Sportler, Förster oder Wild: Wem gehört
Erst vor Kurzem wäre um ein Haar wieder etwas passiert. Ein Mountainbiker hatte Banner und Warntafeln umfahren, den Lärm, den die Holzarbeiten machten, ebenfalls ignoriert, und als er auf der Forststraße um eine Kurve kam, stand da ein Harvester, die schwere Holzfällmaschine. „Der Biker hat sich in den Graben geschmissen, der Baum hat ihn um keine drei Meter verfehlt, es war knapp. Das war dieselbe Situation, wie wir sie voriges Jahr in der Hinterbrühl hatten“, sagt Johannes Wimmer, der Leiter des Forstbetriebs der Bundesforste im Wienerwald. Damals ging es tragisch aus: Ein E-Biker hatte offenbar Sperrtafeln und sogar Warnrufe ignoriert, wurde von einem Baum getroffen und verstarb im Spital.
Dabei wäre der Wienerwald, selbst die expliziten Mountainbikestrecken, eigentlich bis Ende Februar für Mountainbiker tabu. Es ist Schon- und Ruhezeit, außerdem ist im Wald Erntezeit. Wo gearbeitet wird, sind Sperrgebiete ausgeschildert, das ist kaum zu übersehen. „Dieses Banner“, sagt Forstassistentin Katharina Plattner in einem Wald im Irenental, wenige Kilometer westlich von Wien, „wird immer wieder heruntergerissen.“Es ist meterlang über eine Forststraße gespannt, warnt vor Gefahren der nahen Holzarbeiten. „Wer da trotzdem reinfährt ist selbst Schuld, wenn etwas passiert“, sagt
Wimmer. Aber es passiert immer öfter etwas. Schließlich sind in der Pandemie so viele Sportler und Erholungssuchende in Wäldern unterwegs wie nie. Das birgt Konflikte. Biker versus Forstarbeiter ist einer von vielen.
In den Wäldern ist im Winter Haupterntezeit. Die gefrorenen Böden können schonender vom schweren Gerät befahren werden, wie beim Ernteeinsatz im Irenental. Dort wird ein Fichtenwald durchforstet, schwächer wachsende Bäume werden gefällt, damit die Bäume, die bleiben, mehr Platz haben. Außerdem verfolge man so das Ziel, Mischwälder zu forcieren, mit einem breiteren Artenspektrum dafür zu sorgen, dass Wälder robuster werden, den Folgen des Klimawandels besser standhalten.
Betriebsleiter Wimmer spricht von einem Prinzip der Nachhaltigkeit: Es werde nicht mehr Holz entnommen als wieder nachwachse. Trotzdem sorgen Arbeiten wie diese für Konflikte. Mit Waldbesuchern, die es kritisch sehen, dass Bäume überhaupt gefällt werden. Oder mit jenen, die Sperrgebiete missachten und sich in Gefahr bringen.
Offen für alle. Denn nie war in den Wäldern mehr los als im vergangenen Jahr. Um Outdoorsport von Wandern, Tourengehen bis Mountainbiken gab es schon zuvor einen Boom. Aber seit in der Pandemie viele andere Arten der Freizeitgestaltung nicht möglich sind, geht man eben in den Wald. Das können Waldbesitzer an sich niemandem verbieten – seit der Waldöffnung 1975 dürfen Erholungssuchende den Wald zu Fuß immer betreten. Befahren (aller Art), Reiten oder auch Zelten ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis gestattet.
Nicht betreten darf man außerdem Jungwaldflächen, die eine Höhe von drei Metern noch nicht erreicht haben, gekennzeichnetes forstliches Sperrgebiet oder forstbetriebliche Einrichtungen, etwa Lagerplätze.
Handhabe dagegen gibt es aber kaum. Und die meisten Waldbesitzer – manche stellen die Waldöffnung angesichts des Andrangs auch infrage – wollen an sich auch niemanden aus den Wäldern bannen, wie es etwa von den Bundesforsten heißt. Dort spricht man von „Miteinander“– und von Respekt vor der Natur, die vielen vermeintlichen Naturfreunden doch fehle.
Schließlich suchen alle im Wald die Ruhe, Stille, die Natur – und bringen doch genau die durcheinander. Besonders im Winter ist das Ökosystem sensibel, die Waldtiere brauchen Ruhe. Rehe, Hasen und Co. sind quasi im Energiesparmodus. Sie drosseln Stoffwechsel, Körpertemperatur, Herzfrequenz und Atmung. Wird ein Tier von einem Radfahrer oder, das ist häufig, Hund aufgeschreckt und muss flüchten, kann das lebensbedrohlich sein.
Vor allem Sportler oder Erholungssuchende abseits der Wege sorgen für Probleme. Dabei gäbe es allein im Wienerwald 1250 Kilometer ausgeschilderte Mountainbikewege, ab März dürfen diese tagsüber auch wieder befahren werden, auch von Spazierwegen ist der Wald flächendeckend durchzogen.
