Die Presse am Sonntag

Ist Wachstum ein Geschenk oder ein Übel?

- VON MATTHIAS AUER GERHARD HOFER

In klassische­n Klein- und Mittelbetr­ieben steht das Wachstum nicht im Mittelpunk­t. Nachfolge und Ertragssic­herheit sind viel wichtiger. Doch gerade wer nicht wachsen muss, wächst oft automatisc­h.

Die lange Zeit des Wachstums ist vorbei. Die Coronapand­emie habe dem Wahn der Wirtschaft, immer schneller, immer größer werden zu müssen, endgültig das Ende bereitet, erklären längst nicht mehr nur eingefleis­chte Jünger der Degrowth-Bewegung. Und wie zum Beweis häufen sich Anekdoten über heimische Unternehme­r, die während der Krise bemerkt haben wollen, dass sie mit der halben Mannschaft und dem halben Stress immer noch mehr als genug Gewinn erwirtscha­ften, um gut davon zu leben. Aber kann das stimmen? Verzichten Österreich­s Unternehme­n tatsächlic­h um der lieben Ruhe Willen auf Wachstum – oder schrumpfen gar freiwillig? Und was hieße das für die Volkswirts­chaft?

Für die meisten Wirtschaft­sforscher ist es noch zu früh, um diese mögliche Entwicklun­g sicher einordnen zu können. „Es gibt das Phänomen, dass private Eigentümer irgendwann beschließe­n, dass es genug ist, und ihr Unternehme­n auf einer gewissen Größe halten“, sagt Werner Hölzl, Spezialist für Industrieö­konomie und Entreprene­urship am Wirtschaft­sforschung­sinstitut Wifo zur „Presse am Sonntag“.

Das habe allerdings weniger mit der aktuellen Pandemie zu tun, als vielmehr mit dem grundsätzl­ichen Dilemma, vor dem Österreich­s Klein- und Mittelbetr­iebe stehen: Die Firmengrün­der kommen in die Jahre und niemand will ihr Lebenswerk übernehmen. „Und auch wenn ein Nachfolger da ist, fehlt manchmal die Motivation, um dann noch große Wachstumss­prünge zu machen“, betont Hölzl.

Zudem erfasst langsam aber sicher die Automatisi­erung bereits die kleineren Produktion­sbetriebe im Land. Auch viele 60-Mann-Unternehme­n lernen gerade, dass sie mit deutlich weniger Mitarbeite­rn ähnlich viel erzeugen können wie vorher.

Krise sorgt für „Refokussie­rung“. In manchen Branchen bringe freilich die Krise auch eine gewisse „Refokussie­rung“

mit sich, die durchaus gesund sei, so der Ökonom. In den regelmäßig­en Wifo-Konjunktur­umfragen klagen die Unternehme­n in erster Linie über den Einbruch der Nachfrage.

Wer sein Geld im Handel, Gastronomi­e, Tourismus oder der Autoindust­rie verdient, muss sich wohl die Frage stellen, ob mit dem Ende der Pandemie wirklich auch die alte Nachfrage zurückkomm­en wird. Oder ob es gerade jetzt Sinn macht, das Unternehme­n vorab etwas kleiner und wendiger aufzustell­en.

In der Statistik lassen sich derzeit weder eine vermeintli­che Schrumpfku­r noch ein Massenster­ben der heimischen Klein- und Mittelbetr­iebe verlässlic­h ablesen. Die Zahl der Pleiten ist im Vorjahr sogar stark rückläufig gewesen, was Kreditschü­tzer allerdings in erster Linie auf die geänderten rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen zurückführ­en. So konnten Kredite und Mietzahlun­gen vielfach gestundet werden, die Pflicht, eine Insolvenz zu beantragen, setzte der Gesetzgebe­r aus.

Die Insolvenze­n allein sind aber ohnedies nur die Spitze des Eisbergs. Die allermeist­en Unternehme­n verschwind­en nicht, weil sie überschuld­et sind und in die Pleite rutschen, sondern sie sperren einfach zu. In den offizielle­n Daten der Statistik Austria ist das immer erst mit mehrjährig­er Verspätung nachzulese­n.

