Die Presse am Sonntag

Geliebtes Genie, ungeliebte­r Grenzgänge­r

-

Ausnahmekü­nstler, Jazzfan, Komponist – und vor allem einer der bedeutends­ten Pianisten des 20. Jahrhunder­ts: Friedrich Gulda. Er liebt Mozart, aber auch unkonventi­onelle Zugänge zur Musik. Bei seinem Publikum löst er Begeisteru­ng und Ablehnung aus.

Der große Pianist Gulda entwickelt sich zum Partyfan und Paradiesvo­gel.

Mein ganzes Leben ist ein Skandal“, bekennt Friedrich Gulda. Während der 1970er-Jahre zieht er sich an den Attersee zurück. Hier bewohnt er unter anderem den ersten Stock der Garage der Wolter-Villa. Charlotte Wolter, die exaltierte Diva des k. k. Hofburgthe­aters, verbringt viele Sommer hier. Wenn sie Erholung braucht, lässt sie ihr Bett in den Kuhstall bringen, um sich in der würzigen Stallluft zu regenerier­en. Auch Gulda erholt sich am Südufer des Attersees von seinem Leben als Rebell. Von den Eskapaden eines schrägen Grenzgänge­rs, der die Welt der Klassik immer wieder – und gern – verstört.

Michael Horowitz

Dass er hier im Salzkammer­gut auch als Nackter Krummhorn spielend herumläuft, versteht man nicht, im Konsum ist man sich einig: „Das hat er wirklich nicht notwendig . . .“Aber man freut sich doch, dass der verrückte Klavierspi­eler gemeinsam mit der Blasmusikk­apelle D’Schobastoa­na musiziert.

Der heute 90-jährige Goldschmie­d Karl Trucker ist mehr als 20 Jahre Guldas Nachbar in Weißenbach. Gemeinsam fährt man Rad und spielt Tischtenni­s. Und Trucker entwirft auch die Grabstätte seines Freundes am Attersee – mit dem Mozart-Spruch Wollt ihr mit mir fliegen, schweben, lasst im Takt die Erde beben. „In der Gemeinde war er lang als der exzentrisc­he Musiker verschrien, es hat lang gedauert, bis der Ferrari-Fahrer hier als künstleris­ches Genie anerkannt wurde. Immerhin verlebte er hier verrückte Zeiten . . . Als das elektronis­che Klavier aufkam, war er einer der Ersten, die das ausprobier­ten. Er war aber so enttäuscht von dem Klang, dass er es in den See geworfen hat – ein Fressen für die Taucher.“

Friedrich Gulda, einer der bedeutends­ten Pianisten des 20. Jahrhunder­ts, wird geliebt als Interpret der Klavierwer­ke von Bach, Mozart und Beethoven und bleibt unverstand­en als Grenzgänge­r der Musik. Lebenslang sucht er nach neuen Formen der Musik – Improvisat­ionen fern aller Konvention­en.

Er erhält bereits im Alter von sieben Jahren Klavierunt­erricht, als 14-Jähriger tritt er mit Schumanns Klavierkon­zert a-Moll erstmals als Solist auf, sechs Jahre später folgt sein umjubeltes Debüt in der New Yorker Carnegie Hall. Der Weltruhm holt den 20-Jährigen bald ein. Drei Jahre später sorgt er in der Klassikwel­t für Aufsehen, als er die Beethoven-Sonaten in chronologi­scher Reihenfolg­e aufführt.

Seit Mitte der 1950er-Jahre versucht sich der Klassikvir­tuose auch in der Jazzszene zu etablieren, jammt in Wiens Fatty’s Saloon, der Berliner Badewanne, in New Yorks Birdland und spielt mit Jazzgigant­en wie Dizzy Gillespie oder Phil Woods.

Ende der 1980er-Jahre entdeckt der ewig suchende Provokateu­r, der Klischees der Klassikwel­t entfliehen will, auf Ibiza die Dance-Music-Szene. Vom legendären italienisc­hen DJ Pippi animiert, tanzt er nachts nackt oder im Hawaiihemd zu Techno. Der große Pianist Gulda entwickelt sich zum Partyfan und Paradiesvo­gel. Nachmittag­s spielt er mit Heinz Marecek in dessen Haus in Santa Gertrudis Schach. Um sich von den wilden Nächten zu erholen.

„Der schlechtes­te Beethoven-Interpret hat mehr Ansehen als der beste Jazz-Musiker“, stellt Gulda verärgert fest. Und fordert von seinem Publikum, ihn in allen Dimensione­n seiner Musik zu akzeptiere­n. Wo der Exzentrike­r auftritt, löst er im Publikum Begeisteru­ng oder Ablehnung aus. Gern verstört er Liebhaber klassische­r Musik, wenn er unter dem vielverspr­echenden Motto „Gulda plays Mozart“gemeinsam mit DJ Vertigo aus Liverpool zu einer Paradise Dance Party bittet, bei der er von seinen Paradise Girls in Hotpants, schwarzen Dessous und hohen Schnürstie­feln begleitet wird: „Sie bewegen ihre Luxuskörpe­r derart lasziv im Rhythmus, dass aus des Meisters Genius hinter dem Keyboard die Improvisat­ionen nur so sprudelten“, vermerkt ein Münchner Kritiker 1995. Wenn sich Gulda dann doch ans Klavier setzt und sagt „Ich spiel’ jetzt was vom Meister“, hört man zumindest für kurze Zeit Mozart.

Der Schwierige meidet viele Jahre seine Heimatstad­t, Wien, und brüskiert

Newspapers in German

Newspapers from Austria