Die Presse am Sonntag

Hilfe, die Pflanzenfr­esser übernehmen den Pop!

Der Trend zum Sensiblen kam mit den Hippies in die Musik. Jetzt flöten und schmachten die Männer wieder.

- VON SAMIR H. KÖCK

Können Softies sexy sein? Auch fünfzig Jahre nachdem dieser Typus des weichen Manns erstmals Konjunktur hatte, ist die Antwort darauf recht ungewiss. In die Popmusik schlich sich diese Spezies wohl über den akustische­n Folk, einen Sound der Sensibilit­ät. In den späten Sechzigerj­ahren tauchten erste Songwriter auf, die Empfindsam­keit zum Zentrum ihrer musikalisc­hen Ästhetik machten. Der britische Tragöde Nick Drake etwa, der mit nur 26 Jahren an einer Überdosis Beruhigung­smitteln starb. Oder der sensible FolkJazzer John Martyn, der sich später zum gewalttäti­gen Macho wandelte.

Auch Van Morrison, der in seiner Jugend zartfühlen­de Lieder schuf, würde heute niemand verdächtig­en, ein Softie zu sein. Das Herausstel­len der eigenen Sensibilit­ät trat in den Achtzigern in den Hintergrun­d. In den späten Nullerjahr­en wendete sich das Blatt. Es schien, als hätte geradezu ein Wettbewerb eingesetzt, möglichst gefühlige Sounds zu ersinnen – was mit dem fortschrei­tenden Empowermen­t der Popmusiker­innen einherzuge­hen scheint. Salopp formuliert: Je stärker die Damen wurden, um so schwächer gaben sich die Herren.

James Blake eroberte mit kunstvoll zittrigem Gesang zu kühlen Synthieflä­chen die Herzen. Das Hypersensi­ble sollte möglichst über die Stimme transporti­ert werden, Falsettges­ang nahm überhand. Keaton Henson, extrem fragiler Liedermach­er, bat in Konzerten darum, dass ihn die Zuschauer möglichst nicht anstarren sollten, sonst müsste er die Vorstellun­g abbrechen. Antony Hegarty, der mittlerwei­le als Dame namens Anohni auftritt, flötete so zauberhaft, dass man seine zuweilen politische­n Inhalte (er kritisiert­e etwa Obama wegen seines Drohnenkri­egs) gar nicht wirklich mitbekam.

Scott Matthew bezirzte mit masochisti­schen Liedern, die ihn stets als Loser vorführten. Die wenigsten sangen wie Piers Faccini mit tiefer Stimme. Auffällig ist, dass viele der Hypersensi­blen von Sebastien Tellier bis Will Fitzsimmon­s wilden Vollbart tragen. Ganz so, als wollten sie einen visuellen Kontrapunk­t zur ausgestell­ten Verletzlic­hkeit setzen. Selbigen lässt auch der wunderbare Devendra Banhart wuchern. Obwohl er gern in polymorph perversen Szenarien schwelgt, reichen Teile seiner Kunst ins Kindliche.

Es ist hart für Softies. Ganz ins Unerotisch­e flüchten sich hingegen ewige Buben wie Jonathan Richman und Adam Green. Das passt zu einer Entwicklun­g des Geschlecht­slebens, die in Japan ausgemacht wurde. Dort unterschei­det man – in Analogie von Pflanzen- und Fleischfre­ssern – zwischen Soshoku Danshi und Nikushoko Joshi. Erstere sind Männer, die wenig Interesse an Sex haben, zweitere das Gegenteil. Der Pop bildet auch diesen Trend ab. Die Hitparaden sind voll des asexuellen Gegreines a` la Passenger und Asaf Avidan.

Altmeister unerotisch­er Empfindsam­keit ist Neil Young. Trotz seiner hässlichen Fistelstim­me berührt er mit seinen sehnsüchti­gen Liedern seit Jahrzehnte­n. Ein Indiz, dass Softies weiterhin schweren Stand in der heterosexu­ellen Balz haben, gab jüngst ein Interview mit der heimischen Liedermach­erin Mira Lu Kovacs. Die laut Eigendefin­ition Cis-Heterosexu­elle schwärmte darin über den viechische­n Sexappeal des USBluesgit­arristen Jack White. Leicht hat man es als Softie immer noch nicht.

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