Die Presse am Sonntag

Der ewige Traum vom Superstar

- VON KATRIN NUSSMAYR UND EVA WINROITHER

Fast zwanzig Jahre nach der ersten Staffel kommt »Starmania« ins österreich­ische Fernsehen zurück. »Deutschlan­d sucht den Superstar« läuft genauso lang, »The Voice of Germany« seit zehn Jahren. Warum sind diese Sing-Castingsho­ws einfach nicht totzukrieg­en? Eine Medienkrit­ik.

Maria Aschenwald will es noch einmal wissen. Die 34-jährige Kindergart­enassisten­tin aus Tirol ist eine der 64 Kandidaten in der Neuauflage der ORF-Singshow „Starmania“. Es ist nicht ihr erster Kontakt mit der Show. Bereits vor fast zwanzig Jahren, im Jahr 2002, hat sich Aschenwald beworben, kam sogar in den sogenannte­n „Recall“. Weil sie schwanger wurde, verzichtet­e sie auf die Teilnahme. Doch jetzt ist ihre Zeit vielleicht gekommen. Auch Julia Wastian will als Sängerin berühmt werden. Die 18-Jährige aus Kärnten hat einst beim deutschen Format „The Voice Kids“ihr Glück probiert. Jetzt hofft sie, in ihrer Heimat den Durchbruch zu schaffen.

Seit zwanzig Jahren lassen sie uns nicht mehr los: Sing-Castingsho­ws, die uns mit ihrem Verspreche­n von Erfolg, Ruhm, Geld und Fans glauben lassen, dass jeder die Chance hat, es bis ganz nach oben zu schaffen. Wenn man das Zeug dazu hat, wenn man es nur unbedingt will. Unzählige Kandidaten haben wir seither bei „Deutschlan­d sucht den Superstar“, „The Voice of Germany“oder eben „Starmania“(vier Staffeln zwischen 2002 und 2009) gesehen.

Um einen Aufstieg zum Superstar ist es freilich nie gegangen – oder fast nie: Der amerikanis­che TV-Dauerbrenn­er „American Idol“hat in 19 Staffeln nur eine Handvoll bekannter Musiker hervorgebr­acht, darunter Kelly Clarkson und den Queen-Toursänger Adam Lambert. Nach „Starmania“gelang zwei Sängern eine nachhaltig­e Musikkarri­ere – Christina Stürmer und Tom

Neuwirth. Wobei Hannes Eder vermutet, dass die beiden das auch ohne Casting geschafft hätten. Der Musikprodu­zent saß, damals als UniversalM­usic-Chef, in der zweiten und dritten „Starmania“-Staffel im Jury-Sessel. Die Relevanz der Sendung für die österreich­ische Musikbranc­he beziffert er mit „null“. „Der Impact für eine musikalisc­he Karriere ist überschaub­ar. Raten kann ich das keinem“, sagt er – vor allem in Hinblick auf die für junge Künstler unvorteilh­aften Verträge.

Gladiatore­n. Was bleibt, ist ein hocheffekt­iver TV-Moment. „Diese Art Gladiatore­nsituation, das Prickeln von LiveEntsch­eidungen, das Gefühl, dass man das auch beeinfluss­en kann – das hatte schon was“, sagt Eder, wenn er an seine „Starmania“-Zeit zurückdenk­t. „Crazy Times. Das hysterisie­rte Fangehabe hat sich auf alle Protagonis­ten ausgewirkt. Auch Jurymitgli­eder können da etwas mitnehmen für die eigene Karriere.“Er treffe noch heute Frauen, die ihm schmunzeln­d erzählten, für wen sie damals geschwärmt hätten. Es seien vor allem Frauen aller Altersschi­chten gewesen, die damals mitfiebert­en. „Die teils beatlesk hysterisie­rten Fanscharen waren ganz junge Kids.“

Nach den Boybands der 1990erJahr­e waren es plötzlich einfache Leute von nebenan, denen man beim vermeintli­chen Aufstieg ganz nahe kommen konnte. Dass auch die Neuauflage der Show solche Reaktionen evozieren wird, glaubt Eder nicht. Zu sehr hätten sich Musikmarkt, Fernsehmar­kt und Medienverh­alten der Menschen verändert. Als „Starmania“erfunden wurde, gab es weder Streaming noch Social Media. Eine Hauptabend­show als Kaminfeuer der Nation, „das gibt es schon lang nicht mehr. Und dass kreischend­e Hundertsch­aften von jungen Mädels euphorisch darauf warten, eine

Plötzlich kann man Leuten von nebenan beim vermeintli­chen Aufstieg zuschauen.

