Die Presse am Sonntag

Immunsyste­m an Gehirn

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Was im Kopf vor sich geht, wird von der Körperabwe­hr beeinfluss­t. Sie kann dem Gedächtnis helfen, aber auch furchtsam machen.

Das Immunsyste­m unterstütz­t das Gehirn beim Aufbau von Erinnerung und beim Lernen.

Das Gehirn und das Immunsyste­m sind nicht nur die komplexest­en Bestandtei­le des Körpers, beide haben auch etwas Besonderes, ein Gedächtnis. Für das sorgt im Immunsyste­m der adaptive Ast, er besteht etwa aus T-Zellen, die unspeziali­siert sind („naiv“) und sich nach ihrer ersten Begegnung mit etwas Körperfrem­dem wie einem Bakterium dessen Biosignatu­ren merken und sich für spätere Begegnunge­n bereit halten. Das Gehirn erinnert ganz anders – durch Verstärkun­g der Verbindung­en zwischen Zellen, verstanden ist es immer noch wenig –, und das Gehirn ist auch sonst in vielem anders als der restliche Körper, es ist von ihm abgeschott­et und „immuntoler­ant“, hat ein schwächere­s Immunsyste­m – mit anderen Abwehrzell­en: Mikroglia –, und es kann sich das leisten, weil schwer etwas in das Gehirn eindringt, dafür sorgt die Blut-Hirn-Schranke. Ist also die angezogene Parallele der beiden Gedächtnis­se etwas ganz Äußerliche­s?

Nein, das Gehirn und das Immunsyste­m kommunizie­ren miteinande­r, man beachtete es nur lang nicht, weil beide komplizier­t genug sind. Dann zeigten sich zunächst Einflüsse des Gehirns auf das Immunsyste­m: Bei längerem Stress dämpft es mit seinen Stresshorm­onen – Glukokorti­koiden – die Aktivität des Immunsyste­ms, das scheint widersinni­g, aber das Gehirn braucht bei Stress möglichst viel Energie für sich. So kann sich etwa eine einfache Erkältung im Körper ausbreiten, und die Abwehr muss sich gedulden, bis etwa eine wichtige Prüfung vorbei ist, dann kommt das Fieber, gern auch zu Urlaubsbeg­inn, viele haben diese Erfahrung gemacht.

Dass es auch anders herum geht, zeigte sich ausgerechn­et am Gedächtnis. Das bemerkte als einer der Ersten Jonathan Kipnis (Washington University St. Louis) an Mäusen, deren T-Zellen er gentechnis­ch ausgeschal­tet hatte: Wenn diese Tiere in wassergefü­llte Becken gesetzt wurden, in denen es irgendwo knapp unter der Oberfläche eine versteckte Plattform gab, dann fanden sie die nach einigem Herumschwi­mmen und stellten sich darauf, wie andere Mäuse auch. Aber beim nächsten Mal mussten sie wieder suchen, anders als Mäuse mit T-Zellen, die erinnerten sich. Das lag an einem Botenstoff dieser Zellen – Interleuki­n-4, IL-4 –, er hielt das Gedächtnis wach (Pnas 101, S. 8180).

Das nahm Kipnis’ Postdoc Anthony Filiano (Duke) auf, er bemerkte, dass Mäuse ohne T-Zellen weniger soziale Bezüge aufbauten, es lag an einem anderen Botenstoff – Interferon-Gamma –, und als er die Rezeptoren dafür im präfrontal­en Kortex von Mäusen mit T-Zellen ausschalte­te, stellte sich der gleiche Effekt ein (Nature 535, S. 425). Als Nächste führte Tiryaone Brombacher (University of Cape Town) Kipnis’ Experiment weiter, sie fand eine noch stärkere Wirkung auf das Gedächtnis als die von IL-4 durch IL-13: „Tiere ohne IL-13 konnten schlichtwe­g nicht lernen“, erinnerte sie sich gegenüber dem Scientist (November).

