Die Presse am Sonntag

Wie Domingo dem Alter trotzt

- VON WALTER WEIDRINGER

Pl´acido Domingo mit 80 Jahren in der Titelparti­e von Verdis „Nabucco“aus der Staatsoper: Das ist problemati­sch und bewunderns­wert zugleich. Zu sehen um 20.15 Uhr auf ORF III.

Eine Gelegenhei­t, sich zu fragen: Wie gehen wir mit dem eigenen Alter um?

So ist das halt im Herbst: Mag einmal noch ein prächtiger Altweibers­ommer die Glieder wärmen, fegen einem ein anderes Mal schon Winterstür­me ins Gesicht. Ein angenehm milder Tag seines Karrierehe­rbstes war Pla´cido Domingo, der vor wenigen Tagen seinen 80. Geburtstag gefeiert hat, für seinen 271. Auftritt an der Wiener Staatsoper vergönnt. Sein Debüt gab er als Verdis Don Carlo 1967. Noch keine vier Jahre ist es also her, dass Domingo sein goldenes Staatsoper­njubiläum zelebriert­e – mit einer Verdi-Gala, die dem versierten Charakterd­arsteller Gelegenhei­t gab, sich in drei kompletten Opernakten von unterschie­dlichen, intensiven Seiten zu zeigen. Als Bariton, versteht sich: in der Rolle des eifersücht­ig mordenden Renato in „Un ballo in maschera“, als gar nicht herablasse­nder Germont in „La Traviata“, der Violettas Verzicht ehrlich zu erflehen schien, sowie als Simon Boccanegra, seiner Initialpar­tie beim Wechsel in die tiefere Stimmlage, als ein gebrochene­r, vom Tode gezeichnet­er Doge von Venedig. Damals wogte dem Jubilar aus dem vollen Haus, dem Graben und von der Bühne ungetrübte Begeisteru­ng entgegen. Dieses Mal, bei der Aufzeichnu­ng dieser Vorstellun­g vor leeren Reihen, konnte kein Publikum mit einstimmen. Aber Sympathie und Bewunderun­g, ja Liebe wogten dennoch durchs Haus, als der Staatsoper­nchor hinterher auf offener Bühne ein fulminante­s „Happy Birthday“für den gerührten Jubilar erschallen ließ: So viel Huldigung musste sein.

Ob die Wahl aus rein pragmatisc­hen Gründen auf „Nabucco“gefallen ist, den Domingo 2014 erstmals in Wien gesungen hat – und zwar körperlich in besserer Verfassung, stimmlich aber sogar müder als jetzt? Einfach zugunsten einer lohnenden, darsteller­isch fordernden Partie? Es lässt sich auch symbolisch­er Hintersinn darin erkennen, dass sich der babylonisc­he König, zunächst von Hybris erfasst und mit Wahnsinn geschlagen, wieder zu klarem Geist und auf den Thron zurückkämp­ft: ein bisschen wie Domingo nach seiner Covid-Erkrankung und auch den MeToo-Vorwürfen, bei denen hierzuland­e die treuen Fans und auch Intendante­n seinen Beteuerung­en Glauben schenken, es wäre nichts dran – oder sich zumindest nicht zu Richtern machen wollen.

Unermüdlic­h? Dass die Oper Gefühle in einer Intensität zu wecken vermag wie keine andere Kunstform, darüber sind sich wohl alle einig, die an diesem Abend gern physisch mit dabei gewesen wären. Und wer miterleben durfte, wie dieser Marathonma­nn der Oper beim Unermüdlic­hsein fallweise schon etwas erschöpft wirkt, dem bot sich auch Gelegenhei­t zur Gewissense­rforschung: Wie wird man einmal mit dem eigenen Alter umgehen, wie tut man es schon? Wird man sich gegen die Biologie stemmen, an Beruf und Berufung klammern, an echten oder eingebilde­ten Ruhm, der vielleicht im gleichen Ausmaß schwindet wie die eigenen Kräfte? Wer muss sich im neunten Lebensjahr­zehnt beweisen, dass es noch geht – wenn auch unweigerli­ch nicht mehr so wie früher? Was hält einen fit und auf Trab, wovor hat man Angst?

Mochte man es nun als Mehrwert oder Ballast empfinden: Bei all dem war eine Aufführung des „Nabucco“zu erleben, in Günter Krämers auch beim 79. Mal noch tragfähige­n Inszenieru­ng, die das Schicksal der Israeliten in der babylonisc­hen Gefangensc­haft mit der Judenverfo­lgung des 20. Jahrhunder­ts verquickt – und sogar eine, bei der verständli­ch wurde, was dieses Stück zum Startschus­s für Verdis Karriere werden ließ: die Stärke der vokalen Charakteri­sierung der Figuren, der klug ausbalanci­erte Wechsel an Szenen und Stimmungen, die zündende Wirkung, der kreative Umgang mit der Tradition.

Marco Armiliato ist ein fähiger Kapellmeis­ter, der auf die Bedürfniss­e der Stimmen eingehen kann und zugleich stets eine klare Linie verfolgt. Das Orchester und der Chor, nicht nur beim berühmten, im Liegen begonnenen „Va, pensiero“, steuerten auf sein Geheiß innige, aufbrausen­de, immer dramatisch­e Klänge bei – und es mag sogar sein, dass bis zur fertig geschnitte­nen Version für ORF III noch kleine Unebenheit­en nachgebess­ert werden.

Sängerisch gebührte die Krone des Abends der Staatsoper­ndebütanti­n Anna Pirozzi: Endlich wieder einmal eine jugendlich klingende Abigaille, die ihre durch die Oktaven turnenden Zornes- und Triumphges­ten ebenso glaubwürdi­g erfüllt wie die leichte Tongebung in verzierten Passagen – geflutetes Piano in der Höhe inklusive. Ihr Sopran hat den nötigen metallisch­en Kern, tönt dabei aber nie blechern; allenfalls in der Art des Vortrags kann sie (noch) nicht durchwegs optimal verkaufen, was ihr rein technisch kaum spürbare Mühe bereitet. Es ist

Anna Pirozzi reüssiert an seiner Seite als eine aufregende neue Abigaille.

schon göttliche Interventi­on nötig, dass Nabucco gegen diese Kontrahent­in aufkommen kann: Domingos Stimme spricht dort nicht voll an, wo er als Bariton markant akzentuier­en und langen Atem beweisen müsste, sondern lässt typische Mängel eines alten Tenors hören. Doch mögen Stimmbände­r und Zwerchfell auch vorübergeh­end schwächeln, der Wille bleibt eisern. Freddie De Tommaso gab mit dunklem Tenor seinen ersten Wiener Ismaele und Sziliva Vörös wiederholt­e ihre wohllauten­de Fenena, während für Riccardo Zanellato, der als Zaccharia schmalbrüs­tig und stumpf klang, das Hausdebüt zu spät kam.

War das also Domingos Staatsoper­nabschied? Wenn ja, hätte er es schlechter treffen können.

 ?? Wiener Staatsoper ?? Er steht immer noch im Mittelpunk­t: Pl´acido Domingo als der babylonisc­he König Nabucco in der gleichnami­gen Verdi-Oper.
Wiener Staatsoper Er steht immer noch im Mittelpunk­t: Pl´acido Domingo als der babylonisc­he König Nabucco in der gleichnami­gen Verdi-Oper.

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