Der Poptraum von der Cre`me de la cre`me
Seit die Umsätze im Pop zurückgehen, häufen sich Kollaborationen und Supergroups. Eine Reise durch popmusikalische Zweckehen der letzten 50 Jahre.
Die Welt ist ein unsicherer Ort. Das hilft es, wenn man zusammenrückt. Auch wenn es in der Popmusik oft darum geht, das eigene Ego zu hegen, gibt es gute Gründe, kreative Gesellschaft zu suchen. Im Falle der gerade angekündigten Zusammenarbeit von Iggy Pop mit dem Hammondorgelstar Dr. Lonnie Smith war es wohl die Faszination, nach fünfzig Jahren in musikalischen Paralleluniversen plötzlich im selben Studio zu stehen. Beim spanischen Duett „Lo Vas A Olvidar“wollten die zwei derzeit hippsten Popfrauen Rosal´ıa und Billie Eilish wohl einfach sehen, was passiert: Immerhin 51 Millionen Klicks auf YouTube.
Die schon reiferen Damen der Jazzkombo Artemis hegten sicher ganz hehre, musikalische Motive. Die wilde Charli XCX drängt es in ihrer Gemeinschaftsproduktion mit The 1975 und No Rome auf den Dancefloor: Die erste
Ab den Siebzigern wurden in so gut wie allen Genres Supergroups gegründet.
Single „Spinning“groovt wie Hölle. Noch geglückter ist das eben veröffentlichte erste Lied von Bruno Mars und Anderson Paak, zu der auch Funklegende Bootsy Collins einiges beisteuerte. „Leave The Door Open“ist ein schwelgerisches Stück Soul, wie man es von Siebzigerjahre-Gruppen wie den Delfonics kennt.
Im Falle der jüngst mit dem prestigeträchtigen Preis für das „European Independent Album of the Year“ausgezeichneten heimischen Supergroup My Ugly Clementine sind es neben der Musik ethische Motive, die die sonst in Bands wie Leyya, 5K HD und Schmieds Puls tätigen Frauen zusammengebracht haben: Ihre Musik federt so leicht, wie ihre feministischen Thesen schwer wiegen.
Cream machten es vor. Eine Grenzziehung zwischen künstlerischen Streben und materiellem Kalkül ist bei solchen Supergroups gar nicht so leicht zu ziehen. In der Popgeschichte hat sich einst das Good-Cop-Bad-Cop-Szenario eingeschlichen: hier der romantisch zum Genie erhobene Künstler, dort der knallharte Manager. Diese Dichotomie geht zurück auf die Sechzigerjahre, als der Popmusiker erstmals zum Superstar erhoben wurde. Jimi Hendrix, Bob Dylan, Joni Mitchell, Stevie Wonder waren erste überlebensgroße Figuren. Auch Manager wie Brian Epstein (The Beatles), Andrew Loog Oldham (The Rolling Stones) und Chas Chandler (The Animals) genossen Kultstatus. Sie waren Exzentriker, die wussten, wie sich Einkünfte akkumulieren lassen.
So auch Robert Stigwood, auf dessen Label RSO sich die erste Supergroup der Popgeschichte formierte: Cream. Jack Bruce, Eric Clapton und Ginger Baker läuteten 1966 unbewusst eine neue Ära ein. Die drei Musiker hatten sich vor ihrem Zusammenschluss schon als Koryphäen erwiesen und waren doch unzufrieden mit ihrer künstlerischen Entwicklung. Tatsächlich entstand in der Triobesetzung so etwas wie Magie. Eric Clapton veränderte sein Gitarrenspiel dramatisch. Aus Zutaten wie Blues und Jazz wurde ein intelligenter Rocksound geboren.
Robert Stigwood stilisierte sich erst nachträglich zum Auslöser des Erfolgs. „In meinen Ohren hörten sich Stigwoods Versprechungen an wie ein Haufen Schmus“, beschreibt Clapton das erste Zusammentreffen in seiner Autobiografie. „Er war ein extravaganter Australier, der sich gern als vermögender Engländer ausgab.“Prahlerei war nicht lang nötig. Stigwood wurde rasch wohlhabend durch seine Produktion
von Filmen, Musicals, Platten. Fast nebenbei managte er die Bee Gees zur Weltkarriere. Jene von Cream passierte aber praktisch noch ohne sein Zutun. Erst beim nur ein Jahr währenden Nachfolgeprojekt Blind Faith hatte er seine Finger wirklich mit im Spiel.
Nach Cream wurde die Idee der Supergroup in so gut wie allen Genres übernommen. 1968 fanden sich Crosby, Stills & Nash als Folk-Rock-Trio zusammen, 1969 gesellte sich Neil Young dazu. Ihr erstes Album „De´ja` Vu“verkaufte sich acht Millionen Mal. Die Egos krachten bald aufeinander, Young machte solo weiter. Dass das Ganze zuweilen mehr als die Summe seiner Teile ist, galt auch für die Herren Keith Emerson, Greg Lake und Carl Palmer. 1970 gründeten sie ELP, davor waren sie mit The Nice, Atomic Rooster und King Crimson erfolgreich. Ihr Ansinnen, Rock und Klassik zu fusionieren, entsprach ganz dem Geist der Integration der Siebzigerjahre. Nicht wenige Musikprofessoren in heimischen Gymnasien verwendeten ihre Alben im Unterricht.
