Gärtnerlatein für Fortgeschrittene
Bei genauerer Betrachtung erweisen sich traditionelle und allseits praktizierte Gartentipps erstaunlicherweise als Ammenmärchen, auch wenn sie noch so oft wiederholt werden.
Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum“, sagt Mephistopheles, und wer, wenn nicht wir Gartenmenschen, dürfen ihm uneingeschränkt glauben. Auch wenn alljährlich laufmeterweise neue Gartenratgeber auf den Markt geworfen werden – der Garten selbst ist und bleibt der beste Lehrmeister, insbesondere für Leute, die sich ihm als Neulinge nähern. Bücher können helfen, keine Frage, doch darf man nicht immer alles glauben, was da drin geschrieben steht. Denn bei genauerer Betrachtung erweist sich manch traditionelle Gärtnerweisheit erstaunlicherweise als Ammenmärchen, auch wenn sie noch so oft wiederholt wird.
Insbesondere die Briten, eine Klasse für sich, was die Gartenkunst betrifft, nehmen ihr Anliegen mit wissenschaftlicher Gründlichkeit ernst und hinterfragen ihr Tun ständig. Aus diesem Grund hat man, nicht nur, doch insbesondere auf der Insel in den vergangenen Jahren gründliche Untersuchungen verschiedener, oft seit Generationen überlieferter gärtnerischer Thesen angestellt, um herauszufinden, was davon wahrhaftig und was Gärtnerlatein sei. Lassen eingegrabene tote Fische Tomatenpflanzen tatsächlich besser wachsen? Soll man mit dem, natürlich abgekühlten, Kochwasser von Gemüse den Salat düngen? Wirkt Bittersalz förderlich für Rosen und andere Gartenblumen?
Lassen tote, eingegrabene Fische Tomatenpflanzen wirklich besser wachsen?
Zumindest auf diese Fragen lautet die Antwort jeweils ja. Doch andere Thesen, allseits für gültig gehalten, erweisen sich bei genauerer Betrachtung als erstaunlicher Unsinn. Beginnen wir mit einem nicht aus der Welt zu bekommenden Irrglauben, der vor allem Topfgärtner interessieren sollte. Immer wieder ist die Rede von der Drainageschicht, die unbedingt zuallererst in den Blumentopf gefüllt werden muss, um Staunässe und Wurzelfäule zu verhindern. So lautet die Theorie, und deshalb schaufelt die halbe Gartenwelt Blähton und anderen Unsinn in Töpfe und Container.
Tatsächlich ist das sogar kontraproduktiv. Untersuchungen ergaben, dass überschüssiges Gießwasser nicht einfach aus dem feineren Substrat in das gröbere abfließt, wie angenommen. In der Tat ist sogar der gegenteilige Effekt zu beobachten, was mit Oberflächenspannung und Kapillareffekten zu tun hat: Wasser rinnt erst ab, wenn die Erdschicht darüber gesättigt ist. Darüber hinaus wird der Pflanze lediglich die Menge an Substrat vorenthalten, die zur Verfügung stehen könnte, und damit auch die Nährstoffe.
Fazit: Bleiben Sie dabei, die Abflusslöcher mit der obligaten Tonscherbe freizuhalten, doch verzichten Sie auf die Drainageschicht.
Ein ebenfalls wissenschaftlich widerlegter Irrglaube betrifft Bohnenund Erbsenwurzeln, denen man nachsagt, sie würden den Boden düngen. Die Theorie: Die Bakterien in den Wurzelknötchen
der Leguminosen fischen Stickstoff aus der Luft und bereichern damit die Erde. Das, so leid es uns tut, stimmt ebenfalls nicht: Die Pflanzen holen sich zwar den Stickstoff, liefern ihn aber in ihren oberirdischen Teilen ab, vor allem in den Blüten und Früchten. Es reicht also nicht, die Wurzeln der abgeernteten Pflanzen im Boden zu belassen, um eine biologische Stickstoffdüngung herbeizuführen. Leguminosen verbessern nur dann den Boden nachhaltig, wenn sie als gesamte Pflanze mitsamt Erbsen und Bohnen wieder eingebracht werden.
Ein weites Feld an Märchen tut sich auf, wenn es um unseren Lieblingsfeind, die Schnecke geht. Kaffeesatz, so ist allerorten etwa nachzulesen, vertreibe die Mollusken. Die Theorie dahinter besagt, Koffein sei für Schnecken giftig, wessentwegen das Mulchen mit Kaffeesatz der Plage zu Leibe rücke. Stimmt nicht, leider. Wissenschaftler fanden heraus, dass eine kräftige, direkt auf die Pflanzen aufgebrachte Koffeinspritzkur zwar die Schnecken um’s Eck bringt, dass aber im bereits aufgebrühten Kaffeesatz selbst nicht mehr genug Koffein vorhanden ist, um denselben Effekt zu erzielen. Kaffeesatz nützt zwar nichts gegen Schneckenplagen, ist aber dank hohen Stickstoffgehalts einerseits eine der besten Zutaten für Ihren Kompost, andererseits lockert er die Erde und kann, in Maßen direkt eingebracht, ein guter Dünger sein.
Apropos Pflanzennahrung: Hier betreten wir ein weites, von zahllosen Missverständnissen zertrampeltes Feld. Hobbygärtner gehören zu den dankbarsten Konsumenten der chemischmineralischen Düngerindustrie, doch die scheinbar so praktische, weil mit wenig Aufwand verbundene Fütterung der Krume mit synthetisch hergestellten und in verschiedenen Mischungen erhältlichen Kunstdüngern ist aus vielen Gründen abzulehnen. Insbesondere Dünger mit hohem Stickstoffanteil
sind beliebt. Wer diese jedoch nicht verwendet, fährt auf lange Sicht besser. Denn eine Überdüngung mit Stickstoff – und so gut wie jeder Hobbygärtner streut zu viel davon aus – führt zwar zu schnellem Wachstum, zugleich aber auch zu schwammigen und krankheitsanfälligeren Pflanzen.
Mineraldünger sind kurzlebige, weil wasserlösliche Stoffe, und was die Pflanzen davon nicht erhaschen, sickert in das Grundwasser. Die viel bessere Düngung erfolgt über Mikroorganismen, die die ohnehin vorhandenen Stoffe für die Pflanzen aufschlüsseln. Des Rätsels großartige Lösung liegt im Boden selbst, was uns zum nächsten Ammenmärchen leitet. Eine seit ewigen Zeiten befolgte Regel lautet, dass der Gemüsegarten im Herbst umgestochen, sprich bis in 30 Zentimeter Tiefe umgegraben werden sollte. Die Idee dahinter: Der Frost friert die groben Schollen durch, auf dass sie im Frühjahr fein bröselig daliegen. Tatsächlich bringt der Frost das Bodenleben und somit das Kostbarste um. Und: Dauerndes Aufgraben befördert ruhende Unkrautsamen an die Oberfläche, wo sie dankbar keimen.
Zwetschken, Kirschen und Co. sollten besser nach der Ernte gestutzt werden.
Auch was das Schneiden der Obstbäume betrifft, kommt ein Umdenken in der Pomologenszene auf. Hieß es früher, der Baumschnitt habe unter allen Umständen im Frühjahr zu erfolgen, so hat man herausgefunden, dass insbesondere Steinobst, also Zwetschken, Kirschen und Co., besser nach der Ernte gestutzt werden sollte, da es die restliche Vegetationsphase nutzt und wieder reichlich Blütenknospen für die Folgesaison ansetzt. Niemand hat bekanntlich die
Weisheit mit dem Löffel gefressen, und möglicherweise