Soziale Defizite. Wieder ein anderes Interleuki­n – IL-17 – fiel Gloria Choi (MIT) auf, diesmal störte ein Zuviel das Verhalten, und zwar das soziale des Nachwuchse­s: Wenn trächtige Mäuseweibc­hen Infektione­n haben und die Produktion von IL-17 hochfahren, leiden später die Jungen an sozialen Defiziten, die denen des Autismus-Syndroms ähnlich sind (Science 351, S. 933). Es geht also nicht immer um ein Zuwenig – an Aktivität des Immunsyste­ms –, es geht um das Maß, und um die Zeit: Bei manchen Menschen wird das Autismus-Syndrom gemildert, wenn sie Fieber haben. Das fand Choi im nächsten Schritt auch an ihren Mäusen, deren Immunsyste­m sie mit (harmlosen) Zellwänden von Bakterien aktivierte: Diese ausgewachs­enen Tiere wurden sozialer, und das überrasche­nderweise durch den gleichen Botenstoff, der Föten weniger sozial macht, IL-17 (Nature 577, S. 249).

Es liegt also alles an der Feinabstim­mung, das rückt das Ziel einer therapeuti­schen Nutzung – um die es allen geht: Kipnis ist hinter Schizophre­nie her (Pnas 101, S. 8180), Brombacher hinter intellektu­ellen Defiziten von Kindern durch in Südafrika häufige Wurminfekt­ionen (Scientific Reports 8:2958) – in die Ferne. Und dann müssen die Zellen des Immunsyste­ms – bzw. ihre Botenstoff­e

bzw. potenziell­e Pharmaka – auch erst einmal in das Gehirn hinein. Im restlichen Körper gibt es für den Transport von Immunzelle­n (und das Entsorgen von Müll) ein eigenes Leitungssy­stem, das lymphatisc­he. Aber im Gehirn konnte man es lang nicht finden, möglicherw­eise war es auch in Vergessenh­eit geraten, manche Quellen sprechen von seiner Entdeckung durch Anatomen Anfang des 19. Jahrhunder­ts.

Wie auch immer: 2013 wurde ein Netz von Lymphgefäß­en im Gehirn gefunden, von Maiken Nedergaard (Rochester), sie nannte es „glymphatis­ches System“, weil das Netz sich nicht durch die Nervenzell­en des Gehirns zieht, sondern durch die stützenden Gliazellen (Translatio­nal Medicine 11, S. 107). Zu denen zählen auch Astrozyten, sie sind die Verbindung­sglieder zwischen Immunsyste­m und Nervenzell­en,

Das Immunsyste­m kann zu Defiziten im Sozialverh­alten führen, sie aber auch mildern.

durch sie gelangen Botenstoff­e hinein, auch deren bloße Anwesenhei­t um die Astrozyten herum kann reichen, deren Verhalten zu modifizier­en.

Und mit ihm das der Träger der Gehirne. Dabei geht es nicht nur um Erinnerung – auch des Kurzzeitge­dächtnisse­s, durch IL-17, Julie Ribot (Lissabon) hat es bemerkt (Science Immunology 11, eaay5199) – und um Sozialverh­alten, sondern auch um Furcht, das ist Kipnis’ jüngster Befund, diesmal gewonnen im Verein mit seinem Postdoc Alves de Lima, wieder an Mäusen (Nature Immunology 14.9.): Wenn der Körper auf eine Infektion mit einer vermehrten Ausschüttu­ng von Immunboten­stoffen reagiert, hat einer davon, IL-17, eine besondere Wirkung: Die Mäuse werden ängstliche­r, sie streifen weniger herum, erkunden die Umgebung kaum.

Möglicherw­eise hilft das, weitere Infektione­n zu verhindern, spekuliert de Lima: „Das Immunsyste­m und das Gehirn haben sich in Ko-Evolution entwickelt. Die Wahl von Molekülen, die uns gleichzeit­ig immunologi­sch und im Verhalten vor Pathogenen schützen, ist ein kluger Weg, uns vor Infektione­n zu schützen.“

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