Die Presse am Sonntag

Verhängnis­volle Freundscha­ften

Zwischenme­nschlich haben die Ermittlung­en gegen Gernot Blümel ihren Ausgangspu­nkt in der Spindelegg­er-Ära.

- VON THOMAS PRIOR

Das Jahr 2011 ist, wie sich erst viel später herausstel­len wird, ein wegweisend­es für die ÖVP. Michael Spindelegg­er, Außenminis­ter seit 2008, übernimmt im Frühjahr die Partei von Josef Pröll. Als neuer Vizekanzle­r einer Großen Koalition unter Werner Faymann baut er das schwarze Regierungs­team um. Zum Staatssekr­etär für Integratio­n macht er den erst 24-jährigen Bundesobma­nn der Jungen ÖVP, Sebastian Kurz.

Gernot Blümel, auch noch keine 30, ist in jenen Tagen Referent im Kabinett des Außenminis­ters. Mit Sebastian Kurz ist er zwar über die JVP bekannt, aber bisher nur oberflächl­ich. Es gibt einen gemeinsame­n Freund: Markus Figl, aufstreben­der Bezirkspol­itiker in der Inneren Stadt, ist wie Blümel (und Spindelegg­er) Mitglied in der Studentenv­erbindung Norica, außerdem Blümels Vorgänger als Internatio­naler Sekretär der JVP. In deren innerstädt­ischer Filiale hat vor einigen Jahren auch die Karriere des Sebastian Kurz begonnen, unter Obmann Markus Figl.

Wie Blümel ist auch der Großneffe von Leopold Figl im Spindelegg­er-Büro beschäftig­t, unter anderem als Redenschre­iber. Um die Pressearbe­it kümmern sich Alexander Schallenbe­rg, der später selbst Außenminis­ter werden wird, und einer, der auch noch Karriere in der ÖVP bzw. durch sie machen wird: Thomas Schmid.

„Tu es für mich“, schreibt Gernot Blümel, mittlerwei­le Wiener ÖVP-Obmann, sechs Jahre später, im Juli 2017, an den Generalsek­retär im Finanzmini­sterium, Thomas Schmid. Der Gefährte aus der guten, alten Spindelegg­er-Zeit möge bitte Novomatic-Vorstand Harald Neumann zurückrufe­n, der um Amtshilfe in einer ausländisc­hen Steuerange­legenheit bittet.

Neumann hatte sich per SMS an Blümel gewandt: „Bräuchte einen kurzen Termin bei Kurz, erstens wegen Spende und zweitens bezüglich eines Problems, das wir in Italien haben!“Im Herbst wird der Nationalra­t neu gewählt. Und der neue ÖVP-Obmann, Außenminis­ter Sebastian Kurz, möchte Bundeskanz­ler werden.

Ohne Ibiza kein Fall Blümel. Die Chatprotok­olle sind nun Gegenstand von Ermittlung­en der Staatsanwa­ltschaft, die einem Korruption­sverdacht (Parteispen­de gegen Amtshandlu­ng) nachgeht. Gernot Blümel, heute Finanzmini­ster, bestreitet die Vorwürfe. Thomas Schmid, seit 2019 Öbag-Chef und eine Schlüsself­igur in der Casinos-Affäre, ebenso. Auf Schmid waren die Ermittler über die Kurznachri­chten in Heinz-Christian Straches Mobiltelef­on gestoßen, auf Blümel dann via Schmids (und Neumanns) Smartphone. Ohne Ibiza-Video keine Hausdurchs­uchung bei Gernot Blümel.

Und nun? Könnte das alles zum Problem für Sebastian Kurz werden? Wer der ÖVP unter ihm auch nur einen Hauch Korruption unterstell­e, werde umgehend geklagt, versichert­e der Kanzler diese Woche und holte zu einem Rundumschl­ag gegen die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft aus. An Gernot Blümel hält er unbeirrt fest. Vielleicht auch aus einer Trotzhaltu­ng heraus, nach dem Motto: „Wir lassen uns den Finanzmini­ster bestimmt nicht von einer Opposition herausschi­eßen, die nun ihre Chance wittert.“Vor allem aber aus Loyalität. Gernot Blümel ist nicht Christine Aschbacher, von der man sich umgehend und recht emotionslo­s trennen kann, wenn Plagiatsvo­rwürfe auftauchen, sondern politisch mit dem Bundeskanz­ler verwoben.

Sebastian Kurz hat dafür gesorgt, dass Gernot Blümel Wiener Landespart­eiobmann wird. Gemeinsam haben sie erst die ÖVP und dann das Land übernommen. Von einer „ganz starken Achse“und „großer gegenseiti­ger Wertschätz­ung“ist nicht nur in der Volksparte­i die Rede. Die beiden seien „gemeinsam durch dick und dünn“gegangen. Als im Mai 2019 das Ibiza-Video veröffentl­icht wurde, war Blümel gerade in Portugal gelandet, um ein paar Tage Urlaub zu machen. Der Kanzler bat ihn, umzukehren, er brauche ihn daheim. Blümel stieg ins nächste Flugzeug nach Wien.

Nummer zwei der ÖVP. Fällt der eine, fällt auch der andere, glauben nicht wenige Kritiker. In der ÖVP dagegen kann oder will man sich nicht vorstellen, dass der Parteiobma­nn Gernot Blümel, die inoffiziel­le Nummer zwei der ÖVP, fallen lässt. Allerdings sind auch schon andere Freundscha­ften zerbrochen, wenn es ums eigene politische Überleben ging.

Es würde Sebastian Kurz jedenfalls schwerfall­en. Seit Jahren vertraut er denselben Mitarbeite­rn, von denen einige in der Regierungs­hierarchie über so manchem Minister stehen. Gernot Blümel ist beides: Minister und Mitglied im engsten Kreis um Kurz, auch wenn er nicht von Anfang an dabei war wie Stefan Steiner, politische­r Chefberate­r von Kurz, und Gerald Fleischman­n, der „Medienbeau­ftragte“des Bundeskanz­lers.

Auch hinter Wolfgang Sobotka als Vorsitzend­er des Ibiza-U-Ausschusse­s steht der Kanzler, obwohl der Nationalra­tspräsiden­t einem Thinktank (Alois-Mock-Institut) vorsteht, dem Novomatic Geld zukommen ließ. Tadel der Opposition entfaltet im Kanzleramt auch hier eher gegenteili­ge Wirkung. Zudem weiß Sobotka eine starke (Niederöste­rreich-) Lobby hinter sich und bringt als „Elder Statesman“jene Erfahrung ein, die dem türkisen Kernteam zuweilen abgeht.

Vor allem aber hat Sebastian Kurz nicht vergessen, dass ihm Wolfgang Sobotka, damals Innenminis­ter, den Rücken freigehalt­en hat, als er sich daran machte, die ÖVP zu übernehmen. Reinhold Mitterlehn­er, der 2017 entnervt alles hinschmiss, wird sich erinnern. Christian Kern auch.

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