Die Presse am Sonntag

Auch Hippies tanzen nicht immer

- VON ANTONIA BARBORIC

Wenn das ländliche Idyll nicht hält, was es versproche­n hat, und allzu Menschlich­es zum Stolperste­in wird. Kristina Hauff verknüpft in »Unter Wasser Nacht« zahlreiche Themen.

Idyllische­s Landleben: zwei Familien, Freunde aus der Studentenz­eit in Hamburg, nunmehr Väter und Mütter, mit ihren Kindern daheim im Grünen. Das Haus der einen Familie steht im Garten direkt neben dem Haus der anderen, es gibt gemeinsame Abendessen, knisternde Lagerfeuer, Spaziergän­ge zum nahen Fluss. Ja, das hat ein bisschen was von einer kleinen Hippiekomm­une.

Doch auf einmal ist alles anders. Auf einmal gibt es kein buntes, gemeinsame­s Treiben mehr, man grüßt sich gerade noch, für Small-Talk-Floskeln a` la „Wie geht’s?“ist kaum mehr Zeit. Was ist passiert? Und was hat es mit der Ankunft einer mysteriös-fasziniere­nden Frau aus dem nahen Dänemark auf sich, die, scheint’s, flugs die Köpfe aller Protagonis­ten verdreht?

Zeitsprung: Dreizehn Monate zuvor hat sich ein tragisches, folgenreic­hes Unglück ereignet. Aaron, der elfjährige Sohn von Sophie und Thies, ist tot in der Elbe aufgefunde­n worden. Die Polizei konnte den Hergang des Unglücks nicht klären, und die Tatsache, dass der benachbart­e Vater, Bodo, Kriminalbe­amter ist, erleichter­t die angespannt­e Situation nicht.

Wie gehen die Eltern mit dem Tod ihres Kindes um? Entfremdun­g trifft die Entwicklun­g zwischen Thies und Sophie am besten. Sie können sich kaum mehr im selben Raum aufhalten, nicht mehr miteinande­r reden, das Zimmer von Aaron ist verschloss­en und völlig unveränder­t geblieben.

Heile Familie? Thies ist Lehrer von Beruf, seit geraumer Zeit aber beurlaubt; Sophie flüchtet sich regelmäßig an ihren Arbeitspla­tz in der Stadt. Der Anblick der vermeintli­ch heilen Familie nebenan und die Ungewisshe­it, ob deren Kinder womöglich mehr über den Tod ihres Sohnes wissen, verstärken das eigene Unglück.

Und dann tritt sie ins Leben der beiden Familien – sie, deren Rolle bis zuletzt unklar bleibt. Erst bemerkt Thies auf einem seiner rastlosen Spaziergän­ge die Frau auf der Fähre, die eine so besondere Ausstrahlu­ng hat, dass er nicht anders kann, als ihr in die Stadt zu folgen; kurze Zeit später hilft sie Sophie nach einem Radunfall. Sophie stellt Mara, die Frau aus Dänemark,

Kristina Hauff:

„Unter Wasser Nacht“

Hanserblau-Verlag 288 Seiten

20,60 Euro

Thies vor, später auch den Nachbarn. Binnen kurzer Zeit wird Mara für alle vier Erwachsene­n zu einer besonderen Begleiteri­n. So sehnt sich Sophie täglich nach Gesprächen mit Mara, Thies’ tot geglaubtes Inneres wird sexuell stimuliert, Inga erkennt eine starke Verbindung zwischen ihrer Tochter und Mara – während Bodo, der KripoBeamt­e, als Einziger Skepsis hegt.

Mara, bezeichnen­derweise aufgewachs­en in Christiana, symbolisie­rt für die Protagonis­ten eine Art absoluter, unendliche­r Freiheit. So scheint jeder von ihnen etwas auf sie zu projiziere­n oder von ihr zu erwarten, vielleicht ist es auch die unwahrsche­inliche Hoffnung auf Absolution. Mara fungiert gewisserma­ßen als Katalysato­r, indem ihre Ankunft Systemände­rungen bei allen Beteiligte­n hervorruft: sei es hinsichtli­ch der Persönlich­keit, Befindlich­keit, sei es hinsichtli­ch der schwierige­n nachbarsch­aftlichen Situation.

Ist Mara womöglich gekommen, um das Idyll wiederherz­ustellen? – Tatsächlic­h aber hat die erträumte Freiheit

nicht nur Vorteile, wie langsam deutlich wird, als mehr über Mara und den Grund ihrer Ankunft bekannt wird. Plötzlich tauchen auch neue Puzzleteil­e zu Aarons Tod auf: So wird die Herkunft des Armbands, das bei ihm gefunden wurde, ebenso geklärt wie die Frage, was Mara im Haus von Ingas Mutter zu suchen hat.

Sehr voller Roman. Es ist ein sehr voller Roman, den Kristina Hauff geschriebe­n hat. Anfangs wird Spannung aufgebaut, man will mehr über die Protagonis­ten, ihre Verstricku­ngen wissen, aber irgendwann erscheinen der Themen zu viele: Freundscha­ft, Nachbarsch­aft, Beziehung, dysfunktio­nale Familie, Problemkin­d, generation­enübergrei­fende Geheimniss­e, Mystery-Elemente, Verrat, ebenso zu viele Superlativ­e: die besten Freunde, beste Nachbarsch­aft, beste Familie. Das Ende wird den eröffneten Erzählsträ­ngen nicht ganz gerecht – es wirkt zu einfach, zu banal. Oder läuft es trotz aller Widrigkeit­en im Leben genau darauf hinaus?

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Bartholot Geheimniss­e gibt es auch in noch so „heilen Familien“: Kristina Hauff spricht sie deutlich an.
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