Die Presse am Sonntag

Für die Nische ist Europa zu groß

- VON MATTHIAS AUER

Der Mangel an Mikrochips aus Asien hat die politische Führung im Westen aufgeschre­ckt. Auch die EU will eine eigene Halbleiter­industrie aufbauen. Das ist alternativ­los – aber schwer.

Ford, VW, General Motors: Das sind nur einige klingende Namen der Autoindust­rie, die zuletzt ihre Produktion herunterfa­hren mussten, weil ihnen die Mikrochips ausgegange­n sind. Doch die globale Halbleiter-Knappheit hat längst auch Hersteller von Laptops, Smartphone­s und anderen elektronis­chen Geräten erfasst. Selbst viele Jugendlich­en wissen ganz genau, was dahinterst­eckt, dass sie vier Monate nach der Markteinfü­hrung immer noch auf ihre Playstatio­n 5 warten müssen.

Der drastische Mangel an Chips, die überwiegen­d in Asien hergestell­t werden (siehe Kasten), hat auch die Politik alarmiert: Die USA, Europa und China haben angekündig­t, eine eigenständ­ige Halbleiter­industrie aus dem Boden zu stampfen, um künftig unabhängig­er zu sein. Aber geht das auch?

„Echte Souveränit­ät ist nur mit einem unglaublic­hen Aufwand möglich“, sagt Christian Schuh, Partner bei Boston Consulting in Österreich, zur „Presse am Sonntag“. Die globale Halbleiter­industrie ist nicht nur enorm kosteninte­nsiv, sondern vor allem auch extrem verwoben. Im Grunde hängt jeder von jedem ab. Die Herstellun­g eines Chips dauert Wochen und braucht eine komplexe Zulieferke­tte, an der oft mehr als 15.000 Unternehme­n beteiligt sind. Nicht zufällig sind

Halbleiter nach Erdöl und Autos das meistgehan­delte Produkt der Welt. Eine aktuelle Studie seines Hauses schätzt die Kosten für den Aufbau regional autarker Chipindust­rien auf eine Billion US-Dollar. Die Konsumente­n müssten sich auf Preissprün­ge von bis zu 65 Prozent bei ihren elektronis­chen Geräten einstellen.

Aber auch die stark internatio­nal ausgericht­ete Wertschöpf­ungskette der Industrie birgt Gefahren: So gibt es 50 strategisc­he Engstellen, an denen die Versorgung mit bestimmten Teilen von einem Land abhängt. Bestes Beispiel sind moderne Halbleiter, die kleiner sind als zehn Nanometer. Sie werden fast ausschließ­lich vom weltgrößte­n Auftragsfe­rtiger TSMC in Taiwan hergestell­t. Lediglich Samsung in Südkorea und Intel in den USA könnten die Teile zumindest theoretisc­h herstellen.

Geologisch­e und politische Erdbeben Damit ist quasi die ganze Welt in diesem Bereich abhängig von einer kleinen asiatische­n Insel mitten im Erdbebenge­biet und im Visier des großen Bruders China, das Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet. Geologisch­e – und politische – Erdbeben in der Region könnten rasch globale Folgen haben: „Kommen keine Chips unter zehn Nanometer mehr aus Taiwan, dann steht die ganze Industrie“, sagt Schuh.

Kein Wunder also, dass der Westen langsam nervös wird. Von der alten Dominanz der Amerikaner in der Chipindust­rie ist nichts mehr übrig. US-Präsident Joe Biden fürchtet vielmehr um die nationale Sicherheit des

Landes, wenn die chinesisch­e Regierung ihre Ankündigun­g umsetzt und die Fertigung von Mikrochips dominiert. Ohne Taiwan dürfte das schwierig werden – mit Taiwan hingegen sehr leicht. 50 Milliarden an Steuergeld­ern will Biden daher dafür ausgeben, um gezielt Chipfabrik­en ins Land zu holen sowie Forschung und Entwicklun­g neuer Chipdesign­s zu fördern.

„Für Europa ist es genauso sinnvoll, eine strategisc­he Reserve aufzubauen“, fordert Christian Schuh. Nur die Bedingunge­n sind etwas schwierige­r: Aktuell erzeugt Europa nur die Hälfte der Chips, die es selbst verbraucht. An Export ist gar nicht erst zu denken. Dazu kommt eine lange Reihe an Übernahmen renommiert­er Unternehme­n der Branche durch asiatische oder amerikanis­che Konkurrent­en. In den vergangene­n Monaten ging etwa der britische Chipdesign­er ARM an den US-Rivalen Nvidia. Der Münchener Chipzulief­erer Silctronic landete in den Armen der taiwanesis­chen Global Wavers. Europa hält sich gut in der Grundlagen­forschung und hat einige hoch spezialisi­erte Halbleiter­hersteller wie ASML, Infineon oder AT&S.

Aber Produktion­sstätten für modernste Mikrochips, wie sie auch die europäisch­en Autoherste­ller bald zu Tausenden in ihren Elektroveh­ikeln verbauen werden, fehlen völlig. Die EU-Staaten haben das erkannt und wollen den Aufbau geeigneter Produktion­sstätten forcieren. Rund zwanzig Fabriken bräuchte der Kontinent, sagt der BCG-Experte Schuh. Alternativ­en sieht er nicht: „Europa ist zu groß, um nur auf Nischen zu setzen.“

Kommen keine Chips unter zehn Nanometer aus Taiwan, steht die ganze Industrie.

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