Die Presse am Sonntag

2000 Euro für zwei Shots in Moskau

Russland.

- VON JUTTA SOMMERBAUE­R (MOSKAU)

Deutscher Reiseveran­stalter bringt Impfwillig­e nach Der »Presse am Sonntag« erzählt er, wie es dazu gekommen ist und wie er mit politische­r Vereinnahm­ung umgeht.

Viel sorgloser als die Moskauer kann man in Zeiten der Pandemie kaum sein. Gerade jetzt im Frühling fallen die Masken. Immer weniger Menschen tragen den Schutz in der U-Bahn und in den Supermärkt­en, obwohl es eigentlich Vorschrift ist. Aber gerügt wird man dafür nur selten. Angesichts dieser Nachlässig­keit klingt es durchaus absurd, dass am nächsten Mittwoch die ersten deutschen Impftouris­ten in der russischen Hauptstadt ankommen sollen, um sich mit Sputnik V gegen das Coronaviru­s zu immunisier­en.

Nach Moskau bringen wird sie der deutsche Touristike­r Albert Sigl vom Reiseveran­stalter World Visitor. Er hat mit seinen Impfreisen – abrufbar im Netz unter meine-impfreise.com – in den letzten Tagen viel Aufmerksam­keit erregt. Sigl bietet eine Kurzreise nach Moskau mit Impftermin in einer Privatklin­ik an. Nach 21 Tagen wird die Reise wiederholt, um die zweite Immunisier­ung zu absolviere­n. Die Gesamtkost­en belaufen sich auf 2000 Euro. Ein anderes Paket lockt mit einem Türkei-Aufenthalt zwischen den beiden MoskauImpf­ungen. Kostenpunk­t: 1800 Euro. Sogar eine Fahrt in einem „Zug für Geimpfte“der Transsibir­ischen Eisenbahn will Sigl seinen Kunden in Zukunft vorschlage­n, um die drei Wochen zwischen den Nadelstich­en spannend zu verbringen. Oder einen Impfaufent­halt in einem Moskauer Transitflu­ghafenhote­l, eigentlich leben. „In Chile lässt sich jeder impfen“, erzählt Fuentealba Rojas. „Es gibt auch keine 1000 Menschen, die ohne Maske durch die Straßen ziehen und gegen Covid-Maßnahmen protestier­en oder die Impfung“, ergänzt ihr Mann. Die beiden fühlen sich enorm erleichter­t, geimpft zu sein. „Es ist ein gutes Gefühl. Mein Opa, meine Eltern, alle meine Tanten und Onkel sind geimpft. Du musst kein schlechtes Gewissen mehr haben, sie zu sehen.“Sie ist hörbar stolz auf ihr Geburtslan­d.

Und doch wartet auch Chile noch auf die Entspannun­g. Derzeit ist wieder fast das ganze Land im Lockdown. „Es sind viele Jüngere, die sich anstecken und sehr lange auf der Intensivst­ation liegen“, erzählt Gratzer. Bis die Impfung greife, werde es noch dauern. Nächste Woche kehren die beiden wieder nach Österreich zurück. Sollte ihre Impfung nicht anerkannt werden, würden sie sich sofort mit einem anderen Vakzin impfen lassen, sagen sie. Denn: „Es geht ums Gemeinwohl.“

womit man sich das russische Visum ersparen würde. Klingt wie ein Fantasma? Für den kreativen Veranstalt­er Albert Sigl gibt es offenbar nichts, was nicht denkbar ist.

Impfreisen als Nische. Wenn man sich bei Sigl erkundigt, warum er ausgerechn­et Impfreisen nach Russland anbietet, dann hat er die Antwort eines Geschäftsm­annes parat. „Uns war langweilig“, erzählt er der „Presse am Sonntag“. Seine auf Gruppenrei­sen spezialisi­erte Tourfirma habe in der Coronapand­emie quasi „Berufsverb­ot“gehabt. Deshalb sei man schon früh auf das Thema Impfreisen gekommen. In Russland sei man durch alte Kontakte schnell zu den zuständige­n Behörden vorgestoße­n. Partner ist nun die Allrussisc­he Volksfront, deren Anführer niemand geringerer als Wladimir Putin ist.

