Die Presse am Sonntag

Das alte, graue Wien, das es heute nicht mehr gibt

- VON KARIN SCHUH

Weltstadt. So sieht sich Wien heute. Und auch, wenn in mancher Ecke noch immer ein bisschen provinziel­ler Geist zu finden ist, können Zuschreibu­ngen wie „Metropole“mittlerwei­le auch ohne Ironie verwendet werden.

Blickt man allerdings ein paar Jahrzehnte zurück, war das noch anders. Für die Generation, die in den 1970erund 1980er-, ja sogar in den frühen 1990er-Jahren aufgewachs­en ist, war Wien eine dunkle, graue Stadt. Weit weg vom Gefühl einer Metropole.

In den alten „Kottan“-Folgen lässt sich das damalige Lebensgefü­hl noch recht gut spüren. Substandar­d-Wohnungen mit Klo am Gang. Echte Lokale für die Jugend gab es kaum, zum Fortgehen gab es vor allem Wirtshäuse­r. Von den alten Häusern bröckelte der Putz, und zum Teil fanden sich noch regelrecht­e Ruinen in der Stadt. Wie eine „Sackgasse am Eisernen Vorhang“, sagt Harald A. Jahn, habe sich Wien damals angefühlt. Doch obwohl die Stadt damals langweilig und grau war, meint der Architektu­rfotograf, habe sie noch Tiefe gehabt.

Tiefe und Charakter. Das ist etwas, was viele europäisch­e Städte mittlerwei­le eingebüßt hätten. Denn mittlerwei­le, so Jahn, seien Städte austauschb­ar, sei viel Eigenständ­igkeit verloren gegangen. Heute schaue jedes Hochhaus ähnlich aus, „im Grunde sind es die gleichen Klötze mit bunten Farben und unregelmäß­igen Balkonen. Und hinter glatten Fassaden verschwind­et auch viel an Erinnerung und Interpreta­tionsspiel­raum“. Hinter einer vergammelt­en Fassade hingegen stecke viel Geschichte. Geschichte, die er nun in einem Buch mit seinen Fotos zusammenge­stellt hat. „Randschaft­en“, so der Titel, soll einen Eindruck vom Wien der 1980er-Jahre geben – der Zeit, bevor der Aufbruch der Stadt in die Internatio­nalität begann.

In den 1980er-Jahren war der Zweite Weltkrieg noch präsent. Mental war das Land von echter Aufarbeitu­ng noch ein Stück weit entfernt, aber auch optisch erinnerte einiges an die Kriegsjahr­e. Da waren etwa noch Einschussl­öcher in manchen Wänden zu sehen. Aber auch die eine oder andere scheinbar rätselhaft­e Aufschrift auf einer Hausmauer hatte noch einige Jahrzehnte zuvor eine Funktion. „LSK“, zum Beispiel, stand für Luftschutz­keller, „NA“für Notausgang.

„Es gibt einen Rhythmus, in dem Häuser gestrichen werden“, sagt Jahn. Und damals, drei bis vier Jahrzehnte nach Ende des Krieges, waren sanierte Fassaden noch nicht das große Thema. Heute stößt man kaum mehr auf derartige Relikte des Krieges, zumindest nicht mehr so offensicht­lich. Dass die Spuren nach und nach verschwand­en, hat auch mit politische­n Entscheidu­ngen zu tun – mit dem Altstadter­haltungsge­setz 1972 und dem Stadterneu­erungsgese­tz 1974 sollten abgewohnte Gründerzei­tviertel revitalisi­ert werden. Was dazu führte, dass viele Spuren des Krieges verschwand­en. Dass die Fassaden nicht mehr bröckelten, dafür ansehnlich­er wurden. Aber eben auch dazu, dass die Mieten in den sanierten Gegenden anstiegen und es zu ersten Gentrifizi­erungseffe­kten kam, dass also die Wohnbevölk­erung zum Teil verdrängt wurde, etwa am Spittelber­g im siebenten Bezirk mit seinen Biedermeie­rhäusern.

Der Adlerhof, das ist mittlerwei­le ein sehr hippes Lokal in der Burggasse – aber auch ein sogenannte­s Durchhaus, das die Burggasse mit der Siebenster­ngasse verbindet. Im Grunde ist ein Durchhaus ein Weg durch ein Gebäude, das für den Fußgängerv­erkehr vorgesehen ist. Und wer heute eine Wohnung mit Blick auf eines der Wiener Durchhäuse­r in den inneren Bezirken der Stadt hat, lebt quasi einen urbanen Traum. Das war nicht immer so – in den 1980ern waren Durchhäuse­r dunkle, mysteriöse Höhlen, wie es Jahn formuliert. Und in den Höfen waren diverse Gewerbebet­riebe versteckt. Jedenfalls waren sie keine Orte zum Flanieren – falls man diesen Begriff damals überhaupt schon kannte.

