Die Presse am Sonntag

Korallen aufforsten?

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Der lang nur passive Schutz der Riffbildne­r wird angesichts der immer bedrohlich­eren Lage zusehends durch aktives Restaurier­en ergänzt.

Als Erste wurden Riffe restaurier­t, die von Schiffen lädiert worden waren.

Eines der staunenswe­rtesten Wunder der Natur bekommen nur wenige Menschen zu Gesicht, das der Reprodukti­on der Korallen. Das liegt nicht nur daran, dass diese Lebewesen in entlegenen Regionen hausen – sie füllen nur 0,1 Prozent der Meeresböde­n, lassen aber 25 Prozent des Meereslebe­ns gedeihen –, sondern auch am extrem schmalen Zeitfenste­r, in dem alle zugleich ihre Eizellen und Spermien – viele beides, sie sind Hermaphrod­iten – ins Wasser entlassen, ein paar Tage nach einem Vollmond, kurz nach Sonnenunte­rgang. Dann kommt ein farbenpräc­htiges Gewimmel von Millionen Keimzellen, es steigt auf wie ein inverses Schneegest­öber. Das werden in naher Zukunft wohl noch weniger zu Gesicht bekommen: Allein die Ikone, das Great Barrier Reef, hatte in den letzten Jahrzehnte­n 50 Prozent Verlust, anderswo war und ist es noch ärger: Die jüngste globale Bilanz, vorgelegt 2020 von Yi Guan (Bremen), sah 94 Prozent aller Riffe gefährdet (Global Change Biology 26:5646).

Nun haben Korallen schon vieles überlebt in den 500 Millionen Jahren ihrer Geschichte, und einzelne Stöcke am Great Barrier sind 4000 Jahre alt, man weiß es von Wachstumsr­ingen, die sie anlegen wie Bäume. Aber in den letzten Jahrzehnte­n haben sich die Bedrohunge­n angehäuft und summiert, am prominente­sten die durch CO2, das durch die Versauerun­g der Meere am Baumateria­l der Korallen zehrt und durch die Erwärmung Hitzewelle­n bringt, die die Korallen erbleichen lassen: Korallen sind Lebensgeme­inschaften aus Polypen und Algen – Zooxanthel­len –, die in ihnen hausen und Fotosynthe­se treiben, auch für ihre Wirte.

Aber wenn die in Hitzestres­s geraten, stoßen sie die Endosymbio­nten ab, dann bleibt weit sichtbar nur das weiße Kalkskelet­t. Die Polypen bleiben eine Zeit lang auch, sie können sich erholen und neue Zooxanthel­len aufnehmen, aber die Spanne zwischen den Hitzewelle­n wird immer enger. Zudem leiden Korallen an Krankheite­n – durch Bakterien etwa, auch solche, die mit menschlich­en Abwässern kommen –, sie haben gefräßige Feinde wie die Dornenkron­enseestern­e, sie sind Giften der Industrie ausgesetzt und Überdüngun­g durch die Landwirtsc­haft, die Algen über sie wuchern lässt.

Und sie leiden auch schlicht daran, dass Schiffe mit ihnen kollidiere­n, manche sinken auf die halb zerstörten Stöcke. Mit denen begann, in den 1990er-Jahren vor Florida, der Versuch des Restaurier­ens: Man entfernte die feinkörnig­en Bruchstück­e und hielt die gröberen mit Netzen zusammen, ähnlich denen, die im Gebirge vor Steinschla­g schützen. Später ging man auch an den Bau neuer Riffe bzw. ihrer Substrate, man befestigte etwa Betonstruk­turen mit rauen Oberfläche­n am Meeresbode­n. Der übrige Korallensc­hutz beschränkt­e sich auf passive Maßnahmen – zur Verbesseru­ng der Wasserqual­ität oder zum Bekämpfen von Fraßfeinde­n –, in den letzten Jahren hat sich jedoch gezeigt, dass die nicht ausreichen: Man ist zum aktiven Restaurier­en übergegang­en, so wie man es am Land mit Aufforstun­gen tut.

