Weltpolitik am Tischtennistisch
Vor 50 Jahren fanden China und USA einen Weg, um im Kalten Krieg wieder politische Beziehungen aufzunehmen: die »Ping-Pong-Diplomacy«. Zeitzeuge Tim Boggan erinnert sich.
Es gibt Geschichten, die schreibt nur der Sport. Stories, die unter die Haut gehen, weil sie Emotionales preisgeben, Entbehrungen und Ängste aufzeigen, die ein Athlet erlebt hat, um Großes zu erreichen. Es gibt aber auch Anekdoten, die weit über jedes Stadion hinausreichen. Da geht es nicht nur um Equal Pay, Rassismus, Gleichberechtigung oder Doping-Bekämpfung, sondern um weitaus mehr. Weltfrieden im Kalten Krieg, die Wiederaufnahme eingefroren geglaubter Beziehungen. Und damit erlangte Tischtennis globale Bedeutung, als ein 15 Mann starkes USTeam am 14. April 1971 in Pekings „Großer Halle des Volkes“zu einem Schauturnier antrat.
Unter dem Begriff „Ping-Pong-Diplomacy“erhielt dieser Auftritt historische Dimensionen. Die beiden Weltmächte
hatten sich am Tischtennistisch getroffen, um – freilich über Umwege – mitten im Kalten Krieg ihre Beziehungen wieder aufzunehmen nach endlosen Jahren des Schweigens.
Geschichte im Plastiksack. „Ich soll dir unsere Geschichte erzählen? Nimm Platz, und Zeit – ich habe sehr viel zu erzählen.“Tim Boggan, ein Amerikaner, der Countrysänger Willie Nelson verdammt ähnlich sah, war im Rahmen der Tischtennis-Team-WM 2008 in Guangzhou umringt von chinesischen Journalisten. Der damals 77-Jährige stand ihnen geduldig Rede und Antwort. Doch als er den einzigen Nicht-Chinesen aus dieser Menschentraube herausragen sah, hatte er genug. Er bat dann den Chronisten an einen Tisch, kramte einen Berg Bücher und mehrere Fotoalben aus Plastiksackerln aus. Dieser Mann war mehr als nur ein Zeitzeuge: Boggan war 1971 der Delegationsleiter des US-Teams.
Das Abenteuer begann unspektakulär mit einer Verwechslung bei der WM in Nagoya, Japan. Glenn Cowan, laut Boggan „ein Hippie“, hatte den falschen Bus erwischt. Er stand plötzlich im Gefährt der Chinesen. Der 19-Jährige staunte, wusste nicht was er tun und sagen sollte – „doch der dreimalige Weltmeister Zhuang Zedong hieß ihn willkommen“, schmunzelte Boggan. „Sie haben ihn zum Training mitgenommen – und diese Meldung sorgte in Peking für Aufsehen.“
Coup von Zhou Enlai. Denn, sie einigten sich auf eine Trainingspartie. Und dann griff die Politik nach dem Celluloid-Ball. Am letzten WM-Tag luden Parteiführer Mao Zedong und Premier Zhou Enlai „unsere Mannschaft ein. Wir waren irritiert, aber interessiert“, erinnert sich Boggan, der später acht Bücher darüber schreiben sollte.
Seit der Machtübernahme der Kommunisten 1949 herrschte Stille zwischen beiden Nationen. China kämpfte im Korea-Krieg gegen USTruppen, unterstützte später Nordvietnam im Krieg mit dem Süden und den USA. Zedong sah, so Boggan, eine Chance, vor allem jedoch sei Zhou Enlai die treibende Kraft gewesen, um US-Präsident Richard Nixon mit einer „Einladung“zu überraschen.
Amerikaner durften damals eigentlich gar nicht in China einreisen. Aber, es flogen neun US-Spieler, vier Betreuer und zwei Ehefrauen am 10. April 1971 nach Hongkong und überquerten mit zehn Journalisten die Grenze in die Volksrepublik. Im Zug ging es nach Guangzhou, damals Kanton. „Als wir ausstiegen, waren wir in einer anderen Welt. Man starrte uns an wie Aliens“, sagt Boggan, „aber alle haben applaudiert!“Was in einer Stadt mit „grauen, schmutzigen Häusern“friedlich und amüsant („Eine unserer Frauen weigerte sich zu essen, bis man ihr einen Burger machte“) begann, führte bei dieser PR-Tour in Shanghai auch zu Erschrecken: „Wir sahen ein Plakat: Nieder mit den US-Imperialisten! Und, es zeigte Nixon mit Messer im Rücken.“
US-Zeitzeuge 1971, Delegationsleiter
In Peking, dem Höhepunkt der zehntägigen Reise, „sahen wir die Mauer, den Sommerpalast, eine Oper – und erlebten großartiges Tischtennis“. Mit überraschenden Siegen mancher USSpieler, vor 10.000 chinesischen Zuschauern. Ob das auf Geheiß geschah? Boggan grinste. Dass er in dieser Halle die Hand von Zhou Enlai schüttelte, Smalltalk führte und all das erleben durfte, musste er nicht gesondert betonen. Ein Berg Schwarz-Weiß-Fotos, den er dem Chronisten prompt in die Hand drückte, war Beweis genug.
Return von Nixon. Als am 14. April 1971 in Peking „Ping-Pong“gespielt wurde, kündigte Nixon die Lockerung des 20 Jahre alten Handelsembargos an. Die eigentliche Mission war erfüllt. Im Juli 1971 folgte eine Reise von Sicherheitsberater Henry Kissinger nach China, im Februar 1972 war Nixon als erster US-Präsident in Peking zu Gast. Im April 1972 kamen Chinas Tischtennisspieler in die USA, tourten und spielten in Washington oder Detroit.
Und in der Gegenwart? 50 Jahre später liegen die Beziehungen scheinbar wieder auf Eis. Handelskrieg, Sanktionen von Donald Trump und die harte Linie von Joe Biden legen eine gewisse Distanz zu China und Staatschef Xi Jinping offen. Ob nicht wieder eine Tischtennispartie ratsam wäre?
Im falschen Bus, aber mit den richtigen Worten: 1971 lud China das US-Team ein.