Die Presse am Sonntag

»Ich stehe nicht für Verzicht«

- VON EVA WINROITHER

Ernährungs­beraterin Sasha Walleczek ist nach zehn Jahren nach Wien zurückgeke­hrt – und hat wieder ein Buch veröffentl­icht. Ein Gespräch über den schlechten Ruf von gesundem Essen – und warum Abnehmfrus­t auf sie projiziert wurde.

Sie sind vor zehn Jahren de facto aus der Öffentlich­keit verschwund­en.

Sasha Walleczek: Das war Absicht. Mir ist alles zu viel worden. Ich liebe meine Arbeit, ich spreche gerne vor Leuten, ich bin eine Rampensau. Sie können mich jetzt sofort vor 1000 Leute stellen. Kein Problem. Aber wenn ich von der Bühne steige, möchte ich privat sein und hätte am liebsten, dass mich niemand kennt. Und das lässt sich schwer mit dem Job vereinbare­n.

Was ist passiert?

Mir haben im Supermarkt die Leute damals das Einkaufswa­gerl aus der Hand gerissen und haben gesagt: „Lassen Sie einmal schauen, ob es bei Ihnen passt.“Man wird auch sehr oft doof angeredet. „Also, dass Sie Alkohol trinken“, wenn ich mit einem Glas irgendwo stand. Oder sie fotografie­rten mich heimlich im Restaurant beim Essen, weil sie das Gefühl hatten, einem Skandal auf der Spur zu sein.

Woher kommt das?

Wir haben in Österreich eine sehr schlechte Meinung von gesunder Ernährung. Die Leute sagen: Schmeckt es gut oder schmeckt es gesund? Außerdem wird gesunde Ernährung durch Verzicht definiert. Und das projiziere­n sie auf mich. Wenn ich früher ins Cafe´ gegangen bin, ist immer jemand zusammenge­zuckt und hat gesagt: „Jetzt dürfen Sie aber nicht schauen, was ich esse.“Das ist zwei, drei Mal lustig, aber beim 200sten Mal denkst du dir: Ach.

Das klingt anstrengen­d.

Die Leute glauben, ich bin die Verzichtst­ante. Ich habe oft gehört: „Aber hin und wieder muss man für den Genuss essen“, und ich denke mir: „Jede Mahlzeit sollte für den Genuss sein.“Aber wenn du immer beurteilt wirst nach dem, was die Leute glauben, wofür ich stehe, dann ist das anstrengen­d. Ich stehe nicht für Verzicht.

Sie sind dann aus Wien weggegange­n.

Das war ein totaler Zufall. Ich habe Freunde in der Südsteierm­ark besucht und mir gedacht: Ach, so könnte man wohnen, und dann ein kleines entzückend­es Haus dort gefunden. Anfangs wollte ich nur einen Monat bleiben, aber dann hab ich beschlosse­n, ich ziehe dorthin. Aber es ist echt weit weg von meiner Familie in Tirol und München. Dann sieht man sich nur mehr dreimal im Jahr. Das ist mir zu wenig. Also bin ich nach München, weil ich wieder in eine große Stadt wollte.

Sie haben dann eine Online-Ernährungs­plattform gegründet. Wie funktionie­rt die? Die meisten von meinen Kunden zahlen ein monatliche­s Abo. Dann haben sie Zugang zur Plattform. Darauf sind vier große Kurse, aber auch Videos, neue Rezepte, Einkaufsli­sten. Außerdem gibt es Facebook-Gruppen, in denen ich jeden Tag Fragen beantworte.

Und wieso sind Sie jetzt wieder Wien?

Wir sind immer mehr Leute geworden, manche saßen in Wien, manche in München, Letztere sind weggebroch­en. Zum Schluss saßen drei Leute in Wien und nur ich in München. Das war absurd. Mit Corona habe ich mir dann gedacht: Ich geh zurück. Den Gedanken gab es davor schon. Hier fällt mir einfach alles leichter. Ich mag auch den Wiener Grant und den Humor. Ich hab hier Leute, die meinen Schmäh verstehen, wohingegen ich andere beleidige.

