Culture Clash
FRONTNACHRICHTEN AUS DEM KULTURKAMPF
Wenn man die englische Königin Anne Boleyn im TV-Drama als Schwarze zeigt, was ist das dann? Geschichtsfälschung, Aktivismus oder Kunstgriff? Oder alles davon?
Der britische Sender Channel 5 hat die ersten Szenefotos einer kommenden Miniserie über Anne Boleyn veröffentlicht, die 1536 enthauptete Frau von König Heinrich VIII. von England. Ob das Kleid, in dem Königin Anne gezeigt wird, der damaligen Zeit entspricht, müssen Experten beantworten.
Was jedem sofort als Anachronismus auffällt, ist die schwarze Hautfarbe der Schauspielerin Jodie Turner-Smith. Das hat schon bei der Ankündigung der Serie im Oktober für Aufregung gesorgt. Damals erklärte die Produktionsfirma, man wolle „die Konventionen infrage stellen, wie wir Anne Boleyn sehen, und ihre Geschichte in einem feministischen Licht zeigen“.
Hat man Turner-Smith engagiert, um diese Konzeption zu unterstützen? Oder um sich vor der „Woke“-Kultur zu verbeugen? Oder aus dem Gedanken heraus, dass einer begabten Schauspielerin bloß wegen ihrer Hautfarbe keine Rolle versagt sein soll? Eine Konvention stellt es jedenfalls infrage: unsere Erwartung, dass historische Dramen faktisch korrekt sein sollen. Da aber jeder Film, sogar jede Dokumentation, voller Fiktion und „make-believe“ist, ist ein so augenfälliges Vernachlässigen der Historizität durch eine „falsche“Hautfarbe vielleicht ganz heilsam. Es macht offenkundig, dass Fernsehen und Kino eben nicht Realität abbilden. Es gibt hier also ein aufklärerisches Moment.
Die Geschichte der echten Anne Boleyn würde es damit sowieso nicht werden. Wenn man ohnehin eine feministische Parabel beabsichtigt, die zeigt, wie man als Frau vom Patriarchat in die Ecke gedrängt wird – dann mag es ein kluger dramaturgischer Kunstgriff sein, die Ausgrenzung durch die Hautfarbe zu verdeutlichen. In der Miniserie ist freilich die ganze Familie Boleyn schwarz – was sie als Familie zur Opfergruppe der Taten des weißen Königshofes werden lässt und damit den beabsichtigten Fokus auf die Männer-Frauen-Machtkiste doch wieder unscharf macht.
In Theaterstücken, die ja nicht den Anspruch erheben, Ereignisse getreu nachzuerzählen, ist es jedenfalls schon gang und gäbe, auf die Hautfarbe der Darsteller nicht mehr zu schauen. Historische Filme sind, weil Historie Identität stiftet, eine komplexere Materie, vor allem bei einer multiethnischen Nation mit monoethnischer Vergangenheit.
Ich könnte jedenfalls einer unverkrampften Zukunft viel abgewinnen, in der es unerheblich geworden ist, ob Anne Boleyn, Winnie Mandela oder Kaiserin Wu Zetian im Film von weißen, schwarzen oder aus Asien stammenden Schauspielern verkörpert werden. Ich bin mir aber nicht sicher, dass wir auf dem Weg dorthin sind.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.