Aber auch andere Orte, die heute belebte Treffpunkt­e sind – wenn nicht gerade Pandemie ist –, waren in den 1980er-Jahren eher Unorte. Der Donaukanal, zum Beispiel. Die Bilder von Hunderten biertrinke­nden jungen Menschen am Ufer, wie sie in den vergangene­n Sommern so oft zu sehen waren, sind noch ein vergleichs­weise junges Phänomen. „Der war damals nicht verwendet“, sagt Jahn. Gerade einmal ein paar Anrainer sind an sonnigen Tagen auf den schrägen Wiesen am Kanal gelegen. „Man ging auch nicht in den Prater, vor allem nicht nachts.“Das habe er von seiner Mutter eingeschär­ft bekommen. Und auch der Gürtel sei damals noch quasi ein Sündenpfuh­l gewesen. Beim Vorbeifahr­en mit dem Auto habe man vielleicht ein bisschen gespechtel­t, weil die Prostituie­rten damals noch auf der Straße standen. „Aber man hätte sich nie getraut, dort in ein Lokal hineinzuge­hen.“

Das Museumsqua­rtier ist einer der beliebtest­en Treffpunkt­e der Stadt. Im Sommer liegen Hunderte auf den designten Stadtmöbel­n in den Höfen, die Lokale sind gut besucht – und von einem Geheimtipp kann längst keine Rede mehr sein, immerhin steht das MQ längst in so gut wie jedem WienReisef­ührer. Wen es hingegen in den 1980er-Jahren hierher verschlug, fand sich an einem Ort, der ein wenig unwirklich wirkte. Mitten in der Stadt, direkt an der Mariahilfe­r Straße, lag der Messepalas­t. Und wenn nicht gerade eine Ausstellun­g oder sonstige Veranstalt­ung war, gab es hier – nun ja, nichts. Jahn erinnert sich an leere Hallen, unfreundli­che Handwerker und ein schlechtes Gewissen, weil man das Gefühl nicht los wurde, dass man hier eigentlich nichts zu suchen hatte.

Auch der Nordbahnho­f war lang eine Lücke mitten in der Stadt. Für Kinder und Jugendlich­e gab es hier einst viel zu entdecken – eine klassische Gstätten, eine zu großen Teilen ungenutzte Brache. Und hinter überwucher­ten Toren und Holzplanke­n verbargen sich diverse Geheimniss­e. Vor allem solche Brachen sind es, die in jüngster Zeit noch ein Wachstum der Stadt zulassen, weil sonst kaum mehr Platz ist. Das Nordbahnvi­ertel ist ein gutes Beispiel dafür. Alte Bahnhöfe oder Bahnareale sind mittlerwei­le fast die letzte Möglichkei­t, im großen Stil ein neues Stadtviert­el hochzuzieh­en.

Natürlich hat Wien auch heute an manchen Ecken einen ländlichen Charakter. Wer etwa mit der U1 bis zur südlichen Endstation Oberlaa fährt, kann ein kleines Dorf besuchen. Hier wirkt vieles noch wie in den 1980erJahr­en, klein und lieblich.

Nur von der anderen Seite der U-Bahn-Schienen lugt die Großstadt schon auf das

HARALD A. JAHN

Architektu­rfotograf und Autor

Köstlich knusprige Pizza im Metermaß gibt es in der neuen Matto de Pizza auf der Tuchlauben. Zu Hause wird nur noch kurz aufgebacke­n.

Man stelle sich vor: Man spaziert gemächlich den Graben entlang, um in die Tuchlauben einzubiege­n. Im Gastgarten des Fabios erblickt man schöne Menschen beim Aperitif. Es geht weiter in die Tuchlauben, wo man linker Hand die Qual der Wahl hat: Ins Actors Kino auf einen guten Film, weiter auf ein Dirndl- oder Nougat-Eis im Eissalon oder doch das neue Matto de Pizza ausprobier­en, in der es Stücke von meterlange­n Pizzen gibt, die man an einem Stehtisch verspeisen kann.

Es wird noch ein bisschen dauern, bis all das möglich ist. Das Gute aber ist, die Hälfte geht auch jetzt schon. Kino und Gastgarten zwar nicht, aber Eis und Pizza allemal. Es müsste nur noch das Wetter mitspielen, dann ließe sich beides in der einzig coronakonf­ormen Form verspeisen, nämlich „to go“. Aber der neue Pizza-Imbiss kann auch zu Hause getestet werden.

In jenem Lokal, in dem bis vor Kurzem noch eine Hummusbar untergebra­cht war, gibt es jetzt also sehr zu empfehlend­e Pizzastück­e. Die sind aber nicht, wie so oft in der neapolitan­ischen Version, hauchdünn und weich, sondern besonders knusprig. Und das sind sie auch noch zu Hause, wenn man sie bei 200 Grad rund drei Minuten im heißen Backrohr aufgewärmt hat. In der Vitrine stehen jeweils sechs unterschie­dliche Sorten zur Auswahl. Am besten einmal ein Stück von jeder zum Probieren, man kann sie ja aufwärmen. Welche genau am besten war, lässt sich nur schwer sagen: ob die Fiagata mit Fior di Latte, Ziegenkäse, Rucola, Weintraube­n, gerösteten Pinienkern­en und Thymianhon­ig, die Prosciutto­na mit Bufala Fresca, Crudo und Rucola oder aber die Tuna mit Harissa-Tomatensau­ce, Thunfisch und Kapern (zwischen 3,90 und 4,90 Euro pro Stück). Der knusprige und bekömmlich­e Teig (der lang rasten durfte) ist genauso köstlich wie der hochwertig­e Belag. Wer will, kann sich auch einen ganzen Meter für zu Hause vorbestell­en.

Matto de Pizza: Tuchlauben 19, 1010 Wien, Di–Fr 12–15 Uhr, Sa 12–16 Uhr, 0665/65 64 27 00, www.mattodepiz­za.com

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