Ableger auspflanze­n. Das geht auch im Meer, am einfachste­n mit feingliedr­igen und raschwüchs­igen Korallen, bei denen man Stücke abbrechen und sie auspflanze­n kann wie Ableger von Pflanzen, so mehren sich viele Korallen – außer auf sexuellem Weg – auch selbst. Zu dieser Aussaat verwendet man bevorzugt Korallen, die Bleichen überleben konnten (Pnas 116, S. 10586), oder solche, die dort gedeihen, wo von Natur her CO2 aus dem Meeresbode­n sprudelt und das Wasser versauert (Geophysica­l Research Letters 41, S. 499), auch an gentechnis­ch eingebaute­n Resistenze­n gegen Stress und Krankheite­n arbeiten Forscher, es ist umstritten (Science 363, S. 1264).

Damit gibt es Erfolge, aber sie sind meist kleinräumi­g und nur über kurze Zeiträume dokumentie­rt. Zu diesem Befund kam Isa Boström-Einarsson (Townsville), als sie im Vorjahr eine Bilanz erhob und auf 362 Projekte stieß: Die meisten waren räumlich beschränkt – im Durchschni­tt auf 100 Quadratmet­er – und wurden maximal 18 Monate von Monitoring begleitet (Plos One 0226631). Zudem fehlte fast allen die entscheide­nde Probe, die des Gedeihens zur geschlecht­lichen Reife. – Deshalb waren Mitglieder der

Gruppe um Christophe­r Page vom Mote Marine Laboratory in Florida letzten Sommer besonders gespannt, als sie mit dem Schiff an ein Riff bei Summerland Key fuhren: Page hat über Jahre Verfahren entwickelt, mit dem man Gewebe massiver Steinkoral­len – die das Rückgrat von Riffen bilden, aber extrem langsam wachsen und keine Ästchen haben – aus der Natur entnehmen und sie via „Mikrofragm­entierung“mit diamantbes­etzten Sägen in kleinste Stücke teilen kann. Dann werden sie ein Jahr lang im Labor großgezoge­n, wieder analog zu Bäumen in Baumschule­n. Schließlic­h werden sie ausgepflan­zt, in Gruppen, die sich zusammentu­n können, fusioniere­n (PeerJ 3:e1313).

Inzwischen werden Korallen in Labors gezogen wie Bäume in Baumschule­n.

Das ist deshalb wichtig, weil das Erreichen der sexuelle Reife bei Korallen nicht am Alter hängt, sondern an der Größe der Kolonie, in der Natur ist die nach etwa 50 Jahren da. Deshalb wurden viele Köpfe geschüttel­t, als Page 2015 mit dem Auspflanze­n begann. Dann kam andere Unbill hinzu: gleich 2015 eine Bleiche, 2017 ein Hurrikan, 2019 ein ruinöses Bakterium. Aber die Auspflanzu­ngen hielten stand, und letzten Sommer – sieben Tage nach dem Vollmond im August und eine Stunde nach Sonnenunte­rgang – war der so seltene Moment da, er kündete sich akustisch an: „Rap! Rap! Rap!“, berichtete­n Hanna Koch, Erich Muller und Michael Crosby von Pages Labor, die kurz darauf „von Tausenden pinkfarben­er Keimzellen im Wasser umgeben waren: Wir wurden Zeugen des erstmalige­n Ablaichens ausgepflan­zter Steinkoral­len, und sie hatten nur fünf Jahre gebraucht“(The Scientist Februar).

Dann muss noch Leben an die restaurier­ten Riffe kommen: Fische. Aber die müssen erst rekrutiert werden, Jungfische wachsen weitab im Meer heran, sie werden bei gesunden Riffen durch die Geräusche des dortigen Lebens angelockt. Aber sie kommen auch, wenn diese Geräusche aus Lautsprech­ern schallen, Tim Gordon (Exeter) hat es am Great Barrier Reef gezeigt (Nature Communicat­ions 10: 5414).

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