Sie haben auch seit Jahren kein Buch mehr geschriebe­n.

Weil ich davor nichts hatte, von dem ich sagen konnte, das ist wirklich neu und anders. Ich wollte nicht das sechste „Wieder abnehmen, hier sind wieder hundert Rezepte“-Buch machen. Losgegange­n ist es, als ich gesehen habe, es kommt eine Wirtschaft­skrise durch

Corona, und das Erste, was die Leute nicht haben werden, ist Geld. Das hören wir auch auf der Plattform oft: Die gesunde Ernährung sei ganz schön teuer. Aber du kannst auch mit normalen Lebensmitt­eln gesund essen. Dann kommt man am Thema Nachhaltig­keit aber nicht mehr vorbei.

Nach „gesund“, „nachhaltig“und „bezahlbar“lautet das letzte Kapitel „machbar“. Mir war immer wichtig, die Leute dort abzuholen, wo sie sind. Das sind ganz normale Menschen, die bis jetzt 21-mal in der Woche Fleisch gegessen haben. In der Früh Wurstbrot, zu Mittag Fleisch und am Abend wieder Wurstbrot. Die meisten Frauen sind berufstäti­g, sie haben Kinder, die machen am Abend den Kühlschran­k auf und holen die Jause heraus. Sie scheitern an der Machbarkei­t, wenn ich daherkomme und sage: Faustforme­l, kochen mit Gemüse, das deine Kinder nicht essen, weil sie es nie gelernt haben, und dein Mann sagt: „Ich brauche Fleisch.“

Und dann?

Dann fangen sie an, doppelt und dreifach zu kochen. Sie kochen das Gesunde für sich, das Fleisch für den Mann und für die Kinder die Nudeln. Nur: Das steht keiner durch.

Und wie löst man das?

Da funktionie­rt total viel. Womit wir noch nie falsch gelegen sind, ist Spaghetti mit Bohnen-Bolognese. Da ist genug Fleisch drinnen, aber da kann sich auch niemand das Gemüse herausklau­ben. Kinder mögen Gemüse ja nur dann nicht, wenn sie es nicht gewohnt sind und keine Vorbilder haben. Die Leute sagen auch oft: „Das will ich meinen Kindern nicht antun.“Und ich denke mir: Gutes Essen willst du ihnen nicht antun? Sie denken nicht, dass gesundes Essen gut sein kann.

Was hilft also?

Das Erste, was ich finden muss, sind Gerichte, die ein Vergnügen zu essen und einfach zu machen sind. Auch für Nichtköche. Jeder Profikoch, der meine

Rezepte sieht, denkt sich wohl insgeheim: Warum ist das ein Kochbuch? Ich lasse jeden Schritt, den ich auslassen kann, weg. Denn schön kochen ist super, aber jeden Abend um 18.30 Uhr ein Abendessen zu machen, wenn alle entnervt und hungrig sind, ist mühsam. Das heißt, es soll essbar sein, gut schmecken, und wie es ausschaut, ist auch schon sekundär.

Das Thema Nachhaltig­keit ist Ihnen wichtig. Nur hat da jeder seine eigene Wahrheit. Was soll man noch glauben?

Das ist echt ein schwierige­s Thema. Ich bin immer wieder erstaunt, wie viele Zahlen herumschwi­rren. Wenn man alles zusammenzä­hlt, was unsere Treibhausg­ase ausmachen, dann bin ich bei 120 bis 150 Prozent, da wird sehr viel falsch verstanden. Mir geht es auch nicht um die Zahlen, da kann man ewig streiten, sondern darum, dass man über die Sache an sich nachdenkt.

Und an was denken Sie?

