Ist Wachstum ein Geschenk oder ein Übel?
In klassischen Klein- und Mittelbetrieben steht das Wachstum nicht im Mittelpunkt. Nachfolge und Ertragssicherheit sind viel wichtiger. Doch gerade wer nicht wachsen muss, wächst oft automatisch.
Die lange Zeit des Wachstums ist vorbei. Die Coronapandemie habe dem Wahn der Wirtschaft, immer schneller, immer größer werden zu müssen, endgültig das Ende bereitet, erklären längst nicht mehr nur eingefleischte Jünger der Degrowth-Bewegung. Und wie zum Beweis häufen sich Anekdoten über heimische Unternehmer, die während der Krise bemerkt haben wollen, dass sie mit der halben Mannschaft und dem halben Stress immer noch mehr als genug Gewinn erwirtschaften, um gut davon zu leben. Aber kann das stimmen? Verzichten Österreichs Unternehmen tatsächlich um der lieben Ruhe Willen auf Wachstum – oder schrumpfen gar freiwillig? Und was hieße das für die Volkswirtschaft?
Für die meisten Wirtschaftsforscher ist es noch zu früh, um diese mögliche Entwicklung sicher einordnen zu können. „Es gibt das Phänomen, dass private Eigentümer irgendwann beschließen, dass es genug ist, und ihr Unternehmen auf einer gewissen Größe halten“, sagt Werner Hölzl, Spezialist für Industrieökonomie und Entrepreneurship am Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo zur „Presse am Sonntag“.
Das habe allerdings weniger mit der aktuellen Pandemie zu tun, als vielmehr mit dem grundsätzlichen Dilemma, vor dem Österreichs Klein- und Mittelbetriebe stehen: Die Firmengründer kommen in die Jahre und niemand will ihr Lebenswerk übernehmen. „Und auch wenn ein Nachfolger da ist, fehlt manchmal die Motivation, um dann noch große Wachstumssprünge zu machen“, betont Hölzl.
Zudem erfasst langsam aber sicher die Automatisierung bereits die kleineren Produktionsbetriebe im Land. Auch viele 60-Mann-Unternehmen lernen gerade, dass sie mit deutlich weniger Mitarbeitern ähnlich viel erzeugen können wie vorher.
Krise sorgt für „Refokussierung“. In manchen Branchen bringe freilich die Krise auch eine gewisse „Refokussierung“
mit sich, die durchaus gesund sei, so der Ökonom. In den regelmäßigen Wifo-Konjunkturumfragen klagen die Unternehmen in erster Linie über den Einbruch der Nachfrage.
Wer sein Geld im Handel, Gastronomie, Tourismus oder der Autoindustrie verdient, muss sich wohl die Frage stellen, ob mit dem Ende der Pandemie wirklich auch die alte Nachfrage zurückkommen wird. Oder ob es gerade jetzt Sinn macht, das Unternehmen vorab etwas kleiner und wendiger aufzustellen.
In der Statistik lassen sich derzeit weder eine vermeintliche Schrumpfkur noch ein Massensterben der heimischen Klein- und Mittelbetriebe verlässlich ablesen. Die Zahl der Pleiten ist im Vorjahr sogar stark rückläufig gewesen, was Kreditschützer allerdings in erster Linie auf die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen zurückführen. So konnten Kredite und Mietzahlungen vielfach gestundet werden, die Pflicht, eine Insolvenz zu beantragen, setzte der Gesetzgeber aus.
Die Insolvenzen allein sind aber ohnedies nur die Spitze des Eisbergs. Die allermeisten Unternehmen verschwinden nicht, weil sie überschuldet sind und in die Pleite rutschen, sondern sie sperren einfach zu. In den offiziellen Daten der Statistik Austria ist das immer erst mit mehrjähriger Verspätung nachzulesen.