In den Achtzigerjahren radierte der businessfreundliche Zeitgeist die kommunalen Ideale der Hippies und die antikonsumistische Haltung der Punks reuelos aus. Es war die Ära der Superstars a` la Prince, Madonna und Michael Jackson. Im Schatten dieses Dreigestirns wurde das Geldverdienen mühseliger. Jetzt ging es darum, Pläne zu entwickeln, die den eigenen Wirkungskreis erweiterten. Ein gewisses Kalkül kam ins Spiel. Die sich auf dem absteigenden Ast befindliche britischen Popband Duran Duran tat sich mit der Rhythmusgruppe der Disco-Überflieger Chic zusammen. Power Station hieß ihre Combo, die mit einer knalligen Fusion von Disco und Rock reichlich Geld einbrachte.
Jenseits allen pekuniären Kalküls kamen hingegen 1988 George Harrison, Jeff Lynne, Bob Dylan, Roy Orbison und Tom Petty zusammen. Die Traveling Wilburys wollten in erster Linie sich selbst Freude machen. Die lebhafte Anteilnahme seitens der Fans nahmen die Herren auch gern mit.
Es gab aber auch Fusionen, die nicht funktionierten – selbst wenn sich die Protagonisten gut verstanden. The Honeydrippers, bestehend aus Robert Plant und Jimmy Page von Led Zeppelin und instrumentalen Granden wie Nile Rodgers und Dave Weckl, kamen zwischen 1981 und 1984 nie so richtig von der Stelle. Ähnlich erging es 2009 dem Konglomerat namens Them Crooked Vultures, wo – neben Josh Homme und Dave Grohl – mit John Paul Jones wieder ein Mitglied von Led Zeppelin dabei war.
Eine Weiterentwicklung des Supergroup-Konzepts stellt die von vornherein zeitlich begrenzte strategische Zusammenarbeit dar. Duette versprechen, dass jeder der Beteiligten im Publikum des anderen weiden kann. Mick Jagger sang 1978 mit Reggaestar Peter
Tosh den alten Temptations-Hit „Don’t Look Back“. Musikalisch war das super, chartsmäßig nur Mittelfeld. Ein Megahit wurde hingegen 1986 „Walk This Way“, bei dem sich die Rapper Run DMC und die Rocker Aerosmith ein lärmiges Stelldichein gaben.
Eigentlich wurde diese „Best-ofboth-worlds“-Idee aber erst in den letzten zehn Jahren profitabel. Je ungleicher die Protagonisten, desto erfolgreicher waren sie dabei. Clean Bandit und Elton John, A$AP Rocky und Rod Stewart, Katy Perry und Snoop Dogg oder Rihanna und Coldplay, sie alle schufen Welthits. Von wechselseitigem Vorteil war die Bündelung der Kräfte von Daft Punk, Nile Rodgers und Pharrell Williams
2013. In „Get Lucky“kollidierten Disco, Funk und House aufs Stilvollste. In den USA Platz zwei, überall sonst Platz eins. Dass dieser Moment künstlerisch wie kommerziell unübertrefflich war, führte wohl letztlich zur Auflösung von Daft Punk.
Wange an Wange mit Lady Gaga. Auch der bald 95-jährige Tony Bennett suchte in den letzten Jahren Anschluss. Mit Amy Winehouse sang er 2011 „Body and Soul“, mit Lady Gaga nahm er 2014 gleich ein ganzes Nummer-eins-Album auf („Cheek to Cheek“). Auch die Idee, den angegrauten Tiger Tom Jones 1999 mit einem jungen Musiker aus einem ganz anderen Genre zusammenzutun, erwies sich als Geniestreich: Das vom deutschen House-Produzenten Mousse T. komponierte „Sex Bomb“holte Jones zurück in die hippsten Popzirkel.
Österreich hat bezüglich unorthodoxer Kollaborationen nicht gerade aufgezeigt. Austria 3, der Zusammenschluss der Austropopper Ambros, Danzer, Fendrich hängt wohl mit Bogdan Rosˇcˇic´ zusammen, der als Ö3-Chef heimische Musik aus dem Sender verbannte. Die Einkünfte der Platzhirsche schrumpften so dramatisch, dass sie sich trotz ihrer Empfindlichkeiten zu einem Trio verbanden, um wieder große Säle zu füllen.
Besonders originell war das Aufeinandertreffen von Rammstein und Heino 2013 beim Festival in Wacken. Da traf sich zum Gaudium des Publikums das Ungute aus zwei Lagern. Heino fühlte sich von Rammstein verstanden. Fünf Jahre später nahm er sein letztes Album auf. Die Interpretation von Rammsteins „Engel“musste er in letzter Minute aus der Liederliste streichen. War wohl doch nur eine kurze Zweckgemeinschaft, dieser Auftritt.
Häufiger sind kurze Allianzen. Eine solche führte wohl auch zum Ende von Daft Punk.