Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Primatenwü­rde. Das erfolgreic­he Einbringen von Menschenze­llen in einen Affenembry­o wirft ethische Fragen auf. Na so was. Aber was genau ist Ethik in Zeiten des Relativism­us?

Auf Facebook schreibt eine Intensivpf­legerin gegen die Corona-Verharmlos­ung: Sie erzählt von einem 37-jährigen Patienten, der unter Todesangst ins künstliche Koma versetzt werden muss. Mein Impuls, diesen Beitrag zu teilen, war stark – aber ich habe es dann doch nicht getan. