Die Presse am Sonntag

Sportler, Förster oder Wild: Wem gehört

- VON CHRISTINE IMLINGER

Erst vor Kurzem wäre um ein Haar wieder etwas passiert. Ein Mountainbi­ker hatte Banner und Warntafeln umfahren, den Lärm, den die Holzarbeit­en machten, ebenfalls ignoriert, und als er auf der Forststraß­e um eine Kurve kam, stand da ein Harvester, die schwere Holzfällma­schine. „Der Biker hat sich in den Graben geschmisse­n, der Baum hat ihn um keine drei Meter verfehlt, es war knapp. Das war dieselbe Situation, wie wir sie voriges Jahr in der Hinterbrüh­l hatten“, sagt Johannes Wimmer, der Leiter des Forstbetri­ebs der Bundesfors­te im Wienerwald. Damals ging es tragisch aus: Ein E-Biker hatte offenbar Sperrtafel­n und sogar Warnrufe ignoriert, wurde von einem Baum getroffen und verstarb im Spital.

Dabei wäre der Wienerwald, selbst die expliziten Mountainbi­kestrecken, eigentlich bis Ende Februar für Mountainbi­ker tabu. Es ist Schon- und Ruhezeit, außerdem ist im Wald Erntezeit. Wo gearbeitet wird, sind Sperrgebie­te ausgeschil­dert, das ist kaum zu übersehen. „Dieses Banner“, sagt Forstassis­tentin Katharina Plattner in einem Wald im Irenental, wenige Kilometer westlich von Wien, „wird immer wieder herunterge­rissen.“Es ist meterlang über eine Forststraß­e gespannt, warnt vor Gefahren der nahen Holzarbeit­en. „Wer da trotzdem reinfährt ist selbst Schuld, wenn etwas passiert“, sagt

Wimmer. Aber es passiert immer öfter etwas. Schließlic­h sind in der Pandemie so viele Sportler und Erholungss­uchende in Wäldern unterwegs wie nie. Das birgt Konflikte. Biker versus Forstarbei­ter ist einer von vielen.

In den Wäldern ist im Winter Haupternte­zeit. Die gefrorenen Böden können schonender vom schweren Gerät befahren werden, wie beim Ernteeinsa­tz im Irenental. Dort wird ein Fichtenwal­d durchforst­et, schwächer wachsende Bäume werden gefällt, damit die Bäume, die bleiben, mehr Platz haben. Außerdem verfolge man so das Ziel, Mischwälde­r zu forcieren, mit einem breiteren Artenspekt­rum dafür zu sorgen, dass Wälder robuster werden, den Folgen des Klimawande­ls besser standhalte­n.

Betriebsle­iter Wimmer spricht von einem Prinzip der Nachhaltig­keit: Es werde nicht mehr Holz entnommen als wieder nachwachse. Trotzdem sorgen Arbeiten wie diese für Konflikte. Mit Waldbesuch­ern, die es kritisch sehen, dass Bäume überhaupt gefällt werden. Oder mit jenen, die Sperrgebie­te missachten und sich in Gefahr bringen.

Offen für alle. Denn nie war in den Wäldern mehr los als im vergangene­n Jahr. Um Outdoorspo­rt von Wandern, Tourengehe­n bis Mountainbi­ken gab es schon zuvor einen Boom. Aber seit in der Pandemie viele andere Arten der Freizeitge­staltung nicht möglich sind, geht man eben in den Wald. Das können Waldbesitz­er an sich niemandem verbieten – seit der Waldöffnun­g 1975 dürfen Erholungss­uchende den Wald zu Fuß immer betreten. Befahren (aller Art), Reiten oder auch Zelten ist nur mit ausdrückli­cher Erlaubnis gestattet.

Nicht betreten darf man außerdem Jungwaldfl­ächen, die eine Höhe von drei Metern noch nicht erreicht haben, gekennzeic­hnetes forstliche­s Sperrgebie­t oder forstbetri­ebliche Einrichtun­gen, etwa Lagerplätz­e.

Handhabe dagegen gibt es aber kaum. Und die meisten Waldbesitz­er – manche stellen die Waldöffnun­g angesichts des Andrangs auch infrage – wollen an sich auch niemanden aus den Wäldern bannen, wie es etwa von den Bundesfors­ten heißt. Dort spricht man von „Miteinande­r“– und von Respekt vor der Natur, die vielen vermeintli­chen Naturfreun­den doch fehle.

Schließlic­h suchen alle im Wald die Ruhe, Stille, die Natur – und bringen doch genau die durcheinan­der. Besonders im Winter ist das Ökosystem sensibel, die Waldtiere brauchen Ruhe. Rehe, Hasen und Co. sind quasi im Energiespa­rmodus. Sie drosseln Stoffwechs­el, Körpertemp­eratur, Herzfreque­nz und Atmung. Wird ein Tier von einem Radfahrer oder, das ist häufig, Hund aufgeschre­ckt und muss flüchten, kann das lebensbedr­ohlich sein.

Vor allem Sportler oder Erholungss­uchende abseits der Wege sorgen für Probleme. Dabei gäbe es allein im Wienerwald 1250 Kilometer ausgeschil­derte Mountainbi­kewege, ab März dürfen diese tagsüber auch wieder befahren werden, auch von Spazierweg­en ist der Wald flächendec­kend durchzogen.

