Ein bester Freund im Lockdown
Während der Pandemie floriert das Geschäft mit Haustieren, Tierheime und Trainer sprechen sogar von einem Boom. Wie der neue Lebenswandel die Sehnsucht nach Tieren befeuert. »Die Leute haben Kauartikel wie Klopapier gehortet«, sagt Unternehmerin Kate Prokop.
Im Lockdown war der Bestseller von Kate Prokop ein T-Shirt mit Aufdruck „Less people – more dogs“. Das fasse die Situation gut zusammen, sagt die Gründerin der Dog Mom Company, einem Fachgeschäft für Hundezubehör. „Die Leute haben Kauartikel wie Klopapier gehortet. Ich habe jeden Tag um die 40 Pakete zur Post gebracht.“
Während die meisten Branchen leiden, floriert das Geschäft mit den Haustieren. Vom größten Umsatzwachstum der Unternehmensgeschichte spricht etwa Fressnapf. In Österreich hat das Unternehmen im Vorjahr ein Plus von 18 Prozent erzielt.
Den größten Umsatz machte Prokop mit ihrem Onlineshop – obwohl ihr Geschäft im Einkaufszentrum Galleria in den Lockdowns ohnehin offen sein durfte, bat sie nur Abholung von Bestellungen an. „Ich habe versucht, die Leute nicht aktiv zu animieren zu kommen“, sagt Prokop. „Wir haben ja auch viele Accessoires, etwa T-Shirts mit lustigen Sprüchen. Da kam ich mir lächerlich vor, zu sagen, dass das lebensnotwendig ist.“
Mickey aus Rumänien. Mit einer verstärkten emotionalen Beziehung zu Tieren, weil man mehr Zeit mit ihnen verbringt, erklärt man sich bei Fressnapf die Kauflust der Tierbesitzer. „Und wir haben festgestellt, dass wir viele neue Tierhalter haben“, so ein Sprecher. Das beobachtet auch Prokop: „Es gab einen absoluten HundeBoom. Sehr viele haben sich während der Krise einen Hund geholt.“
Eine davon ist Bettina Loidl. Vor knapp einer Woche hat die 29-Jährige Mickey von einem Pflegeplatz in Niederösterreich abgeholt: ein einjähriger Schäfer-Mix aus Rumänien. „Die Vermittlung war wegen der Corona-Auflagen
nicht so einfach“, erzählt Loidl. Sie hegte schon vor der Krise den Wunsch, mit einem Hund zusammenzuleben. „Corona begünstigt die Situation dafür jetzt“, sagt Loidl. Letztes Jahr stieg sie von ihrem Vollzeit-Bürojob ins HomeOffice und in die Selbstständigkeit als Fotografin für Tiere um. „Jetzt habe ich gerade viel Zeit, um mit ihm zu trainieren und eine Bindung aufzubauen. Die Chance wollte ich nutzen.“
Schon seit Jahrtausenden umgibt sich der Mensch mit Tieren, besonders Hunden. Übrigens auch jener, der in Österreich als Minister die Krise managt: Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat den Golden Retriever Agur aber schon vor Corona zu sich geholt.
Dass man sich gerade in der Pandemie nach einem Haustier sehnt, überrascht die Psychologin Karoline Turner nicht. „Es geht viel darum, nicht mehr allein sein zu wollen, um die Einsamkeit“, sagt Turner, die sich unter anderem auf die tiergestützte Therapie spezialisiert hat. Haustiere können in den Lockdowns die körperliche Nähe zu einem Menschen zumindest teilweise ersetzen. „Tiere haben einen sehr beruhigenden Effekt. Wenn man sie streichelt, wirkt das sogar blutdrucksenkend“, sagt Turner. Auch das Bindungshormon Oxytocin werde ausgeschüttet. „Das brauchen wir Menschen sehr. Und jetzt noch einmal mehr.“
Außerdem bieten Tiere Beschäftigung. „Vielen ist in der Kurzarbeit einfach langweilig. Sich um ein Tier kümmern zu können ist eine große Sinnerfüllung. Hunde bieten natürlich mehr Action als Kaninchen, weil sie einen zwingen, nach draußen zu gehen.“Sie sieht aber die Gefahr, dass das Interesse an den Tieren bei manchen nur temporär ist. „Das könnte eine Krise der Haustiere auslösen“, so Turner.
Bisher ist das zumindest beim Tierschutz Austria nicht der Fall, dort wurden nicht auffällig oft Tiere zurückgebracht. Ein großes Interesse an Haustieren, vor allem an Hunden, bestätigt Sprecher Oliver Bayer: „Das begann in der zweiten Woche des ersten Lockdowns und ist seither ungebrochen.“
Zahlen dazu, wie viele Hunde während der Krise angemeldet wurden, gibt es noch nicht, heißt es von Statistik Austria. Laut Stadt Wien kamen zwischen 1. September 2019 und 2020 nur 45 Hunde hinzu, für die die jährliche Abgabe bezahlt wurde. Wie stark der Hunde-Boom seit Corona tatsächlich ausgefallen ist, wird sich wohl erst mit der nächsten Zählung feststellen lassen. Tierschutz Austria hat jedenfalls beachtlichere Zahlen: 1613 Haustiere vermittelte das Tierheim im Jahr 2020, darunter 477 Hunde, 382 Katzen und 605 Kleintiere und Nager.
Und nach der Krise? Dass diese Tiere automatisch unüberlegt angeschafft wurden, denkt Hundetrainerin Conny Sporrer nicht. „Ich hatte trotz des Booms das Gefühl, dass es beim Großteil keine leichtfertige Entscheidung war, sich einen Hund anzuschaffen“, sagt Sporrer, die die Wiener Hundeschule Martin Rütter Dogs leitet. Im ersten Lockdown gründete sie den Podcast „Hundestunde“und eine OnlineHundeschule. Viele hätten sich dort schon vor dem Kauf beraten lassen.
Tiere wirken sehr beruhigend. Wenn man sie streichelt, kann sogar der Blutdruck sinken.
Der Idee, sich im Lockdown einen Hund zu holen, kann Sporrer einige Vorteile abgewinnen. „Das Alleinbleiben oder Stubenreinheit sind Themen, die sehr kleinschrittig aufgebaut werden müssen“, so die Trainerin. „Das Home-Office und die Lockdowns sehen viele als Chance, sich sehr intensiv mit dem Hund zu beschäftigen und auf das Trainierte zurückzugreifen, wenn das Leben wieder normaler wird.“Wie durchdacht der Hundekauf war, werde sich aber wohl erst mit Ende der Krise und etwaigen Rückgaben zeigen. Bettina Loidl ist sich jedenfalls sicher in ihrer Entscheidung für einen Hund. „Mickey hat für mich jetzt Priorität, egal wie es mit Corona weitergeht.“