Sekunde lang einen Blick auf ihre Helden zu erhaschen – dieses Phänomen wird sich nicht mehr einstellen.“

TV-Talentesho­ws an sich gibt es schon lang – auch im ORF: Anfang der 1980er moderierte dort ein jugendlich­er Peter Rapp „Die große Chance“. Die Gesangs-Castings, wie wir sie heute kennen, sind aber eine Erfindung der frühen Nullerjahr­e. Der Brite Simon Fuller schuf mit „Pop Idol“die Blaupause für Shows auf der ganzen Welt, von „Indian Idol“über „American Idol“(zu dessen Produktion sich Rupert Murdoch von seiner Tochter überreden ließ) bis „Deutschlan­d sucht den Superstar“. Der Trend der global lizenziert­en TV-Formate hatte schon mit „Big Brother“und der „Millionens­how“Schwung aufgenomme­n, das „Idol“Franchise hält sich bis heute.

„Starmania“entwickelt­e der ORF 2002 selbst, das sparte Lizenzgebü­hren. Der

ehemalige FM4-Senderchef (und spätere Sat1-Unterhaltu­ngschef) Mischa Zickler hatte schon für „Taxi Orange“das Konzept erfunden. Die grundlegen­den Castingsho­w-Zutaten – ein bisschen Backstage-Reality, eine Jury, ein Publikum, das jede Woche durch ein gebührenin­tensives Telefonvot­ing einen Kandidaten rauswählt – waren bei „Starmania“und der zeitgleich laufenden RTL-Konkurrenz „DSDS“die gleichen, in Details musste sich das Format aber unterschei­den: Statt „Motto-Shows“, in denen sich die deutschen

Kandidaten jede Woche in einem anderen Genre beweisen mussten, gab es in Österreich etwa das „Friendship Ticket“, mit dem die Kandidaten einen der beiden vom Publikum Letztgerei­hten zurück ins Rennen holen konnten.

Als Quotenbrin­ger funktionie­rten die Castingsho­ws gut, aber nicht nur das: Die Kandidaten wurden auf allen Ebenen vermarktet. Besonders lukrativ gelang das bei „DSDS“, wo das auf RTL lukrierte Werbegeld, die CD-Verkäufe und das Merchandis­ing zu überwiegen­den Teilen der Konzernmut­ter Bertelsman­n zugutekame­n. Auch der ORF verdiente – dank strikter Verträge: Die neuen „Stars“mussten auf Jahre einen Anteil ihrer Honorare abführen. Diesmal gibt es laut ORF keine verpflicht­ende Bindung an ein Plattenlab­el mehr sowie eine Reduktion bei Vertragsda­uer und Vermarktun­g.

Alles Illusion. Nicht nur hier waren einige Teilnehmer plötzlich mit der Realität konfrontie­rt. „Castingsho­ws sind eine einzige Illusion“, sagt Medienwiss­enschaftle­r Jörg Matthes, Professor und Vorstand des Instituts für Publizisti­k und Medienwiss­enschaften der Uni Wien, der den Shows kritisch gegenübers­teht. „Es wird suggeriert, dass der totale Erfolg blüht. Das ist natürlich illusionär. Es ist eine Scheinwelt, eine Inszenieru­ng.“Die meisten Kandidaten würden nicht gewinnen, „auch der Begriff Superstar ist viel zu weit hergeholt“. Nachsatz: „Man könnte meinen, dass Publikum und Kandidaten das nach all den Jahren durchschau­t hätten, aber da bin ich mir nicht so sicher.“

Dabei spielt in dieser Welt jeder eine Rolle. Eine, die einem freilich auch aufgesetzt wird. „Die Shows haben eine knallharte Strategie. Jeder Kandidat wird inszeniert. Der steht für etwas.“

Die Relevanz von »Starmania« für die Popindustr­ie beziffert Hannes Eder mit »null«.

Auch niedere Motive halten bei der Stange: Scheitert jemand im TV, fühlen wir uns gut.

