Große Stückzahlen auf kleinen Rädern
Geboren aus der Materialknappheit der Nachkriegszeit: Italiens erfolgreichstes Exportgut auf zwei Rädern wird 75. Nirgendwo auf der Welt ist die Vespa beliebter als in Österreich.
Mit Motorrädern hatte der Konstrukteur der Vespa nichts am Hut.
Im Jahr 1986 flog in Tschernobyl der Deckel vom Topf, aber den österreichischen Teenager beherrschten größere Themen: Wann läuft die Vespa endlich? Stand das Jahr schon im Zeichen fieberhafter Vorbereitungen, diente der 16. Geburtstag einem einzigen Zweck: Endlich ran an das Gerät. Aber die schöne Italienerin, eine ausgerechnet in Kapfenberg aufgetriebene 1968er Special, hatte es weniger eilig. Sie lief nicht, und die unkundigen Hände, in denen sie sich nun nach wer weiß was für einem Vorleben befand, konnten sie auch nicht dazu bewegen. Wurde die Vespa nicht ersonnen für Menschen, die im Schrauben kein Plaisir sehen, sich nicht so gern Hände und Hosen ölig machen?
Die Legende will es so, aber die Realität hieß: Vergaser putzen und einstellen, vor allem am fachgerechten Verlegen der Bowdenzüge nicht verzweifeln. Kein Job, der einen beim Puch Maxi lang aufhält. Aber es ging bei der Vespa ja um eine Stilfrage. Und Stil ist Abgrenzung. Eben gegen Puch Maxi, erst recht gegen Sachs, Kreidler, Fantic und Zündapp, die alle leichter zu reparieren waren und meist auch schneller liefen (was zum Teil erklärt, warum jede vernünftige Vespa frisiert war).
Hubschrauber. Wer nicht aus der Selbsthilfegruppe Bowdenzüge kommt: In diesen Leitungen, bei der Vespa ins Verborgene, Unzugängliche hinein verlegt, laufen die Seilzüge für Gas, Bremse und Kupplung, und wenn es wo scheuert, weil eckig verlegt, hat man bald zwei Seile, aber eben keine Bremse oder Kupplung oder kein Gas mehr. Was übrigens nicht heißt, dass man nicht trotzdem fahren könnte, irgendwie.
Die Vespa, das ist an sich schon eine Geschichte der Improvisation. Sie ist auf die Welt gekommen, weil Piaggio nach dem Krieg keine Jagdflugzeuge mehr bauen durfte. Ihr Konstrukteur verstand etwas von Hubschraubern, aber nichts von Motorrädern. Er fuhr nicht einmal eines. Völlig unbelastet und streng praktisch gedacht, schuf der Ingenieur Corradino D’Ascanio eine Ikone der kleinen Mobilität.
Statt Antriebsketten, die ohnehin nicht in ausreichender Stückzahl aufzutreiben waren, hatte sein Entwurf Motor und Getriebe in die Schwinge des Hinterrads integriert (abgeleitet von Flugzeugfahrwerken), die ganze lärmende Technik verschwand diskret hinter einer hübsch geschwungenen Blechverkleidung; man hockte nicht in Gebärstellung, sondern saß aufrecht, während eine breite Schürze das Beinkleid schützte, und geschaltet wurde mit der Hand, um die Schuhe zu schonen: ein Motorrad zur Vermeidung des Motorradfahrens.
Dolce Vita. Seinen eigentlichen Traum, für seinen Arbeitgeber einen Hubschrauber zu entwickeln, konnte D’Ascanio mit dem 23. April 1946 vergessen: An dem Tag wurden seine Konstruktionspläne mitsamt des so passenden Namens zum Patent angemeldet. Der Roller mit der Wespentaille wurde aus dem Stand zum Erfolg, und der ehemalige Kampfpilot und Firmenchef Enrico Piaggio verlor jedes Interesse an Fluggeräten, mit denen man in Kriegstagen so erfolgreich war.
Die Vespa hob ab, und mit ihrer Technik eroberte ab 1947 auch die Ape das Land: Der Kleintransporter ist eine Vespa mit einer Ladefläche und zwei Rädern hinten – für die fleißigen Bienchen (ital. Ape), während die Wespen ausschwärmten, das süße Leben im zerstörten Land zu suchen.