Seit sonst alles zu ist, ist der Wald beliebt wie nie – das bringt Konflikte um die Nutzung. Gerade im Winter wird das empfindliche System gestört – und es kann gefährlich werden.
Sportler versus Förster, Hundehalter versus Jäger – es gibt viele Konflikte.
Alle suchen Ruhe, Stille, Natur – manchmal stört man genau diese dabei empfindlich.
Und, man möchte meinen, es gäbe hierzulande an sich genug Wald, als dass Erholungssuchende und Nutzer aller Art sich nicht in die Quere kommen müssten. Mit statistisch fast 0,5 Hektar, also 5000 Quadratmetern Wald pro Person steht den Einwohnern Österreichs so viel Wald zur Verfügung wie kaum anderswo. In Deutschland sind es etwa nur 0,14 Hektar pro Person. Weil frühere landwirtschaftlich genutzte Flächen wie Almen oder Weiden ebenso wie Schotterflächen oder Blockhalden wieder zu Wald werden, wächst die Waldfläche auch.
Fast im Gänsemarsch. Aber auch der Nutzungsdruck nimmt zu, vor allem nahe den Ballungsräumen. Um Wien spaziert man an sonnigen Sonntagen – seit der Pandemie sogar im Schneematsch – manchmal fast im Gänsemarsch. Die Forstbetriebe der Stadt berichten ebenso wie die Bundesforste von so vielen Waldbesuchern wie nie. Die Bundesforste gehen zuletzt von rund 20 Millionen Besuchen pro Jahr österreichweit aus.
Nicht erst seit Corona gibt es so etwas wie einen Trend um das Thema. Bücher über den Wald und sein Ökosystem wurden zu Bestsellern. Es gibt Filme dazu, ebenso Waldseminare,
Waldcoaches, Dinge wie Waldbaden, Waldyoga – und seit Corona hat sich dieses Interesse noch verstärkt.
Schutzzonen und Besucherlenkung. Auch beim WWF beobachtet man dieses wachsende Interesse. „Das ist sehr positiv, die starke Nutzung ist ja nachvollziehbar und gut für die Gesundheit, aber teilweise gerät das Ökosystem durch starke Freizeitnutzung sehr unter Druck“, sagt WWF-Waldexpertin Karin Enzenhofer (siehe rechts). Und der Nutzungsdruck bringt Konflikte:
Tourengeher (man wirft ihnen etwa vor, Jungwälder zu zertrampeln) versus Förster, Mountainbiker versus Forstarbeiter, Hundehalter versus Jäger, Besucher, die mit dem Auto kommen und Flächen verparken, versus die Besitzer dieser, der alte Konflikt Jäger gegen Tierschützer oder Naturfreunde gegen Forstarbeiter flammt auch immer wieder auf. Und manchmal wird der Wald zur Konfliktzone: Mit zerkratzten Autos, gespannten Drähten gegen Biker, oder Schreiduellen, an einem Ort, an dem eigentlich alle die Ruhe so schätzen. Waldbewirtschafter wie die Bundesforste
oder Organisationen wie der Alpenverein, der zugleich Outdoorsportler wie Umweltinteressen vertritt, arbeiten an einer Befriedung dieser Konflikte: Es gehe um Besucherlenkung, um Bewusstseinsbildung, um Information.
Indem etwa (noch mehr) Wege zur spezifischen Nutzung ausgeschildert werden, noch deutlicher auf Lebensräume und ihren Schutzbedarf hingewiesen wird, etwa um Futterstellen. Oder, indem, auch das wird diskutiert, Sperrgebiete zum Schutz der Tierwelt ausgeschildert werden – damit auch die im Wald wieder ihre Ruhe finden.
4 Mio.
Hektar Wald gibt es in Österreich – damit sind 47 Prozent der Fläche Österreichs bewaldet.
82
Prozent der Waldfläche Österreichs ist in Privatbesitz. In wenigen Staaten ist der Anteil privaten Waldes so hoch.
145
Tausend Waldbesitzer gibt es in Österreich etwa. Rund die Hälfte der privaten Wälder gehört Besitzern kleinerer Flächen,oft Landwirten. Zu den größten Waldbesitzern zählt der frühere Adel (MayrMelnhof, Esterh´azy, Schwarzenberg’sche Familienstiftung, usw.) und die Kirche.
18
Prozent der Waldfläche sind in öffentlichem Besitz: Rund 15 Prozent des heimischen Waldes verwalten die Bundesforste, die restlichen drei Prozent sind im Besitz von Ländern und Gemeinden.
3,4
Milliarden Bäume und 65 verschiedene Baumarten gibt es in Österreich. Pro Sekunde entsteht in den heimischen Wäldern etwa ein Kubikmeter Holz.
Diese Zahlen stammen aus der Österreichischen Waldinventur (ÖWI), die seit 1961 vom Bundesforschungszentrum für Wald (BFW) erstellt wird.