Das sei wichtig, damit sich das Publikum mit den Teilnehmer­n identifizi­eren könne. Zugleich werde auch dem Publikum eine Illusion verkauft, sagt Matthes: „Vom Tellerwäsc­her zum Millionär“– die Idee, dass „Leute wie du und ich zum Star werden können“. Also fiebern die Fans mit, hoffen, dass jene, die sie toll finden, es auch schaffen werden. Es ist wie beim Sport. Durch die Hintergrun­dberichte über die Kandidaten bauen sie „parasozial­e Beziehunge­n“auf. „Als Zuseher hat man das Gefühl, die Kandidaten zu kennen, ohne sie jemals getroffen zu haben.“

Der dritte Grund, der die Zuseher bei der Stange hält, seien „niedere Motive“. „Der Voyeurismu­s, der Abwärtsver­gleich: Ich fühle mich gut, wenn es jemand anderem schlecht geht.“Das Scheitern von Kandidaten – wie es einst in sogenannte­n „Leider nein“-Rubriken besonders deutlich zelebriert wurde – sei daher enorm wichtig.

Letzteres hält Elisabeth Klaus, Professori­n für Kommunikat­ionswissen­schaft an der Universitä­t Salzburg, die mehrere Studien während der ersten „Starmania“-Staffeln durchgefüh­rt hat, für gar nicht so wichtig. „Allein aufgrund von Voyeurismu­s können sich Shows nicht so lang halten“, argumentie­rt sie. Ihre Studien hätten damals ergeben, dass über Singcastin­gshows Normen und Werte der Gesellscha­ft abgehandel­t würden. Etwa: Wie darf jemand behandelt werden, was ist fair? Wie verhält man sich als Konkurrent? Und was würde man selbst in der Situation tun? Im Gedächtnis ist Klaus das Interview mit einer Studientei­lnehmerin

geblieben, die meinte: „Die Gewinnerin ist schiarch, aber sie hat es verdient, weil sie so hart an sich gearbeitet hat.“Klaus fand es spannend, dass das so gesehen wurde. „Dass die, die am härtesten an sich arbeiten, gewinnen. Das ist natürlich eine Illusion. Es können nicht alle aufsteigen.“Das Phänomen der Gesangs-Castingsho­ws werde nicht so bald verschwind­en, glaubt sie: „Die haben noch eine Zukunft.“

Aber sie müssen wohl mit der Zeit gehen. Das ursprüngli­che „Starmania“-Konzept nutzte sich schnell ab. Das Finale der ersten Staffel, bei dem die bis heute erfolgreic­he Christina Stürmer überrasche­nd dem Tiroler Michael Tschuggnal­l unterlag, der heute als Informatik­er arbeitet, verfolgten 1,6 Millionen Österreich­er (das war ein Marktantei­l von 70 Prozent). Als in der bislang letzten Staffel 2009 Oliver Wimmer gewann, sahen nur noch 855.000 zu, zwischenze­itlich war der Wert gar auf unter 400.000 gefallen.

Auch „DSDS“konnte seine hohen Zuschauerz­ahlen nicht halten. 12,8 Millionen Seher schalteten 2003 bei der ersten Finalshow ein, die aktuelle 18. Staffel schauen gerade gut drei Millionen. Und so wird das Format der Castingsho­w stetig weiterentw­ickelt. „The Voice“, 2010 vom niederländ­ischen Fernseh-Erfinder John de Mol kreiert, führte das System von „Blind Auditions“ein und rückte so die gesanglich­e Qualität in den Vordergrun­d. Auch die Juroren bekamen eine neue Rolle: Gerade in Deutschlan­d, wo Dieter Bohlen in „DSDS“munter Kandidaten­beleidigun­g zelebriert­e, bedeutete der konstrukti­v-freundlich­e Ton der „The Voice“-Juroren einen neuen Stil.

Die Idee des anonymen Singens weitergetr­ieben haben koreanisch­e Fernsehmac­her, als sie 2015 „The Masked

Musikmanag­er und ehemaliger „Starmania“-Juror

Medienwiss­enschaftle­r

Singer“erfanden, das auch von Puls 4 aufgegriff­en wurde. Hier sind es keine aufstreben­den Stars, sondern Promis, die, versteckt unter Ganzkörper­kostümen, um die Gunst der Zuschauer buhlen. Die neuen Formate nähren jedenfalls den Verdacht, dass das alte Castingsho­w-Konzept ausgedient haben könnte. Immerhin hat sich vieles, was deren Reiz ausmachte, ins Netz verlagert: Auf YouTube inszeniere­n kreative Leute mit Sendungsbe­wusstsein längst ihre eigene Realitysho­w und züchten sich eine Fanbasis, die das Gefühl hat, an ihrem Aufstieg zu Ruhm und Glanz teilzuhabe­n.

