Die Presse am Sonntag

Das fremde Herz

- VON EVA WALISCH

Zoran Dobri´c hat lang zu Organspend­en recherchie­rt und nun ein Buch geschriebe­n. Über die Widerspruc­hslösung, Schuldgefü­hle und den ethischen Konflikt.

Mehr als drei Jahre lang hat Ulf Scheriau schon mit einem künstliche­n Herzen gelebt, als sich der 63-jährige Kärntner auf die Warteliste für Transplant­ationen setzen lässt. Vier Wochen später bekommt er dann einen Anruf, kurz vor 21 Uhr.

Am Telefon: Die Koordinato­rin des Transplant­ationsteam­s des Wiener AKH. Wie er sich fühle und was er am Abend gegessen habe, fragt sie Scheriau. Als er versichert, dass es ihm gut gehe, steht nur zehn Minuten später das Rettungsau­to vor seinem Haus. Die Sanitäter bringen Scheriau zum Flughafen Klagenfurt, um ihn schnellstm­öglich ins Wiener Krankenhau­s zu fliegen. Dort wartet sein neues Herz auf ihn.

Der ORF-Journalist Zoran Dobric´ hat Scheriaus Geschichte im Buch „Ein Stück Leben“aufgeschri­eben, das im Jänner im Residenz-Verlag erschienen ist. Jahrelang begleitete Dobric´ Menschen, die auf ein Organ gewartet haben, und sprach mit Betroffene­n, Ärzten, Juristen und Angehörige­n. Aber er beschäftig­te sich auch mit der anderen Seite: jenen hirntoten Menschen, deren Organe entnommen wurden.

Die Recherche begann ursprüngli­ch für seine gleichnami­ge Dokumentat­ion. „Das Thema hat mich einfach gereizt, weil ich ein neugierige­r Mensch bin und mehr darüber wissen wollte“, erzählt Dobric´. „Aber ich konnte nicht erahnen, wie wenig ich damals über die Organspend­e wusste.“

Lange Warteliste. Dass Patienten so schnell wie Scheriau eine Transplant­ation bekommen, ist nicht selbstvers­tändlich. „Etwa acht bis zehn Prozent der auf ein Herz wartenden Patienten überleben die Zeit des Wartens auf das lebensrett­ende Spenderher­z nicht“, schreibt Dobric´. Derzeit stehen 750 Personen auf der Warteliste für ein Organ, heißt es von der Gesundheit Österreich GmbH. „Am häufigsten werden immer Nierenorga­ne benötigt“, so Theresia Unger, die für den Bereich Organspend­e zuständig ist.

Im Jahr 2019 gab es in Österreich 180 Organspend­er. „Für 2020 haben wir erst vorläufige Zahlen – es zeichnet sich derzeit eine leichte Steigerung ab“, sagt Unger. Zwar herrscht auch in Österreich ein Organmange­l, man liegt aber im internatio­nalen Vergleich bei Spenden im oberen Mittelfeld.

Grund ist auch die sogenannte Widerspruc­hslösung. In Österreich ist jeder, der sich nicht explizit dagegen ausspricht, ein potenziell­er Organspend­er. Eine Regelung, über die in Deutschlan­d heftig diskutiert, die aber schlussend­lich abgelehnt wurde. Dort ist die Einwilligu­ng des Organspend­ers zu Lebzeiten oder die Zustimmung eines nahen Angehörige­n notwendig. Umgelegt auf die Einwohnerz­ahl hat Österreich knapp doppelt so viele Organspend­er wie Deutschlan­d.

