch Theater und die Opernhäuser öffnen. Dafür kämpfen wir und hier können wir zeigen, dass es auch funktioniert.
Die Chrysothemis ist hier in Salzburg Ihre erste Rolle nach der legendären Salome. Gelingt es Ihnen, halbwegs unbelastet an die Arbeit heranzugehen?
Nein. Ich kämpfe mit vielen Ängsten. So bin ich einfach. Ich bin immer damit beschäftigt, Wege zu finden, noch besser und besser zu werden.
Ihre Salome-Interpretation hat Sie schlagartig zum Superstar der Opernwelt gemacht. Können Sie das verstehen? Sie haben ja auch schon davor einiges hingelegt. Es hat einfach alles perfekt zusammengespielt: Salzburg, die Rolle, aus der man so viel machen kann, das Team, der goldene Bühnenboden – er brachte uns Glück . . . Und alles hat seine Zeit. Dinge passieren, wenn sie passieren sollen. Das heißt aber nicht, dass all das, was ich zuvor gemacht habe, nicht wichtig war. Es war diese Reise, die mich zu diesem großen Ereignis geführt hat.
Erwartet haben Sie es aber nicht.
Nein. Ich erwarte nie, dass ich etwas Großes mache. Ich genieße alles, was ich tue. Und ich gebe immer das absolute Maximum – und dann vertraue ich darauf, dass kommt, was kommen soll.
Wie gut etwas gelingt, hängt allerdings nicht nur von Ihnen ab.
Das stimmt. Ich arbeite sehr gern im Team. (Pause) Ich habe so viele großartige Menschen um mich, die mich unterstützen, meine Coaches, meine Ärzte, meine Sprachlehrerin, Freunde, Familie.
Apropos Sprachcoach: Wir sprechen gerade Englisch. Ist es für Sie schwierig, Rollen auf Deutsch einzustudieren?
Diese zu lernen ist nicht das Problem, darin bin ich schnell. Viel schwieriger ist es, die Worte so zu betonen, dass man sie auch singen kann. Aber ich habe großes Glück! Ich habe Peggy! Sie war mein erster Deutsch-Coach, mit dem ich je zusammengearbeitet habe. Seitdem lerne ich jede deutsche Rolle nur mit ihr. Sie ist auch hier in Salzburg.
Wie wichtig ist es, dass die Zuschauer den gesungenen Text verstehen können?
Ich versuche, so präzise wie möglich zu
1981
wurde die Sopranistin Asmik Grigorian in Vilnius als Tochter einer Musikerfamilie geboren. Sie studierte an der Litauischen Musik- und Theaterakademie und begann noch während ihrer Ausbildung ihre Opernkarriere. 2002 wurde ihr Sohn geboren, 2016 ihre Tochter.
2017
debütierte sie bei den Salzburger Festspielen als Marie („Wozzeck“).
2018
gab sie in Salzburg ihr sensationelles Rollendebüt als unter Franz WelserMöst in einer Inszenierung von Romeo Castellucci und wurde damit von einem Tag auf den anderen zum Weltstar.
Salome
Am 1. August 2020
hat sie bei den Salzburger Festspielen Premiere mit
von Richard Strauss. Grigorian singt die Chrysothemis.
„Elektra“
7. September 2020
eröffnet der neue Staatsoperndirektor Bogdan Roˇsˇci´c seine Ära mit Giacomo Puccinis
„Madama Butterfly“
die Saison. Gregorian singt die Titelrolle. sein. Und wenn man so genau arbeitet, spüren die Zuschauer – unabhängig davon, ob sie den Text verstehen oder nicht – die Energie, die mit jedem Wort verbunden ist, ganz genau.
Dass Sie mit jedem Wort, unabhängig ob die Zuschauer es verstehen oder nicht, Energie auf sie übertragen, ist ein interessanter Gedanke.
Das ist so! Das ist es, was mich bei der Gestaltung von Rollen wohl von anderen unterscheidet: Auf diese Weise verändere ich ein wenig die Geschichte. Ich empfinde und erzähle den Text anders, als ich das noch beim ersten Lesen getan habe. Das ist mein Schlüssel. Ich glaube an die Macht des Wortes. Es ist so wichtig, manchmal „Ich liebe Dich“, „Danke“oder „Verzeih mir“auch auszusprechen.
Das ist es.
Aber manchmal muss man auch den Mund halten können. (lacht)
Etwas anderes: Sie wurden zum ersten Mal Mutter, als Sie noch Studentin waren. Sicher nicht einfach, auf einmal für ein Kind verantwortlich zu sein.
Es war hart, aber nicht nur. Ich habe damals unglaublich viel gelernt. Hätte ich mit 21 Jahren kein Baby bekommen, hätte ich wohl nie die Stärke entwickelt, 100 Prozent meiner eigenen Kapazitäten zu nützen. Denn wenn man ein Kind hat, gibt es nicht die Option, faul zu sein. Als Mutter hat man enorme Verantwortung, daher musst du funktionieren und viel arbeiten. Und ich habe versucht, Freude daran zu haben. Denn generell bin ich ein hedonistischer Mensch.