Einmal ins Fernsehen. Es wird sich also zeigen, was mit „Starmania 21“passiert. Die Kandidaten, die daran teilnehmen wollen, sollten jedenfalls gefestigte Charaktere sein: Eine Studie von 2003 unter Castingtei­lnehmern ergab, dass gerade Mädchen zwischen 16 und 18 durch die Teilnahme akut gefährdet waren, in Depression­en zu schlittern. Auch aus diesem Grund gibt es mittlerwei­le bei Shows wie „The Voice“psychologi­sche Betreuung. Bei „Starmania 21“soll es diese ebenso geben. „Als Kandidat ist die Grundvorau­ssetzung ein stabiler Selbstwert und ein soziales Netz, das einen auffängt, wenn man am Boden liegt“, erklärt auch Psychologi­n Natalia Ölsböck. Dass genügend Menschen davon überzeugt sind, für eine Castingsho­w gerüstet zu sein, sieht sie als ein Zeichen der Zeit: „Wir leben im Zeitalter der Selbstdars­tellung.“Deswegen würden sich noch immer neue Leute melden – auch solche, die gar nicht gut singen könnten. Dahinter stehe die einfache Hoffnung auf Ruhm. „Jeder von uns will etwas Besonderes sein – und wer im Fernsehen auftritt, der ist was Besonderes.“

» Man könnte meinen, dass Publikum und Kandidaten das nach all den Jahren durchschau­t hätten. «

ine klare Botschaft: „No likes for unsocial network“titelt die Tageszeitu­ng „The Australian“und gerät neben einem Foto von Mark Zuckerberg gegen dessen USKonzern Facebook in Fahrt. „Bad news“derzeit für den Leader der Sozia lenMedien, der sich mit einem Kontin ent anlegt. Dort gilt er nun als unsozial. Es geht ums Geld: Australien­s Regierung fordert es, für Verlage, deren Inhalte im Netz genutzt werden.

Lassen sich aber Firmen wie Facebook (oder Google) regulieren? Sie blocken großteils ab. Laut dem britischen

Onlinemaga­zin „PressGazet­te“sind 17 von 25 Mio. Australier­n bei Facebook – ein Milliarden­geschäft. Der Tech-Gigant habe dafür in den letzten drei Jahren umgerechne­t nur 26 Mio. Euro Steuern entrichtet. Den kapitalen Abfluss will das Land nun einschränk­en.

Ein Tsunami. Facebook argumentie­rte dagegen: Das Posten von Nachrichte­n sei freiwillig, die Verlage lukrierten dadurch ohnehin Werbeeinna­hmen. Dann wurde „Down Under“mit einem Bann belegt. Aber im Stammland von Tycoon Rupert Murdoch, der dort mit News Corp groß wurde, ist man aus hartem Holz geschnitzt. Und nicht nur australisc­he Medien wirken aufgebrach­t. Wie ein Tsunami breitet sich der Unmut gegen Zuckerberg­s Imperium über alle Weltmeere aus. Digitaler Commonweal­th: Indien will die Causa beim G-7-Gipfel im Juni thematisie­ren, Kanada erwägt Schritte, britische Blätter springen den Aussies bei.

Gereizte Stimmung: Die Zeitung „The Age“(Melbourne), meint, Facebook habe mit seiner Blockade die „Nuklearopt­ion“gezogen. „The West Australian“(Perth) entschied sich, die Seite eins weitgehend einzuschwä­rzen. Unter einem kleinen „f“in weißem Kreis steht mitten im Dunkel: „Finsterer Tag für Qualitätsn­achrichten, da ein Gigant der sozialen Medien, der hunderte Milliarden Dollar wert ist, den australisc­hen Journalism­us verbannt.“Keine Firma aber sei mächtiger als die australisc­he Öffentlich­keit, weiß man im Leitartike­l. „The Courier Mail“(Brisbane) gibt ein „Thumbs Down“als Schlagzeil­e, plus Emoji für den „Tech-Rüpel“. Überzeile: „Zuckerberg dreht Australien ab.“Prägnant alarmiert auch „The Daily Telegraph“(Sydney) mit der simplen Botschaft „faceblock“. Diese Aktion sei eine „kaltschnäu­zige Missachtun­g“der Australier. Recht lakonisch

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ORF/Ali Schafler Die dritte Staffel von „Starmania“brachte drei Song-ContestTei­lnehmer hervor: Tom Neuwirth alias Conchita Wurst, Nadine Beiler und Eric Papilaya.
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Reuters /Francois Lenoir FürmAn c heein Feindbild, etwA in Brüssel. Mit PAppfigure­n von CEO MArk Zuckerberg wurde 2018 die ÜbermAcht von FAcebook kritisiert.

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