Den Mailänder Konkurrenten Lambretta hielt Piaggio mit einer Frühform von Product Placement auf Distanz. Nachdem es gelungen war, seine Roller in Produktionen der Cinecitta`Filmstudios einzuschleusen und Gregory
Peck mit Audrey Hepburn (im Damensitz) auf einer Vespa durch Rom fuhr, hatte der Jetset sein Zweirad gefunden – und der Kult sein Objekt.
Primavera. In Österreich begann 1964 der Zweiradhändler Josef Faber mit dem Import von Piaggios Rollern und Motorrädern. Eine Geschäftsbeziehung, die bis heute hält und kürzlich um den Vertrieb für Tschechien und die Slowakei erweitert wurde.
Nie lief die Vespa besser als dieser Tage, erzählt Josef Faber jun. Denn die großen Stückzahlen im Land kommen auf kleinen Rädern.
Die Primavera 50 ist das bestverkaufte Zweirad im Land, erzählt Faber, und auch bei den B-Schein-Rollern ist Vespa die Nummer eins. Die GTS 300 ist seit Jahren das bestverkaufte Motorrad in Österreich. 12.000 Fahrzeuge der Piaggio-Gruppe setzte Faber zuletzt ab, im Roller-Segment hält die Marke Vespa einen Anteil von 42 Prozent.
Lebensstil. Das ist weitaus mehr als im Heimatland Italien – und überhaupt Weltspitze, so Faber. Er erklärt das mit der Italianita` der Österreicher, ihrer Liebe zum italienischen Lebensstil. „Design, Essen, das schöne italienische Leben.“Die Pandemie habe das durchaus noch befeuert. Zum einen sind viele Öffi-Pendler auf Zweirad umgeschwenkt. Und weil man hierzulande auch „Urlaub und speziell Italien vermisst“, leiste man sich eben eine Vespa, die ja nie zu den günstigsten Gefährten in ihren Klassen zählt. „Man kauft sich auch einen Lebensstil.“
Der heimische Hang zum Italienischen, der „Italo-Lifestyle“, sei schon eine Besonderheit, so Faber – in Tschechien und der Slowakei fehle er nämlich völlig. Dort verbinde man Adria und Urlaubszeit mit Kroatien, die Älteren noch mit Jugoslawien. Dennoch entwickle sich der Markt gut, denn es gebe Aufholbedarf: „Frühere Vertriebe dort hatten nicht unseren Lagerbestand, mit dem wir bei jedem Modell, in jeder Farbe lieferfähig sind.“
Dass Farben eine tragende Rolle spielen, das gebe es nur bei Vespa, einer Marke, die eben auch als ModeStatement taugt. Die breite Modellpalette, die Piaggio in den vergangenen Jahren aufgefächert hat, sei neben der auffallend hohen Wertstabilität der Roller ein weiterer Grund für den Erfolg.
Das war nicht immer so, erzählt Josef Faber. Die 1980er waren etwa ein Durchhänger mit schwachen Produkten, und unter Giovanni Agnelli, der 2003 starb, war man Ende der 1990er in eine tiefe Krise geraten. Eine Investorengruppe, „die aber nicht investierte“und keine Visionen besaß, übernahm von den Agnellis, die Überschuldung geriet zeitweise existenzbedrohend.
Rettung kam in Form des Milliardärs Roberto Colaninno, der Erfahrung mit italienischen Kultmarken hatte, und Piaggio und vor allem Vespa mit frischem Geld und viel Gespür für Marketing wieder auf Spur brachte. „Piaggio stirbt nicht“, wird er zitiert, „man muss es nur besser behandeln.“Ab da gewann die Vespa ihr Karma zurück.
Blickt Josef Faber in die Zukunft, sieht er Elektroroller. Auch die Vespa hat einen im Programm, doch mäßig erfolgreich, in Wahrheit schwer verkäuflich, weil teuer – und weil die Batterie noch nicht ausgebaut und zum Aufladen mitgenommen werden kann.
Doch das ändere sich bald. Piaggio hat mit Honda, KTM und Yamaha in eine Kooperation gefunden, Ziel: die Entwicklung eines einheitlichen Batterie-Standards. Damit soll es möglich sein, in Städten einen unkomplizierten Batterietausch vorzunehmen. „Elektrische City-Scooter werden sich schneller durchsetzen als das Elektroauto“, glaubt Faber. „In fünf bis zehn Jahren wird ein Großteil der Roller elektrifiziert sein.“Von Kabelzügen und Öl auf den Händen ist man spätestens dann endgültig befreit.
Nicht einmal in ihrem Heimatland ist die Vespa so gefragt wie in Österreich.