Für die Nische ist Europa zu groß
Der Mangel an Mikrochips aus Asien hat die politische Führung im Westen aufgeschreckt. Auch die EU will eine eigene Halbleiterindustrie aufbauen. Das ist alternativlos – aber schwer.
Ford, VW, General Motors: Das sind nur einige klingende Namen der Autoindustrie, die zuletzt ihre Produktion herunterfahren mussten, weil ihnen die Mikrochips ausgegangen sind. Doch die globale Halbleiter-Knappheit hat längst auch Hersteller von Laptops, Smartphones und anderen elektronischen Geräten erfasst. Selbst viele Jugendlichen wissen ganz genau, was dahintersteckt, dass sie vier Monate nach der Markteinführung immer noch auf ihre Playstation 5 warten müssen.
Der drastische Mangel an Chips, die überwiegend in Asien hergestellt werden (siehe Kasten), hat auch die Politik alarmiert: Die USA, Europa und China haben angekündigt, eine eigenständige Halbleiterindustrie aus dem Boden zu stampfen, um künftig unabhängiger zu sein. Aber geht das auch?
„Echte Souveränität ist nur mit einem unglaublichen Aufwand möglich“, sagt Christian Schuh, Partner bei Boston Consulting in Österreich, zur „Presse am Sonntag“. Die globale Halbleiterindustrie ist nicht nur enorm kostenintensiv, sondern vor allem auch extrem verwoben. Im Grunde hängt jeder von jedem ab. Die Herstellung eines Chips dauert Wochen und braucht eine komplexe Zulieferkette, an der oft mehr als 15.000 Unternehmen beteiligt sind. Nicht zufällig sind
Halbleiter nach Erdöl und Autos das meistgehandelte Produkt der Welt. Eine aktuelle Studie seines Hauses schätzt die Kosten für den Aufbau regional autarker Chipindustrien auf eine Billion US-Dollar. Die Konsumenten müssten sich auf Preissprünge von bis zu 65 Prozent bei ihren elektronischen Geräten einstellen.
Aber auch die stark international ausgerichtete Wertschöpfungskette der Industrie birgt Gefahren: So gibt es 50 strategische Engstellen, an denen die Versorgung mit bestimmten Teilen von einem Land abhängt. Bestes Beispiel sind moderne Halbleiter, die kleiner sind als zehn Nanometer. Sie werden fast ausschließlich vom weltgrößten Auftragsfertiger TSMC in Taiwan hergestellt. Lediglich Samsung in Südkorea und Intel in den USA könnten die Teile zumindest theoretisch herstellen.
Geologische und politische Erdbeben Damit ist quasi die ganze Welt in diesem Bereich abhängig von einer kleinen asiatischen Insel mitten im Erdbebengebiet und im Visier des großen Bruders China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet. Geologische – und politische – Erdbeben in der Region könnten rasch globale Folgen haben: „Kommen keine Chips unter zehn Nanometer mehr aus Taiwan, dann steht die ganze Industrie“, sagt Schuh.
Kein Wunder also, dass der Westen langsam nervös wird. Von der alten Dominanz der Amerikaner in der Chipindustrie ist nichts mehr übrig. US-Präsident Joe Biden fürchtet vielmehr um die nationale Sicherheit des
Landes, wenn die chinesische Regierung ihre Ankündigung umsetzt und die Fertigung von Mikrochips dominiert. Ohne Taiwan dürfte das schwierig werden – mit Taiwan hingegen sehr leicht. 50 Milliarden an Steuergeldern will Biden daher dafür ausgeben, um gezielt Chipfabriken ins Land zu holen sowie Forschung und Entwicklung neuer Chipdesigns zu fördern.
„Für Europa ist es genauso sinnvoll, eine strategische Reserve aufzubauen“, fordert Christian Schuh. Nur die Bedingungen sind etwas schwieriger: Aktuell erzeugt Europa nur die Hälfte der Chips, die es selbst verbraucht. An Export ist gar nicht erst zu denken. Dazu kommt eine lange Reihe an Übernahmen renommierter Unternehmen der Branche durch asiatische oder amerikanische Konkurrenten. In den vergangenen Monaten ging etwa der britische Chipdesigner ARM an den US-Rivalen Nvidia. Der Münchener Chipzulieferer Silctronic landete in den Armen der taiwanesischen Global Wavers. Europa hält sich gut in der Grundlagenforschung und hat einige hoch spezialisierte Halbleiterhersteller wie ASML, Infineon oder AT&S.
Aber Produktionsstätten für modernste Mikrochips, wie sie auch die europäischen Autohersteller bald zu Tausenden in ihren Elektrovehikeln verbauen werden, fehlen völlig. Die EU-Staaten haben das erkannt und wollen den Aufbau geeigneter Produktionsstätten forcieren. Rund zwanzig Fabriken bräuchte der Kontinent, sagt der BCG-Experte Schuh. Alternativen sieht er nicht: „Europa ist zu groß, um nur auf Nischen zu setzen.“
Kommen keine Chips unter zehn Nanometer aus Taiwan, steht die ganze Industrie.