Mit 30 war Ihre Stimme dann allerdings in keinem guten Zustand.
Ja, das war das Resultat von zu viel falscher Arbeit. Aber auch das gehört zu meinem Weg. Ich musste mich erst töten, um zu begreifen, dass ich es künftig anders machen muss.
Was haben Sie anders gemacht?
Ich habe gelernt, wie man singt. Ich habe mich damals entschieden, mich schwierigerem Repertoire, also diesen wirklich dramatischen Rollen, zuzuwenden. Zuerst glaubt man, sie seien leichter, weil man nicht mehr so hoch singen muss, aber sie sind tricky, in Wahrheit bringen sie dich um. Aber dann habe ich mir Hilfe geholt. Das hat alles verändert. Von meiner Natur her bin ich nämlich ein sehr gebender Mensch. Ich hatte immer das Bedürfnis zu geben, wusste aber nicht, wie man nimmt. Das musste ich lernen. Heute kann ich meine Erfolge mit all diesen Menschen, die mich unterstützen, teilen. Das erfüllt mich.
Man entrinnt der Einsamkeit, wenn man große Momente mit jemandem teilen kann.
Ja. Allerdings realisiere ich gerade, dass es leichter ist, Menschen zu finden, die einem helfen, wenn man down ist. Wenn man aber oben und glücklich ist und Erfolg hat, ist es hart, sich nicht allein zu fühlen.
Wirklich?
Menschen zu finden, die bereit sind, mit dir das Licht zu teilen, mit dir fröhlich zu sein, ist viel schwieriger.
Ich dachte, es verhält sich eher umgekehrt. Wann haben Sie das erkannt?
Das ist gar nicht lang her . . .
Spielt da vielleicht Neid eine Rolle?
Sicher. Aber das ist nicht mein Problem. Ich tue, was ich zu tun habe, und zwar mit meinem ganzen Herzen. Es tut mir leid, wenn jemand damit nicht umgehen kann. Aber mit ihrem Neid müssen diese Leute schon selbst zurechtkommen. ...ob Sie Ihren Gefühlen immer trauen?
Ja, das tat ich immer schon. Manchmal gibt es auch Momente, in denen sich Zweifel und Angst breitmachen. Aber ich weiß, das bin ich im Grunde nicht: Ich zweifle nicht, ich fürchte mich nicht.
...ob Sie auch schon für die Premiere von „Madama Butterfly“in Wien proben müssen?
Ich muss zwischen den Aufführungen von „Elektra“in Wien proben. Die Proben hätten eigentlich schon im Juni beginnen sollen, wurden aber aufgrund von Corona nach hinten verschoben.
...ob „Madama Butterfly“für Sie eine schwierige Rolle ist? Das ist sie und für mich ganz besonders. Meine Mutter sang die Butterfly, als sie mit mir schwanger war. Und später spielte ich Butterflys Kind, während meine Mutter und mein Vater die Hauptrollen sangen. All das macht es für mich überaus emotional.
Sicher. Haben Sie je Neid empfunden?
Nicht wirklich. Auf bestimmte Weise bin ich egoistisch. Ich habe mich immer nur auf mich selbst konzentriert und mich nie im Wettkampf mit jemand anderem gefühlt – immer nur mit mir selbst. Und der ist viel härter, glauben Sie mir. Er hört nie auf.
Hat diese Härte sich selbst gegenüber mit Ihrer Erziehung in der Schule zu tun?
Ja, da lief etwas grundlegend falsch. In dieser Schule wurde erniedrigt, Angst eingejagt und mir viel zu viel Verantwortung aufgebürdet. Die Lehrer fanden, ich sei ohnehin eine starke Persönlichkeit, und dass deshalb meine Mitschüler unbedingt so sein wollten wie ich. Daher hätte ich mich nach den Vorstellungen der Lehrer zu benehmen. Das war nicht korrekt. Ich war doch noch ein Kind! (Atmet tief durch) So begann ich, mich immer schuldig zu fühlen. Und dieses Schuldgefühl schleppe ich noch heute mit mir herum. All diese Panikattacken kamen von meiner Schulzeit. Ich erinnere mich, dass ich mich oft wie ein Stein gefühlt habe. Uns selbst heute – jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe, spüre ich diesen schweren Stein in mir. Ich kann mich nicht bewegen, ich kann nicht atmen, ich führe einen inneren Kampf. Jedes Mal.
Furchtbar. Haben Ihre Eltern damals nicht bemerkt, was da mit Ihnen passiert?
Mein Vater war weit weg, und ich war kein Kind, das viel von sich erzählt hat, sondern verschlossen. Und meine Mutter ist eine sehr diplomatische Person, sie hat versucht, zu vermitteln und mit der Situation irgendwie umzugehen.
Wann hat dieses Martyrium geendet?
Mit 16 habe ich die Schule gewechselt – und auf einmal war ich eine gute Schülerin und ein ganz anderer Mensch.