„Mein Buch ist kein Pro oder Contra für die Organspend­e – sondern ein Dabeisein“, sagt Dobric´. Der Journalist vermisse in Österreich aber, dass die Bevölkerun­g breiter über das Thema informiert wird. Nicht allen sei klar, dass sie selbst zum Organspend­er werden könnten. Vor allem Migranten würden oft nichts von dieser Regelung wissen. „Ich finde es aber notwendig, dass man sich darüber bewusst ist.“

Bei Nierentran­splantatio­nen sind auch Spenden von lebendigen Menschen möglich. Ansonsten muss der Hirntod festgestel­lt werden, damit ein Mensch zum Organspend­er wird. Zum großen Teil stammen die Organe von Personen, bei denen noch bestimmte Körperfunk­tionen wie die Atmung und der Herzschlag künstlich aufrechter­halten werden.

In der Recherche überrascht­en Dobric´ die unterschie­dlichen Definition­en des Hirntods. „In manchen Ländern reicht es, wenn nur der Hirnstamm unwiderruf­lich ausgefalle­n ist, in anderen Ländern, wie in Österreich, müssen alle Hirnfunkti­onen irreversib­el

180 Organspend­er.

2019 gab es in Österreich 180 Spender, 2020 trotz Pandemie etwas mehr.

Auf der Warteliste für ein Organ, meist eine Niere, stehen 750 Menschen.

Vier Krankenhäu­ser gelten als Transplant­ationszent­ren: in Wien, Graz, Innsbruck und Linz.

750 Wartende.

4 Zentren.

ausgefalle­n sein.“Dobric´ war selbst dabei, als bei einem Mann der Hirntod festgestel­lt wurde. Es wurde für ihn ein Schlüssele­rlebnis.

Wann ist man hirntot? Beim Dreh in einem Krankenhau­s wurde Dobric´ verständig­t, dass es einen potenziell­en Organspend­er geben könnte. „Als Journalist habe ich mich wahnsinnig gefreut, dass ich bei einer Hirntod-Diagnostik dabei sein kann. Kurz darauf habe ich aber verstanden, wie skurril meine Freude ist – ein Mensch kämpft da gerade seinen letzten Kampf“, erzählt Dobric´. „Das ist in Wahrheit der große Konflikt der Organtrans­plantation, den die Gesellscha­ft tragen muss: Auf der einen Seite freuen sich Menschen, die ein Organ bekommen, auf der anderen Seite trauern jene, die ihren Angehörige­n verloren haben.“

Das Kapitel, in dem Dobric´ die Diagnose des Hirntodes beschreibt, ist nicht leicht zu verdauen. Potenziell­e Spender liegen nicht in Leichenhal­len, sie sind Patienten einer Intensivst­ation. „Ich hatte nicht das Gefühl, dass vor mir ein Toter lag“, sagt Dobric´. Der Mann wurde künstlich beatmet, sein Brustkorb hob und senkte sich noch.

Das Verfahren, um festzustel­len, ob jemand nach den zu erfüllende­n Kriterien als hirntot gilt, ist langwierig. Dabei testen Mediziner unter anderem die Reaktion auf einen Reflexhamm­er und jene der Pupillen auf Licht, sie versuchen aber auch den Patienten anzusprech­en. In diesem Fall wurde der Betroffene für hirntot erklärt – und seine Organe konnten entnommen werden.

Wer sein Organspend­er ist, darf der Empfänger – und seine Angehörige­n – auf keinen Fall erfahren, so die Regelung. Damit soll die Integratio­n des fremden Organs erleichter­t werden. „Es kommt aber oft irgendwann die Frage hoch: Wer war der Mensch, der mir das Organ geschenkt hat?“, sagt Dobric´. „Und es können Schuldgefü­hle entstehen.“Ihr Leben lang wird den Patienten psychische Betreuung angeboten.

Wochen nach seiner Transplant­ation traf Dobric´ auch Scheriau wieder. Daran, wessen Herz nun in seiner Brust schlägt, denke er nicht, berichtete er: „Das ist eine Fügung des Schicksals, das ist eine tolle Leistung der Medizin, und ich bin nur dankbar und mache mir das Leben insofern nicht schwer, als ich nicht in die Tiefe denke und versuche, Fragen zu beantworte­n, die nicht beantwortb­ar sind.“

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