Einen schnelleren Überblick gibt hingegen die aktuelle Mitgliederstatistik der Wirtschaftskammer Österreich. Zwar sind nicht alle Unternehmen des Landes WKO-Mitglied und auch Doppelzählungen sind möglich, aber größere Trends lassen sich mit den Zahlen dennoch meist frühzeitig erkennen. Im Vorjahr verzeichnete die Kammer demnach 549.000 aktive Mitglieder und 131.000 Unternehmer, die ihre Mitgliedschaft ruhend gestellt – sprich den Betrieb geschlossen – hatten. Das ist immerhin fast ein Fünftel der gesamten WKO-Mitglieder, 1,9 Prozentpunkte mehr als noch im Jahr zuvor. Wirklich dramatisch ist der Anstieg aber nicht.
Die meisten Unternehmen rutschen nicht in die Pleite, sie sperren einfach zu.
Ähnlich sieht das Thomas Oberholzner. Der Chef der KMU Forschung Austria ortet kein Heranrollen einer besorgniserregend großen Insolvenzwelle. Natürlich werde es einen Nachholeffekt geben. Staatshilfen, Stundungen und vor allem ein aufgeweichtes Insolvenzrecht haben dazu geführt, dass Pleiten aufgeschoben worden sind. „Zombifizierung“lautet der neue Begriff dafür.
Oberholzner verfolgt allerdings die Entwicklung der Unternehmensschließungen mit gebotener Vorsicht. Denn diese blieben in der politischen Diskussion meist unerwähnt. In einem durchschnittlichen Wirtschaftsjahr gehen etwa 5000 Unternehmen pleite, das entspricht knapp einem Prozent aller Unternehmen. „Eine Insolvenz bedeutet nicht automatisch das Ende eines Unternehmens“, betont er. Gleichzeitig sperren jedes Jahr etwas mehr als 30.000 Betriebe für immer zu. 2018 waren es laut Statistik Austria knapp 32.000. Vermutlich werde es in dieser Krise überdurchschnittlich viele Betriebsschließungen geben, so Oberholzner. Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort? „Selbst wenn mehr Unternehmer beschließen, nicht weiterzumachen, dürfte das makroökonomisch keine Auswirkungen haben“, sagt Wifo-Ökonom Hölzl. In den
nicht primär in Krisen statt, sondern im Zuge einer Nachfolge. Übernimmt die nächste Generation das Ruder, „bedeutet das oft eine halbe Neugründung“, sagt Oberholzner. Generationswechsel in heimischen Betrieben verbindet er neben der Digitalisierung auch mit Nachhaltigkeit und Regionalität.
Strasser-Steine-Chef Artmayr propagiert „Naturstein aus der Alpenregion“. Es müsse nicht der exotische Stein aus Brasilien sein, die Alpen bieten Exotik genug, meint er. Nachhaltigkeit bedeutet für ihn, dass seine Steine nicht im Schiffscontainer geliefert werden. Das Sortiment der heimischen Berge sei groß genug.
Zu Wachstum verdammt. Von wegen gesundschrumpfen. In der Krise haben nicht wenige Unternehmen erst erkannt, dass sie zum Wachstum verdammt sind. So haben etwa Lieferengpässe dazu geführt, dass Großabnehmer
noch stärker darauf Wert legen, dass sie so viele Leistungen wie möglich aus einer Hand bekommen. „Größe ist also in der Regel ein Vorteil“, sagt BDO-Experte Berndt Zinnöcker.
Kürzertreten ist für die meisten Unternehmer leichter gesagt als getan.
Für viele Unternehmen sei es also gar nicht so einfach zu schrumpfen, attestiert auch Wirtschaftsforscher Werner Hölzl. Standorte, Lagerhallen, Fabriken seien auf eine bestimmte Auslastung hin gebaut worden. Auch wenn die Produktion deutlich verringert werde, laufen viele Fixkosten ungebremst weiter, erinnert er.
Mit anderen Worten: Kürzertreten ist für die meisten Unternehmer leichter gesagt als getan. Selbst in der größten Krise.