Wie die Verfolger zu Verfolgten wurden
Die Abkürzung WKStA ist zum Code des (politischen) Kampfs um die Unabhängigkeit der österreichischen Justiz geworden. Keine öffentliche Institution polarisiert so wie die der Anti-Korruptions-Staatsanwälte: Anatomie einer Elitebehörde.
Karoline Edtstadler hatte es nicht leicht. Die früher in Salzburg tätige Strafrichterin musste sich mit zwölf Bewerbern messen. Vier kamen in die engere Auswahl. Edtstadler war dabei. Die vier Besten wurden von einer Personalkommission gereiht. Edtstadler landete an dritter Stelle. Am Schluss durften alle vier jubeln. Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) erteilte ihnen den Ritterschlag. Die Juristin aus Salzburg hatte es also geschafft: Sie wurde mit 1. Jänner 2015 zu einer der stellvertretenden Leiterinnen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, der WKStA, ernannt (das war auch finanziell kein Nachteil).
Doch die frischgebackene Korruptionsjägerin trat ihren Dienst bei der elitären Behörde nie an. Sondern verblieb dort, wo sie schon zuvor angedockt hatte: im Justizministerium. Dort arbeitete sie für Wolfgang Brandstetter. Bald avancierte sie zur Staatssekretärin im Innenressort. Danach zur ÖVP-Ministerin für EU und Verfassung.
Am Freitag erinnerte Edtstadler mehrmals daran, dass sie „aus der Justiz“komme. Und geißelte dann eine Justizbehörde ganz besonders – die WKStA. Dort gebe es „besorgniserregende Vorkommnisse“.
Damit spielte sie etwa auf die Hausdurchsuchung (HD) in den Büros des Verfassungsschutzes BVT an. Diese war vor drei Jahren unter Leitung der WKStA wegen mutmaßlich korrupter BVT-Männer durchgezogen worden. Das Ausmaß der Vorwürfe erwies sich als klein. Der Schaden für das BVT als groß. Eigentlich riesig. Der Ruf des Staatsschutzes ist ruiniert. Die WKStA bekam die Rechnung: Ein Gericht stufte die Razzia als rechtswidrig ein.
Edtstadler rührte nun in offenen Wunden: „Das ist unerträglich.“Und überhaupt: Nur ein Prozent der von der WKStA unter die Lupe genommenen Personen würden schuldig gesprochen. Unausgesprochener Beisatz: Das zeige, wie unerträglich oft die sogenannten Elite-Ermittler danebenliegen. Ob dieser Vorwurf nicht ein kleines Foul ist? Die Ermittler müssen prüfen, was angezeigt wird. Dabei erweist sich vieles eben als „zu dünne Suppe“.
Aktuell ermittelt die WKStA gegen ÖVP-Finanzminister Gernot Blümel. Durchsuchte gar seine Wohnung. Internationale Schlagzeilen und innenpolitische Verwerfungen folgten. Der Verdacht ergibt sich aus einem SMSAustausch zwischen Blümel und dem früheren Chef des Glücksspielkonzerns Novomatic, Harald Neumann. Gab es Bestechung? Oder Bestechlichkeit?
„Den Ermittlungen liegt der Verdacht zugrunde, dass ein Verantwortlicher eines Glücksspielunternehmens Spenden an eine politische Partei im Gegenzug für die Unterstützung von Amtsträgern der Republik Österreich bei einer dem Unternehmen drohenden Steuernachforderung im Ausland angeboten habe.“Das teilte die WKStA in der ihr eigenen trockenen Art mit.
Blümel will mit der Casinos-Affäre nichts zu tun haben. Er sieht sich als Opfer einer wild gewordenen WKStA. Sinngemäß sagt er, die Suppe sei nicht nur zu dünn – es gebe gar keine Suppe.
Die ÖVP gegen die WKStA. Das war nicht immer so.
2018 lobte ÖVP-Parlamentarierin Michaela Steinacker eben diese Dienststelle: „Die WKStA ist eine Behörde, die von uns allen als sehr wertvoll erachtet wird.“Tempora mutantur.
Heutzutage werden die Korruptionsjäger von „ihrer“Ministerin, der grünen Alma Zadic´ (derzeit vertreten von Vizekanzler Werner Kogler), verteidigt. Das war nicht immer so.
Während des BVT-U-Ausschusses stellte die Liste Pilz, der Zadic´ als Sicherheitssprecherin angehörte, unangenehme Fragen. Etwa ob es üblich sei, dass die WKStA „bei derart politisch brisanten Fällen das Justizministerium nicht vorinformiert bzw. vorinformieren muss“. Gemeint war: Die oben erwähnte BVT-Razzia war so still und leise dahergekommen, dass sogar der Justizminister aus allen Wolken fiel.
Zur „Strafe“wurde damals der WKStA aufgetragen, dass sie künftig „zumindest drei Werktage“vor Durchführung einer HD ihre dienstvorgesetzte Stelle, die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien, zu informieren habe. Diese „Lex BVT“wurde nun von Kogler per Weisung rückgängig gemacht.
Eine Behörde als Spielball. Mittlerweile wirkt das Kürzel WKStA wie ein Reizwort. Wenn sich die dort tätigen Ankläger (alle tragen den Amtstitel „Oberstaatsanwalt“) in „clamorose Fälle“einschalten, werden die ergriffenen Maßnahmen mindestens ebenso leidenschaftlich diskutiert wie die jeweilige Causa selbst. Die Durchsuchung von Blümels Wohnung (für ihn gilt die Unschuldsvermutung) hat die Debatte auf eine noch höhere Ebene gehoben.