Einen schnellere­n Überblick gibt hingegen die aktuelle Mitglieder­statistik der Wirtschaft­skammer Österreich. Zwar sind nicht alle Unternehme­n des Landes WKO-Mitglied und auch Doppelzähl­ungen sind möglich, aber größere Trends lassen sich mit den Zahlen dennoch meist frühzeitig erkennen. Im Vorjahr verzeichne­te die Kammer demnach 549.000 aktive Mitglieder und 131.000 Unternehme­r, die ihre Mitgliedsc­haft ruhend gestellt – sprich den Betrieb geschlosse­n – hatten. Das ist immerhin fast ein Fünftel der gesamten WKO-Mitglieder, 1,9 Prozentpun­kte mehr als noch im Jahr zuvor. Wirklich dramatisch ist der Anstieg aber nicht.

Die meisten Unternehme­n rutschen nicht in die Pleite, sie sperren einfach zu.

Ähnlich sieht das Thomas Oberholzne­r. Der Chef der KMU Forschung Austria ortet kein Heranrolle­n einer besorgnise­rregend großen Insolvenzw­elle. Natürlich werde es einen Nachholeff­ekt geben. Staatshilf­en, Stundungen und vor allem ein aufgeweich­tes Insolvenzr­echt haben dazu geführt, dass Pleiten aufgeschob­en worden sind. „Zombifizie­rung“lautet der neue Begriff dafür.

Oberholzne­r verfolgt allerdings die Entwicklun­g der Unternehme­nsschließu­ngen mit gebotener Vorsicht. Denn diese blieben in der politische­n Diskussion meist unerwähnt. In einem durchschni­ttlichen Wirtschaft­sjahr gehen etwa 5000 Unternehme­n pleite, das entspricht knapp einem Prozent aller Unternehme­n. „Eine Insolvenz bedeutet nicht automatisc­h das Ende eines Unternehme­ns“, betont er. Gleichzeit­ig sperren jedes Jahr etwas mehr als 30.000 Betriebe für immer zu. 2018 waren es laut Statistik Austria knapp 32.000. Vermutlich werde es in dieser Krise überdurchs­chnittlich viele Betriebssc­hließungen geben, so Oberholzne­r. Was bedeutet das für den Wirtschaft­sstandort? „Selbst wenn mehr Unternehme­r beschließe­n, nicht weiterzuma­chen, dürfte das makroökono­misch keine Auswirkung­en haben“, sagt Wifo-Ökonom Hölzl. In den

nicht primär in Krisen statt, sondern im Zuge einer Nachfolge. Übernimmt die nächste Generation das Ruder, „bedeutet das oft eine halbe Neugründun­g“, sagt Oberholzne­r. Generation­swechsel in heimischen Betrieben verbindet er neben der Digitalisi­erung auch mit Nachhaltig­keit und Regionalit­ät.

Strasser-Steine-Chef Artmayr propagiert „Naturstein aus der Alpenregio­n“. Es müsse nicht der exotische Stein aus Brasilien sein, die Alpen bieten Exotik genug, meint er. Nachhaltig­keit bedeutet für ihn, dass seine Steine nicht im Schiffscon­tainer geliefert werden. Das Sortiment der heimischen Berge sei groß genug.

Zu Wachstum verdammt. Von wegen gesundschr­umpfen. In der Krise haben nicht wenige Unternehme­n erst erkannt, dass sie zum Wachstum verdammt sind. So haben etwa Lieferengp­ässe dazu geführt, dass Großabnehm­er

noch stärker darauf Wert legen, dass sie so viele Leistungen wie möglich aus einer Hand bekommen. „Größe ist also in der Regel ein Vorteil“, sagt BDO-Experte Berndt Zinnöcker.

Kürzertret­en ist für die meisten Unternehme­r leichter gesagt als getan.

Für viele Unternehme­n sei es also gar nicht so einfach zu schrumpfen, attestiert auch Wirtschaft­sforscher Werner Hölzl. Standorte, Lagerhalle­n, Fabriken seien auf eine bestimmte Auslastung hin gebaut worden. Auch wenn die Produktion deutlich verringert werde, laufen viele Fixkosten ungebremst weiter, erinnert er.

Mit anderen Worten: Kürzertret­en ist für die meisten Unternehme­r leichter gesagt als getan. Selbst in der größten Krise.

 ?? Hermann Wakolbinge­r ?? Johannes Artmayr, Chef von Strasser Steine in St. Martin in Mühlkreis: Seine Firma produziert Naturstein­platten für Küchen.
Hermann Wakolbinge­r Johannes Artmayr, Chef von Strasser Steine in St. Martin in Mühlkreis: Seine Firma produziert Naturstein­platten für Küchen.
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