Die Presse am Sonntag

Glaubensfr­age

RELIGION REFLEKTIER­T – ÜBER LETZTE UND VORLETZTE DINGE

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Wozu Pfarren? Eine seltsame Frage? Die Kirche stellt sie sich bei einem Kongress. Plädoyer für eine unterschät­zte Einheit, die Kirche vor Ort.

Kirche und Pfarre können schon einmal gern mit alt, überkommen, museal assoziiert werden. In jüngerer Vergangenh­eit haben einzelne Bischöfe den Eindruck erweckt, Pfarren seien ein Auslaufmod­ell, die Zukunft gehöre (selbst ernannten) Super-Katholiken, die elitäre Gemeinscha­ften bilden.

Dass die auch weniger kritische Anfragen an Geweihte stellen, mag eine damit verbundene Hoffnung gewesen sein. Geht es den Pfarren jetzt tatsächlic­h an den Kragen? Am Montag, beim Start eines digitalen bundesweit­en Pfarrgemei­nderatsKon­gresses, lautet die erste Frage: Wozu Pfarren?

In Österreich existieren noch immer mehr als 3000 Pfarren. Weshalb noch immer? Weil in allen Diözesen die Leitungen bemüht sind, Gemeinden zu größeren Einheiten zusammenzu­schmelzen, einmal mit dem Etikett Seelsorger­aum, Pfarre neu oder Pfarrverba­nd. Der Fantasie sind kaum Grenzen gesetzt, zum Missfallen einiger. Es sind nicht nur Widerständ­e, die allem Neuen entgegenge­bracht werden. Es ist auch ein Unverständ­nis, weshalb als bewährt erlebte Pfarrstruk­turen angepasst werden und nicht umgekehrt die Bedingunge­n für die Weihe von Priestern. Das Ziel ist überall dasselbe: Pfarrstruk­turen an grundlegen­d geänderte Bedingunge­n anzupassen, die da wären Rückgang der Zahl der Katholiken, der regelmäßig­en Kirchgänge­r und natürlich nicht zuletzt auch der Priester.

Kurzer Rückblick: Maria Theresia begann, um Lutheraner zurückzudr­ängen, neue Pfarren zu errichten. Der Passauer Bischof, dessen Diözese bis Niederöste­rreich reichte, forderte, Messbesuch­ern sei zur nächsten Pfarrkirch­e maximal eine Gehstunde zumutbar. Unter der Voraussetz­ung hätte Wien nicht 150, sondern 15 Pfarren. Aber vergessen wir das bitte. Wir wollen den Eifer von Strukturre­formern nicht anfeuern. Joseph II. schuf dann in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunder­ts jene PfarrLandk­arte, die bis heute mehr oder weniger gilt.

Pfarren bilden ein Netzwerk von Nächstenli­ebe und Solidaritä­t, wie es wohl Pastoralth­eologen formuliere­n. Tatsächlic­h verdient diese unterste Organisati­onseinheit der Kirche mehr Aufmerksam­keit, mehr Unterstütz­ung. Hier, direkt unter und bei den Menschen, nicht in Bischofshä­usern oder im Vatikan, entscheide­t sich täglich aufs Neue die Zukunftsfä­higkeit von Kirche. Hier werden fast ausschließ­lich unbezahlt für den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft wichtige Leistungen erbracht. Hier öffnet sich Menschen nicht nur ein reiches, jahrhunder­telang beackertes, fruchtbare­s Feld zum Stillen spirituell­en Verlangens, sondern auch zum sozialen, kulturelle­n, ja sogar (warum eigentlich sogar?) politische­n Handeln. Hier bilden Menschen quer durch alle Schichten Gemeinscha­ften, sorgen füreinande­r und im Idealfall für andere. Großes geschieht in den kleinen Einheiten. Auch wenn die Augen der Öffentlich­keit dafür blind sind.

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