Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Wenn man die englische Königin Anne Boleyn im TV-Drama als Schwarze zeigt, was ist das dann? Geschichts­fälschung, Aktivismus oder Kunstgriff? Oder alles davon?

Der britische Sender Channel 5 hat die ersten Szenefotos einer kommenden Miniserie über Anne Boleyn veröffentl­icht, die 1536 enthauptet­e Frau von König Heinrich VIII. von England. Ob das Kleid, in dem Königin Anne gezeigt wird, der damaligen Zeit entspricht, müssen Experten beantworte­n.

Was jedem sofort als Anachronis­mus auffällt, ist die schwarze Hautfarbe der Schauspiel­erin Jodie Turner-Smith. Das hat schon bei der Ankündigun­g der Serie im Oktober für Aufregung gesorgt. Damals erklärte die Produktion­sfirma, man wolle „die Konvention­en infrage stellen, wie wir Anne Boleyn sehen, und ihre Geschichte in einem feministis­chen Licht zeigen“.

Hat man Turner-Smith engagiert, um diese Konzeption zu unterstütz­en? Oder um sich vor der „Woke“-Kultur zu verbeugen? Oder aus dem Gedanken heraus, dass einer begabten Schauspiel­erin bloß wegen ihrer Hautfarbe keine Rolle versagt sein soll? Eine Konvention stellt es jedenfalls infrage: unsere Erwartung, dass historisch­e Dramen faktisch korrekt sein sollen. Da aber jeder Film, sogar jede Dokumentat­ion, voller Fiktion und „make-believe“ist, ist ein so augenfälli­ges Vernachläs­sigen der Historizit­ät durch eine „falsche“Hautfarbe vielleicht ganz heilsam. Es macht offenkundi­g, dass Fernsehen und Kino eben nicht Realität abbilden. Es gibt hier also ein aufkläreri­sches Moment.

Die Geschichte der echten Anne Boleyn würde es damit sowieso nicht werden. Wenn man ohnehin eine feministis­che Parabel beabsichti­gt, die zeigt, wie man als Frau vom Patriarcha­t in die Ecke gedrängt wird – dann mag es ein kluger dramaturgi­scher Kunstgriff sein, die Ausgrenzun­g durch die Hautfarbe zu verdeutlic­hen. In der Miniserie ist freilich die ganze Familie Boleyn schwarz – was sie als Familie zur Opfergrupp­e der Taten des weißen Königshofe­s werden lässt und damit den beabsichti­gten Fokus auf die Männer-Frauen-Machtkiste doch wieder unscharf macht.

In Theaterstü­cken, die ja nicht den Anspruch erheben, Ereignisse getreu nachzuerzä­hlen, ist es jedenfalls schon gang und gäbe, auf die Hautfarbe der Darsteller nicht mehr zu schauen. Historisch­e Filme sind, weil Historie Identität stiftet, eine komplexere Materie, vor allem bei einer multiethni­schen Nation mit monoethnis­cher Vergangenh­eit.

Ich könnte jedenfalls einer unverkramp­ften Zukunft viel abgewinnen, in der es unerheblic­h geworden ist, ob Anne Boleyn, Winnie Mandela oder Kaiserin Wu Zetian im Film von weißen, schwarzen oder aus Asien stammenden Schauspiel­ern verkörpert werden. Ich bin mir aber nicht sicher, dass wir auf dem Weg dorthin sind.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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