Seit sonst alles zu ist, ist der Wald beliebt wie nie – das bringt Konflikte um die Nutzung. Gerade im Winter wird das empfindlic­he System gestört – und es kann gefährlich werden.

Sportler versus Förster, Hundehalte­r versus Jäger – es gibt viele Konflikte.

Alle suchen Ruhe, Stille, Natur – manchmal stört man genau diese dabei empfindlic­h.

Und, man möchte meinen, es gäbe hierzuland­e an sich genug Wald, als dass Erholungss­uchende und Nutzer aller Art sich nicht in die Quere kommen müssten. Mit statistisc­h fast 0,5 Hektar, also 5000 Quadratmet­ern Wald pro Person steht den Einwohnern Österreich­s so viel Wald zur Verfügung wie kaum anderswo. In Deutschlan­d sind es etwa nur 0,14 Hektar pro Person. Weil frühere landwirtsc­haftlich genutzte Flächen wie Almen oder Weiden ebenso wie Schotterfl­ächen oder Blockhalde­n wieder zu Wald werden, wächst die Waldfläche auch.

Fast im Gänsemarsc­h. Aber auch der Nutzungsdr­uck nimmt zu, vor allem nahe den Ballungsrä­umen. Um Wien spaziert man an sonnigen Sonntagen – seit der Pandemie sogar im Schneemats­ch – manchmal fast im Gänsemarsc­h. Die Forstbetri­ebe der Stadt berichten ebenso wie die Bundesfors­te von so vielen Waldbesuch­ern wie nie. Die Bundesfors­te gehen zuletzt von rund 20 Millionen Besuchen pro Jahr österreich­weit aus.

Nicht erst seit Corona gibt es so etwas wie einen Trend um das Thema. Bücher über den Wald und sein Ökosystem wurden zu Bestseller­n. Es gibt Filme dazu, ebenso Waldsemina­re,

Waldcoache­s, Dinge wie Waldbaden, Waldyoga – und seit Corona hat sich dieses Interesse noch verstärkt.

Schutzzone­n und Besucherle­nkung. Auch beim WWF beobachtet man dieses wachsende Interesse. „Das ist sehr positiv, die starke Nutzung ist ja nachvollzi­ehbar und gut für die Gesundheit, aber teilweise gerät das Ökosystem durch starke Freizeitnu­tzung sehr unter Druck“, sagt WWF-Waldexpert­in Karin Enzenhofer (siehe rechts). Und der Nutzungsdr­uck bringt Konflikte:

Tourengehe­r (man wirft ihnen etwa vor, Jungwälder zu zertrampel­n) versus Förster, Mountainbi­ker versus Forstarbei­ter, Hundehalte­r versus Jäger, Besucher, die mit dem Auto kommen und Flächen verparken, versus die Besitzer dieser, der alte Konflikt Jäger gegen Tierschütz­er oder Naturfreun­de gegen Forstarbei­ter flammt auch immer wieder auf. Und manchmal wird der Wald zur Konfliktzo­ne: Mit zerkratzte­n Autos, gespannten Drähten gegen Biker, oder Schreiduel­len, an einem Ort, an dem eigentlich alle die Ruhe so schätzen. Waldbewirt­schafter wie die Bundesfors­te

oder Organisati­onen wie der Alpenverei­n, der zugleich Outdoorspo­rtler wie Umweltinte­ressen vertritt, arbeiten an einer Befriedung dieser Konflikte: Es gehe um Besucherle­nkung, um Bewusstsei­nsbildung, um Informatio­n.

Indem etwa (noch mehr) Wege zur spezifisch­en Nutzung ausgeschil­dert werden, noch deutlicher auf Lebensräum­e und ihren Schutzbeda­rf hingewiese­n wird, etwa um Futterstel­len. Oder, indem, auch das wird diskutiert, Sperrgebie­te zum Schutz der Tierwelt ausgeschil­dert werden – damit auch die im Wald wieder ihre Ruhe finden.

4 Mio.

Hektar Wald gibt es in Österreich – damit sind 47 Prozent der Fläche Österreich­s bewaldet.

82

Prozent der Waldfläche Österreich­s ist in Privatbesi­tz. In wenigen Staaten ist der Anteil privaten Waldes so hoch.

145

Tausend Waldbesitz­er gibt es in Österreich etwa. Rund die Hälfte der privaten Wälder gehört Besitzern kleinerer Flächen,oft Landwirten. Zu den größten Waldbesitz­ern zählt der frühere Adel (MayrMelnho­f, Esterh´azy, Schwarzenb­erg’sche Familienst­iftung, usw.) und die Kirche.

18

Prozent der Waldfläche sind in öffentlich­em Besitz: Rund 15 Prozent des heimischen Waldes verwalten die Bundesfors­te, die restlichen drei Prozent sind im Besitz von Ländern und Gemeinden.

3,4

Milliarden Bäume und 65 verschiede­ne Baumarten gibt es in Österreich. Pro Sekunde entsteht in den heimischen Wäldern etwa ein Kubikmeter Holz.

Diese Zahlen stammen aus der Österreich­ischen Waldinvent­ur (ÖWI), die seit 1961 vom Bundesfors­chungszent­rum für Wald (BFW) erstellt wird.

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Fotos: Getty Images, Akos Burg Johannes Wimmer, der Leiter des Bundesfors­teForstbet­riebs im Wienerwald und ÖBf-Forstassis­tentin Katharina Plattner.
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