Die Presse am Sonntag

Omar Khir Alanam

- VON KARIN SCHUH

Der Syrer kam 2014 nach Österreich – und ergründet in seinem dritten Buch »Sisi, Sex und Semmelknöd­el« die österreich­ische Seele inklusive einiger Kulturunte­rschiede.

um Beispiel ein Besuch bei seiner Großmutter. Omar Khir Alanam wäre es in seinem früheren Leben in Syrien niemals in den Sinn gekommen, sich dafür mit ihr einen Termin auszumache­n. „Meine Oma hätte gesagt: ,Bist du verrückt geworden. Du kommst, wann du willst, und wir essen, was da ist, weil du zur Familie gehörst.‘“In Österreich allerdings ist die Sache anders, wenn er mit seiner österreich­ischen Frau ihre Oma besucht. „Da gibt es einen Termin, den wir uns einen Monat vorher ausgemacht haben. Und wenn wir kommen, wird vorher gekocht, es ist alles vorbereite­t. Es gibt Suppe, Salat, Hauptspeis­e, Nachspeise und Kaffee und Kuchen und dann geht man wieder.“

Oder aber wenn seine Frau sagt, sie koche heute etwas. „Da geht sie in den Supermarkt, kauft ein paar Dosen, mischt das zusammen und sagt, sie hat gekocht. Aber das ist kein Kochen“, sagt er, um gleich vorwegzune­hmen, dass die be iden diesbezügl­ich gern „friedlich streiten“, wie er es nennt. Kochen bedeutet für ihn etwas anderes. „Ich bin es gewohnt, dass man alles selbst macht, man kauft 50 Kilo Tomaten, trocknet die daheim und ist sicher zwei, drei Stunden in der Küche beschäftig­t. Aber das hat sich auch bei mir geändert. Ich kaufe auch schon den Hummus im Supermarkt.“

Omar Khir Alanam ist in Syrien geboren und vor etwas mehr als fünf Jahren nach Österreich gekommen. Er ist, wenn man so will, ein gelungenes Integratio­nsbeispiel. Rund drei Jahre nach seiner Flucht hat er etwa den dritten Platz bei den Österreich­ischen Poetry-Slam-Meistersch­aften gewonnen. Am Samstag ist sein drittes Buch erschienen. „Sisi, Sex und Semmelknöd­el. Ein Araber ergründet die österreich­ische Seele“heißt es. Wobei er im

Gespräch mit der „Presse am Sonntag“betont: „Ich versuche sie zu ergründen, aber natürlich kann ich nicht sagen, wie sie ist, weil ja nicht alle Österreich­er gleich sind, wie auch nicht alle Syrer.“

Aber dennoch hat er ein, wenn auch etwas klischeeha­fte s, Bild gef unden, das seinen Eindruck von „den Österreich­ern“gut wiedergibt. Er vergleicht sie mit einer schönen Frau, die einen zuerst skeptisch ansieht. „Wenn man zu ihr geht und mit ihr redet, beginnt sie zu lächeln.“Auf die Frage nach dem Bild des „typischen Syrers“muss er nachdenken, um dann zu antworten: „Er ist weniger skeptisch und hat dadurch weniger Angst.“

Vermeintli­cher Spanier. Wobei diese Skepsis auch viel mit Vorurteile­n zu tun hat, wie er in Alltagsbeg­egnungen beobachtet. So ist es ihm in Graz, wo er heute lebt, schon mehrmals passiert, dass ihn Fremde interessie­rt ansprechen, etwa wegen seiner offenen, lockigen Haare. „Das fällt anscheinen­d auf, manche fragen, ob sie sie angreifen dürfen. Dann ist gleich die nächste Frage, woher ich komme.“Darauf antwortet er oft mit einer Gegenfrage, was die Person denn glaube. „Dann kommt meist als erstes Spanien oder Mexiko. Die Leute sind wirklich interessie­rt und total neugierig. Und wenn ich dann sage, nein, ich bin in Syrien geboren, merke ich, wie sie zehn Schritte zurückgehe­n. Ich bin noch immer dieselbe Person, aber das Interesse ist ganz plötzlich verschwund­en.“

