Immunsystem an Gehirn
Was im Kopf vor sich geht, wird von der Körperabwehr beeinflusst. Sie kann dem Gedächtnis helfen, aber auch furchtsam machen.
Das Immunsystem unterstützt das Gehirn beim Aufbau von Erinnerung und beim Lernen.
Das Gehirn und das Immunsystem sind nicht nur die komplexesten Bestandteile des Körpers, beide haben auch etwas Besonderes, ein Gedächtnis. Für das sorgt im Immunsystem der adaptive Ast, er besteht etwa aus T-Zellen, die unspezialisiert sind („naiv“) und sich nach ihrer ersten Begegnung mit etwas Körperfremdem wie einem Bakterium dessen Biosignaturen merken und sich für spätere Begegnungen bereit halten. Das Gehirn erinnert ganz anders – durch Verstärkung der Verbindungen zwischen Zellen, verstanden ist es immer noch wenig –, und das Gehirn ist auch sonst in vielem anders als der restliche Körper, es ist von ihm abgeschottet und „immuntolerant“, hat ein schwächeres Immunsystem – mit anderen Abwehrzellen: Mikroglia –, und es kann sich das leisten, weil schwer etwas in das Gehirn eindringt, dafür sorgt die Blut-Hirn-Schranke. Ist also die angezogene Parallele der beiden Gedächtnisse etwas ganz Äußerliches?
Nein, das Gehirn und das Immunsystem kommunizieren miteinander, man beachtete es nur lang nicht, weil beide kompliziert genug sind. Dann zeigten sich zunächst Einflüsse des Gehirns auf das Immunsystem: Bei längerem Stress dämpft es mit seinen Stresshormonen – Glukokortikoiden – die Aktivität des Immunsystems, das scheint widersinnig, aber das Gehirn braucht bei Stress möglichst viel Energie für sich. So kann sich etwa eine einfache Erkältung im Körper ausbreiten, und die Abwehr muss sich gedulden, bis etwa eine wichtige Prüfung vorbei ist, dann kommt das Fieber, gern auch zu Urlaubsbeginn, viele haben diese Erfahrung gemacht.
Dass es auch anders herum geht, zeigte sich ausgerechnet am Gedächtnis. Das bemerkte als einer der Ersten Jonathan Kipnis (Washington University St. Louis) an Mäusen, deren T-Zellen er gentechnisch ausgeschaltet hatte: Wenn diese Tiere in wassergefüllte Becken gesetzt wurden, in denen es irgendwo knapp unter der Oberfläche eine versteckte Plattform gab, dann fanden sie die nach einigem Herumschwimmen und stellten sich darauf, wie andere Mäuse auch. Aber beim nächsten Mal mussten sie wieder suchen, anders als Mäuse mit T-Zellen, die erinnerten sich. Das lag an einem Botenstoff dieser Zellen – Interleukin-4, IL-4 –, er hielt das Gedächtnis wach (Pnas 101, S. 8180).
Das nahm Kipnis’ Postdoc Anthony Filiano (Duke) auf, er bemerkte, dass Mäuse ohne T-Zellen weniger soziale Bezüge aufbauten, es lag an einem anderen Botenstoff – Interferon-Gamma –, und als er die Rezeptoren dafür im präfrontalen Kortex von Mäusen mit T-Zellen ausschaltete, stellte sich der gleiche Effekt ein (Nature 535, S. 425). Als Nächste führte Tiryaone Brombacher (University of Cape Town) Kipnis’ Experiment weiter, sie fand eine noch stärkere Wirkung auf das Gedächtnis als die von IL-4 durch IL-13: „Tiere ohne IL-13 konnten schlichtweg nicht lernen“, erinnerte sie sich gegenüber dem Scientist (November).
Soziale Defizite. Wieder ein anderes Interleukin – IL-17 – fiel Gloria Choi (MIT) auf, diesmal störte ein Zuviel das Verhalten, und zwar das soziale des Nachwuchses: Wenn trächtige Mäuseweibchen Infektionen haben und die Produktion von IL-17 hochfahren, leiden später die Jungen an sozialen Defiziten, die denen des Autismus-Syndroms ähnlich sind (Science 351, S. 933). Es geht also nicht immer um ein Zuwenig – an Aktivität des Immunsystems –, es geht um das Maß, und um die Zeit: Bei manchen Menschen wird das Autismus-Syndrom gemildert, wenn sie Fieber haben. Das fand Choi im nächsten Schritt auch an ihren Mäusen, deren Immunsystem sie mit (harmlosen) Zellwänden von Bakterien aktivierte: Diese ausgewachsenen Tiere wurden sozialer, und das überraschenderweise durch den gleichen Botenstoff, der Föten weniger sozial macht, IL-17 (Nature 577, S. 249).
Es liegt also alles an der Feinabstimmung, das rückt das Ziel einer therapeutischen Nutzung – um die es allen geht: Kipnis ist hinter Schizophrenie her (Pnas 101, S. 8180), Brombacher hinter intellektuellen Defiziten von Kindern durch in Südafrika häufige Wurminfektionen (Scientific Reports 8:2958) – in die Ferne. Und dann müssen die Zellen des Immunsystems – bzw. ihre Botenstoffe
bzw. potenzielle Pharmaka – auch erst einmal in das Gehirn hinein. Im restlichen Körper gibt es für den Transport von Immunzellen (und das Entsorgen von Müll) ein eigenes Leitungssystem, das lymphatische. Aber im Gehirn konnte man es lang nicht finden, möglicherweise war es auch in Vergessenheit geraten, manche Quellen sprechen von seiner Entdeckung durch Anatomen Anfang des 19. Jahrhunderts.
Wie auch immer: 2013 wurde ein Netz von Lymphgefäßen im Gehirn gefunden, von Maiken Nedergaard (Rochester), sie nannte es „glymphatisches System“, weil das Netz sich nicht durch die Nervenzellen des Gehirns zieht, sondern durch die stützenden Gliazellen (Translational Medicine 11, S. 107). Zu denen zählen auch Astrozyten, sie sind die Verbindungsglieder zwischen Immunsystem und Nervenzellen,
Das Immunsystem kann zu Defiziten im Sozialverhalten führen, sie aber auch mildern.
durch sie gelangen Botenstoffe hinein, auch deren bloße Anwesenheit um die Astrozyten herum kann reichen, deren Verhalten zu modifizieren.
Und mit ihm das der Träger der Gehirne. Dabei geht es nicht nur um Erinnerung – auch des Kurzzeitgedächtnisses, durch IL-17, Julie Ribot (Lissabon) hat es bemerkt (Science Immunology 11, eaay5199) – und um Sozialverhalten, sondern auch um Furcht, das ist Kipnis’ jüngster Befund, diesmal gewonnen im Verein mit seinem Postdoc Alves de Lima, wieder an Mäusen (Nature Immunology 14.9.): Wenn der Körper auf eine Infektion mit einer vermehrten Ausschüttung von Immunbotenstoffen reagiert, hat einer davon, IL-17, eine besondere Wirkung: Die Mäuse werden ängstlicher, sie streifen weniger herum, erkunden die Umgebung kaum.
Möglicherweise hilft das, weitere Infektionen zu verhindern, spekuliert de Lima: „Das Immunsystem und das Gehirn haben sich in Ko-Evolution entwickelt. Die Wahl von Molekülen, die uns gleichzeitig immunologisch und im Verhalten vor Pathogenen schützen, ist ein kluger Weg, uns vor Infektionen zu schützen.“