Korallen aufforsten?
Der lang nur passive Schutz der Riffbildner wird angesichts der immer bedrohlicheren Lage zusehends durch aktives Restaurieren ergänzt.
Als Erste wurden Riffe restauriert, die von Schiffen lädiert worden waren.
Eines der staunenswertesten Wunder der Natur bekommen nur wenige Menschen zu Gesicht, das der Reproduktion der Korallen. Das liegt nicht nur daran, dass diese Lebewesen in entlegenen Regionen hausen – sie füllen nur 0,1 Prozent der Meeresböden, lassen aber 25 Prozent des Meereslebens gedeihen –, sondern auch am extrem schmalen Zeitfenster, in dem alle zugleich ihre Eizellen und Spermien – viele beides, sie sind Hermaphroditen – ins Wasser entlassen, ein paar Tage nach einem Vollmond, kurz nach Sonnenuntergang. Dann kommt ein farbenprächtiges Gewimmel von Millionen Keimzellen, es steigt auf wie ein inverses Schneegestöber. Das werden in naher Zukunft wohl noch weniger zu Gesicht bekommen: Allein die Ikone, das Great Barrier Reef, hatte in den letzten Jahrzehnten 50 Prozent Verlust, anderswo war und ist es noch ärger: Die jüngste globale Bilanz, vorgelegt 2020 von Yi Guan (Bremen), sah 94 Prozent aller Riffe gefährdet (Global Change Biology 26:5646).
Nun haben Korallen schon vieles überlebt in den 500 Millionen Jahren ihrer Geschichte, und einzelne Stöcke am Great Barrier sind 4000 Jahre alt, man weiß es von Wachstumsringen, die sie anlegen wie Bäume. Aber in den letzten Jahrzehnten haben sich die Bedrohungen angehäuft und summiert, am prominentesten die durch CO2, das durch die Versauerung der Meere am Baumaterial der Korallen zehrt und durch die Erwärmung Hitzewellen bringt, die die Korallen erbleichen lassen: Korallen sind Lebensgemeinschaften aus Polypen und Algen – Zooxanthellen –, die in ihnen hausen und Fotosynthese treiben, auch für ihre Wirte.
Aber wenn die in Hitzestress geraten, stoßen sie die Endosymbionten ab, dann bleibt weit sichtbar nur das weiße Kalkskelett. Die Polypen bleiben eine Zeit lang auch, sie können sich erholen und neue Zooxanthellen aufnehmen, aber die Spanne zwischen den Hitzewellen wird immer enger. Zudem leiden Korallen an Krankheiten – durch Bakterien etwa, auch solche, die mit menschlichen Abwässern kommen –, sie haben gefräßige Feinde wie die Dornenkronenseesterne, sie sind Giften der Industrie ausgesetzt und Überdüngung durch die Landwirtschaft, die Algen über sie wuchern lässt.
Und sie leiden auch schlicht daran, dass Schiffe mit ihnen kollidieren, manche sinken auf die halb zerstörten Stöcke. Mit denen begann, in den 1990er-Jahren vor Florida, der Versuch des Restaurierens: Man entfernte die feinkörnigen Bruchstücke und hielt die gröberen mit Netzen zusammen, ähnlich denen, die im Gebirge vor Steinschlag schützen. Später ging man auch an den Bau neuer Riffe bzw. ihrer Substrate, man befestigte etwa Betonstrukturen mit rauen Oberflächen am Meeresboden. Der übrige Korallenschutz beschränkte sich auf passive Maßnahmen – zur Verbesserung der Wasserqualität oder zum Bekämpfen von Fraßfeinden –, in den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass die nicht ausreichen: Man ist zum aktiven Restaurieren übergegangen, so wie man es am Land mit Aufforstungen tut.
Ableger auspflanzen. Das geht auch im Meer, am einfachsten mit feingliedrigen und raschwüchsigen Korallen, bei denen man Stücke abbrechen und sie auspflanzen kann wie Ableger von Pflanzen, so mehren sich viele Korallen – außer auf sexuellem Weg – auch selbst. Zu dieser Aussaat verwendet man bevorzugt Korallen, die Bleichen überleben konnten (Pnas 116, S. 10586), oder solche, die dort gedeihen, wo von Natur her CO2 aus dem Meeresboden sprudelt und das Wasser versauert (Geophysical Research Letters 41, S. 499), auch an gentechnisch eingebauten Resistenzen gegen Stress und Krankheiten arbeiten Forscher, es ist umstritten (Science 363, S. 1264).
Damit gibt es Erfolge, aber sie sind meist kleinräumig und nur über kurze Zeiträume dokumentiert. Zu diesem Befund kam Isa Boström-Einarsson (Townsville), als sie im Vorjahr eine Bilanz erhob und auf 362 Projekte stieß: Die meisten waren räumlich beschränkt – im Durchschnitt auf 100 Quadratmeter – und wurden maximal 18 Monate von Monitoring begleitet (Plos One 0226631). Zudem fehlte fast allen die entscheidende Probe, die des Gedeihens zur geschlechtlichen Reife. – Deshalb waren Mitglieder der
Gruppe um Christopher Page vom Mote Marine Laboratory in Florida letzten Sommer besonders gespannt, als sie mit dem Schiff an ein Riff bei Summerland Key fuhren: Page hat über Jahre Verfahren entwickelt, mit dem man Gewebe massiver Steinkorallen – die das Rückgrat von Riffen bilden, aber extrem langsam wachsen und keine Ästchen haben – aus der Natur entnehmen und sie via „Mikrofragmentierung“mit diamantbesetzten Sägen in kleinste Stücke teilen kann. Dann werden sie ein Jahr lang im Labor großgezogen, wieder analog zu Bäumen in Baumschulen. Schließlich werden sie ausgepflanzt, in Gruppen, die sich zusammentun können, fusionieren (PeerJ 3:e1313).
Inzwischen werden Korallen in Labors gezogen wie Bäume in Baumschulen.
Das ist deshalb wichtig, weil das Erreichen der sexuelle Reife bei Korallen nicht am Alter hängt, sondern an der Größe der Kolonie, in der Natur ist die nach etwa 50 Jahren da. Deshalb wurden viele Köpfe geschüttelt, als Page 2015 mit dem Auspflanzen begann. Dann kam andere Unbill hinzu: gleich 2015 eine Bleiche, 2017 ein Hurrikan, 2019 ein ruinöses Bakterium. Aber die Auspflanzungen hielten stand, und letzten Sommer – sieben Tage nach dem Vollmond im August und eine Stunde nach Sonnenuntergang – war der so seltene Moment da, er kündete sich akustisch an: „Rap! Rap! Rap!“, berichteten Hanna Koch, Erich Muller und Michael Crosby von Pages Labor, die kurz darauf „von Tausenden pinkfarbener Keimzellen im Wasser umgeben waren: Wir wurden Zeugen des erstmaligen Ablaichens ausgepflanzter Steinkorallen, und sie hatten nur fünf Jahre gebraucht“(The Scientist Februar).
Dann muss noch Leben an die restaurierten Riffe kommen: Fische. Aber die müssen erst rekrutiert werden, Jungfische wachsen weitab im Meer heran, sie werden bei gesunden Riffen durch die Geräusche des dortigen Lebens angelockt. Aber sie kommen auch, wenn diese Geräusche aus Lautsprechern schallen, Tim Gordon (Exeter) hat es am Great Barrier Reef gezeigt (Nature Communications 10: 5414).