Dass das Reisebüro gerade jetzt vom Impfstoffm­angel und der politische­n Unzufriede­nheit in Europa profitiert, wohl aber kaum langfristi­g mit den Immunisier­ungstouren verdienen kann, bekümmert Sigl nicht. „Zeitweilig­e Angebote sind in dieser Branche nicht ungewöhnli­ch.“Nachsatz: „Wenn wir 2000 bis 5000 Menschen helfen können, ist das in Ordnung.“

Überhaupt möglich werden die Touren dank einer seit Anfang April gültigen Verordnung. Nach einem Jahr coronabedi­ngter Pause dürfen Deutsche

wieder nach Russland einreisen. Zwischen der Schweiz und Russland gilt so eine Regelung schon länger. Für österreich­ische Bürger ist die freie Einreise nach Russland derzeit noch nicht möglich. Deshalb können sie nicht an Sigls Impfreisen teilnehmen – außer, sie besitzen auch einen deutschen Pass oder einen Wohnsitz in Deutschlan­d.

Startschwi­erigkeiten gab es dennoch: Ursprüngli­ch hätte die erste Gruppe schon diese Woche in Moskau eintreffen sollen. Die Touristenv­isa wurden nicht so schnell ausgestell­t wie geplant. Eine „Herausford­erung“für den Bayer, der das „R“richtig schön rollen lässt. „Wir sind halt extrem früh dran.“Russland als Impfdestin­ation wollen auch andere promoten: So kündigt der russische staatliche Investment­fonds unlängst Impftouren nach Russland an. Freilich erst ab Juli.

Seine Kunden beschreibt Sigl als „Menschen mit Verantwort­ung“, die nicht auf ihren (späten) Impftermin warten wollen. Geschäftsl­eute etwa, ein junger Fußballtra­iner. Auch er, 57, wolle sich möglichst bald in Moskau Sputnik verabreich­en lassen. Dass die ausländisc­hen Gäste in Moskau von russischer Seite für eine Propaganda-Show instrument­alisiert werden, will er nicht glauben. „Für mich sind die Reisen ein reines Businessmo­dell, nicht politisch motiviert“, sagt Sigl. „Ich wäre blöd, das Geschäft nicht zu machen.“

Von Chile aus wundern sich manche über die Situation in Österreich.

kannte Pandemie, die Forscher seit Jahren gefürchtet hatten, fragt sie sich. Zehn Tage später erhält ihre Kollegin Teresa Lambe, ebenfalls Professori­n in Oxford, von einem chinesisch­en Aufdecker den Gencode des Virus.

»Einen Impfstoff zu machen ist wie Teig kneten, nur etwas komplizier­ter.«

Umgehend macht sich das Forscherte­am an die Arbeit: „Meine Familie hat für den Rest des Jahres nicht mehr viel von mir gesehen“, sagt Lambe. Zwei Monate später, am 18. März, hat das Team des Je nner Institute in Oxford einen möglichen Wirkstoff gegen das Virus fertig. „Einen Impfstoff zumachen,dasistwieT­eigkneten,nur etwas komplizier­ter“, meint Lambe. In Wahrheit war noch nie Vergleichb­ares gelungen: Normalerwe­ise dauern ähnliche Prozesse jahrelang und finden nicht unter den Bedingunge­n einer weltweiten Krise statt.

Nachdem erste Versuche an Schweinen erfolgreic­h verlaufen waren, folgten im April erste Tests an Menschen. Ein er der Freiwil l igen war der 23-jährige Geschichts­student Dan McAteer: „Es war eigenartig“, erinnert er sich. „Im November hatten wir einen Lehrgang über historisch­e Epidemien. Und nun waren wir selbst mittendrin.“Das staatliche Gesundheit­swesen (NHS) half bei der Suche nach Testperson­en. Innerhalb von Tagen meldeten sich mehr als 400.000 Menschen, heute hat Großbritan­nien das größte derartige Verzeichni­s der Welt.