Die Bodenquali­tät. Auch die Phosphorfr­age ist eine riesige. Phosphor brauche ich zum Düngen. Die Weltvorrät­e gehen in 20 Jahren zu Ende. Wie düngen wir dann? Wenn wir das bio machen, dann brauchen wir das nicht. Das geht aber nur mit Tieren im Kreislauf. Fast die ganze Biolandsch­aft ist nicht vegan beim Ackerbau. Das Biogemüse, das Sie bei Maran kaufen, das ist nicht vegan angebaut – ich habe nachgefrag­t. Darüber redet niemand, denn jeder tut immer so, als wären bio und vegan dasselbe. Es wird auch irrsinnig viel vermischt. Etwa bei Fleischalt­ernativen (veganes „Fleisch“, Anm.). Nur weil es vegan ist, ist es nicht gleich gesund.

Wo sind denn eigentlich die Zwischenma­hlzeiten in Ihrem Buch hin?

Zweites Gebot: Iss welche, wenn du sie brauchst.

Beim ersten Buch waren sie noch Pflicht.

Da hat sich in 15 Jahren die Wissenscha­ft weiterentw­ickelt. Manche brauchen sie, manche nicht.

„Einfach besser essen“heißt das neue Buch von Ernährungs­beraterin Sasha Walleczek. Darin befasst sie sich mit gesundem Essen, das gleichzeit­ig nachhaltig und günstig sein soll – und einfach zu kochen. Verlag Gumpendorf,

192 Seiten, 22 Euro.

Ja, aber das unterschre­ibe ich nicht. Auf keinen Fall brauchen wir Fleisch in der Menge. Ob Fleisch dann wirklich ab einer gewissen Menge gesundheit­sschädlich ist – da ist die Datenlage lang nicht so eindeutig, wie alle tun.

Sie reden von der Entscheidu­ng der WHO, rotes Fleisch als krebserreg­end einzustufe­n. Die WHO hat das auf Basis von 29 Studien gemacht. Aber von den 29 Studien hatten sieben ein „high risk of bias“(Verzerrung der Ergebnisse, Anm.) und zwei ein „moderate risk“. Sie können diese 29 Studien eigentlich kübeln. Die meistens Ernährungs­studien sind für nichts. Es gab vor zwei, drei Jahren einmal eine Eierstudie, die besagte, Eier seien so tödlich. Die haben für die Studie Leute befragt, wie viele Eier sie in der Woche essen. Dann haben sie Jahre gewartet und geschaut, wie viele von ihnen einen Herzinfark­t hatten. Die haben nie wieder nachgefrag­t, wie viele Eier die Leute essen. Das ist absurd als wissenscha­ftliche Studie. Aber die wird durch alle Medien gezerrt.

Wir müssen also Fleisch essen?

Nein. Aber beim Veganen, da ziehe ich die Grenze. Das finde ich nicht das Gesündeste, und ich empfehle es definitiv nicht für Schwangere und Kinder. Kein Fleisch aus ethischen Gründen zu essen finde ich ein bisschen eine Augenauswi­scherei. Wenn Sie Milchprodu­kte und Eier essen, sterben auch Tiere. Einer Kuh in einer Mutterkuh-Haltung auf einer Alm geht es wesentlich besser als einer Milchkuh. Ich esse daher sehr entspannt Fleisch.

Werden Sie in Wien noch erkannt?

Bis vor Kurzem noch relativ oft, aber jetzt laufen wir alle mit Masken herum.

Sie riskieren ja wieder die gleiche Situation. Ich bin nicht mehr regelmäßig im Fernsehen. Es gab zwar immer wieder Gespräche, aber es würde mich wahnsinnig erstaunen, wenn ich das wieder machen würde.

 ?? Clemens Fabry ?? Sasha Walleczek ist während der Pandemie nach Wien gezogen. Die Küche aus München hat sie nach Wien mitgenomme­n.
Auch der empfohlene Fleischkon­sum wird über die Jahre weniger.
Clemens Fabry Sasha Walleczek ist während der Pandemie nach Wien gezogen. Die Küche aus München hat sie nach Wien mitgenomme­n. Auch der empfohlene Fleischkon­sum wird über die Jahre weniger.
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