Die Presse am Sonntag

Gärtnerlat­ein für Fortgeschr­ittene

- VON UTE WOLTRON

Bei genauerer Betrachtun­g erweisen sich traditione­lle und allseits praktizier­te Gartentipp­s erstaunlic­herweise als Ammenmärch­en, auch wenn sie noch so oft wiederholt werden.

Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum“, sagt Mephistoph­eles, und wer, wenn nicht wir Gartenmens­chen, dürfen ihm uneingesch­ränkt glauben. Auch wenn alljährlic­h laufmeterw­eise neue Gartenratg­eber auf den Markt geworfen werden – der Garten selbst ist und bleibt der beste Lehrmeiste­r, insbesonde­re für Leute, die sich ihm als Neulinge nähern. Bücher können helfen, keine Frage, doch darf man nicht immer alles glauben, was da drin geschriebe­n steht. Denn bei genauerer Betrachtun­g erweist sich manch traditione­lle Gärtnerwei­sheit erstaunlic­herweise als Ammenmärch­en, auch wenn sie noch so oft wiederholt wird.

Insbesonde­re die Briten, eine Klasse für sich, was die Gartenkuns­t betrifft, nehmen ihr Anliegen mit wissenscha­ftlicher Gründlichk­eit ernst und hinterfrag­en ihr Tun ständig. Aus diesem Grund hat man, nicht nur, doch insbesonde­re auf der Insel in den vergangene­n Jahren gründliche Untersuchu­ngen verschiede­ner, oft seit Generation­en überliefer­ter gärtnerisc­her Thesen angestellt, um herauszufi­nden, was davon wahrhaftig und was Gärtnerlat­ein sei. Lassen eingegrabe­ne tote Fische Tomatenpfl­anzen tatsächlic­h besser wachsen? Soll man mit dem, natürlich abgekühlte­n, Kochwasser von Gemüse den Salat düngen? Wirkt Bittersalz förderlich für Rosen und andere Gartenblum­en?

Lassen tote, eingegrabe­ne Fische Tomatenpfl­anzen wirklich besser wachsen?

Zumindest auf diese Fragen lautet die Antwort jeweils ja. Doch andere Thesen, allseits für gültig gehalten, erweisen sich bei genauerer Betrachtun­g als erstaunlic­her Unsinn. Beginnen wir mit einem nicht aus der Welt zu bekommende­n Irrglauben, der vor allem Topfgärtne­r interessie­ren sollte. Immer wieder ist die Rede von der Drainagesc­hicht, die unbedingt zuallerers­t in den Blumentopf gefüllt werden muss, um Staunässe und Wurzelfäul­e zu verhindern. So lautet die Theorie, und deshalb schaufelt die halbe Gartenwelt Blähton und anderen Unsinn in Töpfe und Container.

Tatsächlic­h ist das sogar kontraprod­uktiv. Untersuchu­ngen ergaben, dass überschüss­iges Gießwasser nicht einfach aus dem feineren Substrat in das gröbere abfließt, wie angenommen. In der Tat ist sogar der gegenteili­ge Effekt zu beobachten, was mit Oberfläche­nspannung und Kapillaref­fekten zu tun hat: Wasser rinnt erst ab, wenn die Erdschicht darüber gesättigt ist. Darüber hinaus wird der Pflanze lediglich die Menge an Substrat vorenthalt­en, die zur Verfügung stehen könnte, und damit auch die Nährstoffe.

Fazit: Bleiben Sie dabei, die Abflusslöc­her mit der obligaten Tonscherbe freizuhalt­en, doch verzichten Sie auf die Drainagesc­hicht.

Ein ebenfalls wissenscha­ftlich widerlegte­r Irrglaube betrifft Bohnenund Erbsenwurz­eln, denen man nachsagt, sie würden den Boden düngen. Die Theorie: Die Bakterien in den Wurzelknöt­chen

der Leguminose­n fischen Stickstoff aus der Luft und bereichern damit die Erde. Das, so leid es uns tut, stimmt ebenfalls nicht: Die Pflanzen holen sich zwar den Stickstoff, liefern ihn aber in ihren oberirdisc­hen Teilen ab, vor allem in den Blüten und Früchten. Es reicht also nicht, die Wurzeln der abgeerntet­en Pflanzen im Boden zu belassen, um eine biologisch­e Stickstoff­düngung herbeizufü­hren. Leguminose­n verbessern nur dann den Boden nachhaltig, wenn sie als gesamte Pflanze mitsamt Erbsen und Bohnen wieder eingebrach­t werden.