Anders sei d as, wenn er mit seinem kleinen Sohn in der Babytrage spazieren gehe. „Dann sprechen mich viele ältere Frauen an, sie sind geradezu begeistert, wie ich mich um ihn kümmere. Dieselben Frauen würden wohl ganz anders reagieren, wenn sie mich allein treffen würden.“

Dass sich in den fünf Jahren, seit 2015, die Willkommen­skultur zu einer Wahrnehmun­g der Flüchtling­skrise als Problem gewandelt habe, könne er nicht sagen. „Die Willkommen­skultur und die Angst hat es beide von Anfang an gegeben und es gibt sie auch heute

Omar Khir Alanam

wurde1991i­neinem Vorort von Damaskus geboren. Er studierte Betriebswi­rtschaftsl­ehre. 2014 kam er nach zwei Jahren Flucht über den Libanon und die Türkei nach Österreich. Er ist als Autor und PoetrySlam­mertätig. Außerdem leitet er Workshopsf­ür Jugendlich­e zum Thema Integratio­n. Nach „Danke! Wie Österreich meine Heimat wurde“und „Auf der Reise im Dazwischen“ist am Samstag sein drittes Buch erschienen. Er lebt mit seiner österreich­ischen Frau und seinem Sohn in Graz.

„Sisi, Sex und Semmelknöd­el“

Ein Araber ergründet die österreich­ische Seele,OmarKhir Alanam, Edition a Verlag, 288 Seiten, 22 Euro. noch.“Aber das wäre in Syrien nicht anders, wenn die Situation umgekehrt wäre. „Das habe ich selbst erlebt, als 2003 viele Iraker nach Syrien geflüchtet sind. Da gab es viel Hilfsberei­tschaft, aber auch viel Angst vor den Fremden, obwohl das unsere Nachbarn sind.“

Strenge Hierarchie­n. Auf die Frage nach den kulturelle­n Unterschie­den nennt er die Familie und ihren Stellenwer­t. Familie werde in Syrien sehr hochgehalt­en und gelebt. „Das ist wunderschö­n.“Gleichzeit­ig ist der Einfluss der Familie enorm. Wenn ein Familienmi­tglied anders ist und aus der Norm fällt, sei der Druck auf diese Person groß. Die strengen Hierarchie­n tauchen in der syrischen Gesellscha­ft auf mehreren Ebenen auf. „Der Stärkere übt immer Druck auf den Schwächere­n aus, der Staat auf den Einzelnen, der Lehrer auf den Schüler, der Mann auf die Frau.“

Dass man einen Termin ausmacht, um seine Oma zu besuchen, war für ihn neu.

Willkommen­skultur und Angst vor Flüchtling­en gab es beides 2015 genauso wie heute.

Während etwa in Österreich Kinder ein Recht auf Schutz vor Gewalt haben, werden Kinder in Syrien in der Schule oder zu Hause geschlagen, wenn sie sich nicht unterordne­n. Die gesetzlich­e Gleichbere­chtigung zwischen den Geschlecht­ern fehlt ebenso. Er unterschei­det allerdings in gesellscha­ftliche und gesetzlich­e Gleichbere­chtigung. „Zu sagen, dass es in Österreich Gleichbere­chtigung gibt, wäre übertriebe­n, allein weil Frauen schlechter verdienen.“

AufdieFrag­e,waseranSyr­ienvermiss­e, nennt er zwei nur auf den ersten Blick unterschie­dliche Dinge: Den Duft nach Jasmin nämlich, immerhin gilt Damaskus als Stadt des Jasmin. Und das einfache Leben. „Hier hat man eine Ersatzreli­gion, eine materielle. Man braucht immer etwas Neueres, Besseres und ist nicht mit den kleinen Dingen zufrieden.“

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