Nicht mehr die politisch besetzte Spitze des Justizressorts, sondern ein Bundesstaatsanwalt solle künftig an der Spitze der staatsanwaltlichen Weisungskette stehen. Ein solches Modell gibt es anderswo längst. In Österreich wird nur darüber geredet. Seit Langem.
In den vorigen Jahren, als ÖVP-Justizminister am Werk waren, zeigte diese Partei wenig Animo, einen solchen Ober-Weisungsgeber zu bestellen. Aber da gab es auch noch keine solchen „Verfehlungen“(Zitat Edtstadler).
Steckt wirklich so viel Skandal in der WKStA? Oder liegt es einfach in der Natur der Sache, dass sich eine solche Behörde viele mächtige Feinde macht, da ja die großen Korruptionsfälle meist in einflussreichen Kreisen angesiedelt sind; und (sich) Verdächtige komplexer Wirtschaftsstrafverfahren deutlich mehr Gegenwehr leisten (können) als der sprichwörtliche kleine Hendldieb? Ein Blick zurück zeigt jedenfalls eine bedenkliche Entfremdung zwischen den Anklägern und ihren Vorgesetzten. Mittlerweile erinnert die WKStA an das gallische Dorf, das allen umliegenden Feinden erbittert Widerstand leistet. Ob da ein Bundesstaatsanwalt Abhilfe leisten kann, bleibt abzuwarten.
Wie alles begann: 2009 wurde die Korruptionsstaatsanwaltschaft (KStA) gegründet. Deren Leiter war Walter Geyer. Ein blendender Staatsanwalt. Und ein Grüner. 2012 wurde die KStA zur WKStA ausgebaut. Und der Leitung der auch heute noch amtierenden früheren Strafrichterin Ilse-Maria VrablSanda unterstellt. Die Behörde mit Hauptsitz in Wien und Außenstellen in Graz, Linz und Innsbruck ist als bundesweit zuständige Speerspitze gegen Korruption konzipiert. Sie wird vom Gesetzgeber mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet.
Zentrale Kraft. Delikte wie Betrug, Untreue, Krida sowie Korruptionstatbestände begründen ihre Zuständigkeit – in der Regel dann, wenn es Fälle sind, bei denen ein Schaden von mehr als fünf Millionen Euro angenommen werden kann. 44 Planstellen, von denen 38 besetzt sind, stehen den Anklägern zur Verfügung. Neun Wirtschaftsexperten arbeiten diesen zu. Aktuell laufen 210 Ermittlungsverfahren mit 2400 Beschuldigten. Und 13 Verfahren gegen unbekannte Täter. Ebenso wie 50 Rechtshilfeersuchen an das Ausland.
Vrabl-Sanda wird von ÖVP-Vertretern nachgesagt, Teil eines „roten Netzwerks“zu sein. Freilich wird diese politische Einordnung strikt zurückgewiesen. Beweisen lässt sie sich sowieso nicht. Die Behörde selbst führt an dieser Stelle immer wieder ins Treffen, dass sie zuletzt auch mehrere Verfahren gegen SPÖ-Politiker geführt habe.
Als sich Vrabl-Sanda um die WKStA-Spitze beworben hatte, schlug sie einen Konkurrenten aus dem Feld: den Ankläger Johann Fuchs (bei VrablSandas Ernennung war ÖVP-Justizministerin Beatrix Karl am Ruder). Nur zwei Jahre nach ihrem Sieg zog es die
Kann Justitia (Bild: Ausschnitt der Statue im Wiener Justizpalast), die Göttin der Gerechtigkeit, im Tauziehen um die WKStA vermitteln?
WKStA-Chefin an die OStA. Sie bewarb sich. Und unterlag der OGH-Hofrätin Eva Marek. 2018 nahm Vrabl-Sanda einen neuen Anlauf. Sie bewarb sich um die wieder vakant gewordene Spitzenstelle der OStA. Und unterlag einem alten Bekannten: Johann Fuchs, dem Mann, den sie 2012 im Rennen um die WKStA-Spitze geschlagen hatte. Damit stand es 1:1 zwischen den beiden Konkurrenten.
Alsdann gab es zwischen den Korruptionsjägern und der OStA (unter Fuchs) und dem mächtigen – mittlerweile nicht mehr für Einzelstrafsachen zuständigen – Sektionschef Christian Pilnacek so manchen Zank. Der Gipfel war, dass WKStA-Leute eine Dienstbesprechung zur Causa Eurofighter, an der auch Pilnacek und Fuchs teilnahmen, heimlich aufzeichneten. Das Transkript (gekürzt, aber mit deftigen Zitaten von denen „da oben“, die versucht hätten, die Ermittlungen abzudrehen) fand prompt seinen Weg in die Medien.
Und nun? Welche Reformen müssen kommen? Braucht es wirklich den Bundesstaatsanwalt, damit nicht aus Verfolgern Verfolgte werden? Viele Richter weinen heute noch dem (abgeschafften) unabhängigen Untersuchungsrichter nach. Dieser würde sich, so heißt es, beim Ermitteln nicht hineinreden lassen. Mag so sein.
Dass es mehr gerichtliche und weniger ministerielle Kontrolle braucht, meint auch die frühere WKStA-Ermittlerin der Ibiza-Affäre, Christina Jilek. Sie hatte wegen des „politischen Korsetts“schwer enttäuscht das Handtuch geworfen. Und ist jetzt Richterin in Graz. Im Ibiza-U-Ausschuss forderte sie von den Abgeordneten: „Stellen Sie die WKStA unter die unabhängige und kritischste Kontrolle, die wir haben: die ausschließliche Kontrolle durch unabhängige Gerichte.“
Hausdurchsuchung beim Finanzminister: Internationale Schlagzeilen folgten.
Warum sich viele Juristen nach dem »guten, alten« U-Richter sehnen.