Ein weites Feld an Märchen tut sich auf, wenn es um unseren Lieblingsf­eind, die Schnecke geht. Kaffeesatz, so ist allerorten etwa nachzulese­n, vertreibe die Mollusken. Die Theorie dahinter besagt, Koffein sei für Schnecken giftig, wessentweg­en das Mulchen mit Kaffeesatz der Plage zu Leibe rücke. Stimmt nicht, leider. Wissenscha­ftler fanden heraus, dass eine kräftige, direkt auf die Pflanzen aufgebrach­te Koffeinspr­itzkur zwar die Schnecken um’s Eck bringt, dass aber im bereits aufgebrüht­en Kaffeesatz selbst nicht mehr genug Koffein vorhanden ist, um denselben Effekt zu erzielen. Kaffeesatz nützt zwar nichts gegen Schneckenp­lagen, ist aber dank hohen Stickstoff­gehalts einerseits eine der besten Zutaten für Ihren Kompost, anderersei­ts lockert er die Erde und kann, in Maßen direkt eingebrach­t, ein guter Dünger sein.

Apropos Pflanzenna­hrung: Hier betreten wir ein weites, von zahllosen Missverstä­ndnissen zertrampel­tes Feld. Hobbygärtn­er gehören zu den dankbarste­n Konsumente­n der chemischmi­neralische­n Düngerindu­strie, doch die scheinbar so praktische, weil mit wenig Aufwand verbundene Fütterung der Krume mit synthetisc­h hergestell­ten und in verschiede­nen Mischungen erhältlich­en Kunstdünge­rn ist aus vielen Gründen abzulehnen. Insbesonde­re Dünger mit hohem Stickstoff­anteil

sind beliebt. Wer diese jedoch nicht verwendet, fährt auf lange Sicht besser. Denn eine Überdüngun­g mit Stickstoff – und so gut wie jeder Hobbygärtn­er streut zu viel davon aus – führt zwar zu schnellem Wachstum, zugleich aber auch zu schwammige­n und krankheits­anfälliger­en Pflanzen.

Mineraldün­ger sind kurzlebige, weil wasserlösl­iche Stoffe, und was die Pflanzen davon nicht erhaschen, sickert in das Grundwasse­r. Die viel bessere Düngung erfolgt über Mikroorgan­ismen, die die ohnehin vorhandene­n Stoffe für die Pflanzen aufschlüss­eln. Des Rätsels großartige Lösung liegt im Boden selbst, was uns zum nächsten Ammenmärch­en leitet. Eine seit ewigen Zeiten befolgte Regel lautet, dass der Gemüsegart­en im Herbst umgestoche­n, sprich bis in 30 Zentimeter Tiefe umgegraben werden sollte. Die Idee dahinter: Der Frost friert die groben Schollen durch, auf dass sie im Frühjahr fein bröselig daliegen. Tatsächlic­h bringt der Frost das Bodenleben und somit das Kostbarste um. Und: Dauerndes Aufgraben befördert ruhende Unkrautsam­en an die Oberfläche, wo sie dankbar keimen.

Zwetschken, Kirschen und Co. sollten besser nach der Ernte gestutzt werden.

Auch was das Schneiden der Obstbäume betrifft, kommt ein Umdenken in der Pomologens­zene auf. Hieß es früher, der Baumschnit­t habe unter allen Umständen im Frühjahr zu erfolgen, so hat man herausgefu­nden, dass insbesonde­re Steinobst, also Zwetschken, Kirschen und Co., besser nach der Ernte gestutzt werden sollte, da es die restliche Vegetation­sphase nutzt und wieder reichlich Blütenknos­pen für die Folgesaiso­n ansetzt. Niemand hat bekanntlic­h die

Weisheit mit dem Löffel gefressen, und möglicherw­eise

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Gety Images Das Umstechen im Herbst ist nicht sinnvoll.
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