Vom wissenscha­ftlichen Fortschrit­t zur Entwicklun­g eines fertigen Impfstoffs und seiner industriel­len Massenprod­uktion ist es allerdings weit. „Nur 14 Prozent der getesteten Impfstoffe erreichen schließlic­h Serienreif­e“, sagt der Wissenscha­ftsautor Stephen Buranyi. Die britische Regierung zögerte nicht lang. Am 6. Mai rief Premiermin­ister Johnson, der nicht lang zuvor selbst einige Tag e mit Covid-19 a ufd er

Fitnessstu­dios. Vor allem aber: In Gastgärten dürfen die hei ß geliebten Pubs endlich wieder ausschenke­n. Premiermin­ister Johnson, der auch dringend einen Haarschnit­t benötigt, kündigte schon seine Prioritäte­n für den großen Tag an: „Ich selbst werde vorsichtig, aber unumkehrba­r, ein Pint Bier zu meinen Lippen heben.“

Covid-Pässe für die Bürger. Vor Euphorie warnt die Obrigkeit dennoch. Der oberste Gesundheit­sbeamte des Landes, Chris Whitty, sagt: „Das Virus wird uns auch in absehbarer Zukunft begleiten.“Ein Weg, damit leben zu lernen, könnte nach Absicht der Regierung die Einführung von Covid-Pässen sein. Wer große Theater, Konzerte oder Sportveran­staltungen besuchen will, soll einen Nachweis seines Corona-Status erbringen müssen. An einer entspreche­nden App, die über Impfung, Erkrankung oder ein aktuelles Tester

Intensivst­ation mit dem Tod gerungen hatte, die auf Risikokapi­tal spezialisi­erte Investorin Kate Bingham an: „Helfen Sie mir, dass die Menschen nicht weiter sterben“, flehte er.

Nach einem Tag Bedenkzeit nahm die in Oxford zur Biochemike­rin ausgebilde­te Bingham an: „Ich bin keine Impfexpert­in“, war sie skeptisch. Umso besser kennt sie sich mit der Wirtschaft aus: Nach Erwerb eines MBA in Harvard etablierte sie sich höchst erfolgreic­h mit ihrem Venture-Capital-Fonds SV Health Investors, der zwei Milliarden Pfund verwaltet: „In meiner Funktion muss ich für jedes einzelne Pfund, das ich vom Geld meiner Anleger investiere, geradesteh­en. Sie verlangen, dass auch ich etwas zu verlieren habe. Diesen Zugang braucht man auch bei so einer Aufgabe.“

Innerhalb kürzester Zeit schloss sie Verträge mit sieben möglichen Hersteller­n ab. D as waren Wett en. Nic ht gebnis Auskunft gibt, wird bereits gearbeitet.

Gegen das Vorhaben gibt es freilich in allen politische­n Lagern heftigen Widerstand. 70 Abgeordnet­e unterzeich­neten einen offenen Brief, in dem der Covid-Pass als „entzweiend und diskrimini­erend“abgelehnt wird. Dennoch sind ab Mitte April erste Tests geplant, zum Finale des Fußballcup­s in Wembley am 15. Mai sol lenaufdies­emWeg wieder 20.000 Fans zugelassen werden. Zwei Tage später will Johnson die neuen Reisebesti­mmungen vorstellen, die Länder nach einer Ampelregel­ung zuordnen werden. Auch da wird es – so oder so – ohne Pässe nicht gehen.

Johnson ist dabei in Erklärungs­notstand: Als Labour-Innenminis­ter David Blunkett 2004 die Einführung von Personalau­sweisen andachte, erklärte der damalige Tory-Abgeordnet­e: „Lieber würde ich so einen Ausweis aufessen, als ihn vorzeigen zu müssen.“

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