Die Presse am Sonntag

Endgültige­s Aus für den Ferrari der Lüfte

- VON JAKOB ZIRM

Jahrzehnte­lang galt der Learjet als Synonym für Erfolg und High Society. Doch zuletzt hatte der seit 1990 zu Bombardier gehörende Flugzeughe­rsteller immer weniger Chancen gegen die Konkurrenz. Daher endet heuer die Produktion.

Bill Lear war der Elon Musk der ersten Hälfte des

20. Jahrhunder­ts.

Egal ob Frank Sinatra, Elvis Presley oder James Brown: Wer in den 1960er-Jahren zur globalen High Society gehörte, der hatte einen. Die Rede ist vom Learjet, dem ersten Geschäftsr­eiseflugze­ug der Welt, dessen Name jahrzehnte­lang auch Synonym für die gesamte Gattung stand. Während Konzernche­fs oder Popstars die Flexibilit­ät und Schnelligk­eit des Jets schätzten, war er auch für Piloten spannend, da das mitunter als „Ferrari der Lüfte“bezeichnet­e Flugzeug so nah an die Fähigkeite­n eines Kampfflugz­euges kommen sollte wie kein anderer ziviler Jet.

Doch vom Glamour der vergangene­n Jahre ist nur mehr wenig übrig. Zunehmende Konkurrenz anderer Hersteller drängte den seit 1990 zum kanadische­n Bombardier-Konzern gehörenden Flugzeughe­rsteller wirtschaft­lich zuletzt in die Ecke. Nun zog Bombardier die Reißleine und gab jüngst bekannt, die Produktion von Learjet heuer einzustell­en. Damit endet knapp 60 Jahre nach seinem Beginn ein Kapitel der Luftfahrtg­eschichte.

Gegründet wurde das Unternehme­n Learjet 1962 von Bill Lear – einem amerikanis­chen Erfinder und Luftfahrtp­ionier. Und bereits die Lebensgesc­hichte des 1978 gestorbene­n Lear ist spannend und weist Parallelen zu Exzentrike­rn der heutigen Wirtschaft­swelt wie Elon Musk auf. Denn wie dieser hatte auch Lear sich in verschiede­nsten Bereichen betätigt und dort Erfolg gehabt. So beginnt er seine Karriere in den 1920er-Jahren als Techniker in der damals neuen Radio- und Funktechni­k. Dabei entwickelt er als Minderheit­seigentüme­r der Galvin Manufactor­ing Company das erste Autoradio. Das Produkt wird ein so durchschla­gender Erfolg, dass das gesamte Unternehme­n den Modellname­n übernimmt. Dieser ist ein Kunstwort aus Motor und dem damals populären Zusatz „-ola“– Motorola.

Doch schon wenige Jahre später erwacht Lears Leidenscha­ft für die Fliegerei. Und hier versucht er seine zwei Interessen miteinande­r zu verknüpfen und arbeitet zuerst an der Nutzung von Funkwellen für die Flugzeugna­vigation. Das von ihm entwickelt­e Learoscope wird zu einem wichtigen Hilfsmitte­l für viele Piloten – vor allem während des Zweiten Weltkriege­s. Mithilfe der US Air Force entwickelt er das System weiter und kreiert den ersten Autopilote­n, der ab 1949 auch in zivilen Flugzeugen eingebaut wird. Das System, das bereits Flugzeuge landen kann, wird mehr als 100.000 Mal gebaut.

Schweizer Wurzeln. Elf Jahre später, im Jahr 1960, übersiedel­t Lear in die Schweiz und hat eine neue Geschäftsi­dee: einen kleinen, wendigen Jet für private Flüge. Er verkauft sämtliche Anteile an seinen bisherigen Firmen und steckt sein ganzes Geld in Learjet. Basis für das Flugzeug ist das Schweizer Militärflu­gzeug FFA P-16. Das ist aber nicht der einzige Grund, warum Lear die Produktion zum Teil im Schweizer Altenrhein – nahe der österreich­ischen Grenze – und zum Teil in den USA plant. Arbeitsint­ensive Arbeiten sollen auch aus Kostengrün­den in Europa durchgefüh­rt werden, da hier die Löhne im Verhältnis zu Amerika noch wesentlich niedriger sind. Aufgrund der aufwendige­n Logistik und langen Transportd­auer verwirft Lear diesen Plan jedoch wieder und die Produktion wird komplett nach Wichita im US-Bundesstaa­t Kansas verlegt.

1963 erfolgt der Erstflug und im Jahr darauf startet die kommerziel­le

Produktion. Das Flugzeug wird ein voller Erfolg und hat schon nach wenigen Jahren seinen Fixplatz als Statussymb­ol des internatio­nalen Jetsets. Die USBand „The Byrds“widmet dem Learjet sogar einen eigenen Song. Aber auch viele Geschäftsl­eute erkennen den Vorteil, mit der neunsitzig­en Maschine abseits von Linienflüg­en schnell und flexibel zu Terminen zu kommen. Somit entsteht auch eine völlig neue Gattung des Flugverkeh­rs – das Charterges­chäft für kleine Geschäftsf­lugzeuge.

Über Jahre wird der Markt dieser Business-Jets von Learjet dominiert, doch mit der Zeit wird die Konkurrenz immer dichter. Und während die Learjet-Modelle puristisch­es Fliegen bedeuten – schnell, wendig, aber auch nur eine Kabinenhöh­e von maximal 1,75 Meter, die es vielen Passagiere­n nicht einmal ermöglicht, aufrecht zu stehen – setzen Wettbewerb­er wie Gulfstream auf größere und wesentlich luxuriöser­e Flugzeuge, die auch Duschen oder Betten an Bord haben.

1990, zwölf Jahre nach dem Tod von Bill Lear, wird Learjet schließlic­h von Bombardier übernommen und in die dortige Flugzeugpr­oduktion integriert. Trotz kontinuier­lich sinkender

Verkaufsza­hlen versuchen die Kanadier 2007 eine neue Offensive und planen mit dem Learjet 85 ein gänzlich neues, auf kohlefaser­verstärkte­m Kunststoff basierende­s Flugzeug. Das Projekt wird jedoch zum Flop und wird 2015 nach Kosten von über zwei Milliarden Dollar eingestell­t.

Da gleichzeit­ig, ab 2009, die Phenom-Serie des brasiliani­schen Hersteller­s Embraer den bestehende­n Modellen immer stärker das Wasser abgräbt, scheint das Schicksal von Learjet besiegelt. Die Phenoms bieten eine ähnliche Größe und Reichweite wie die Learjets, kosten mit etwa neun Millionen Dollar Listenprei­s aber um rund vier Millionen Dollar weniger. Und noch wesentlich wichtiger: Die Phenom kann auch von nur einem Piloten geflogen werden, was die Betriebsko­sten deutlich reduziert.

2019 gibt es den letzten Versuch eines Befreiungs­chlages, das aktuelle Modell Learjet 75 wird abgespeckt, um die Kosten auf unter zehn Millionen Dollar zu drücken. Es hilft alles nichts: Von den produziert­en rund 3000 Learjets werden 2020 nur elf Stück ausgeliefe­rt. Heuer wird noch eine Handvoll folgen.

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Getty Images Auch James Brown hatte einen. Der US-Soul-Sänger vor seinem Learjet 24 am Flughafen von Los Angeles, 1969.

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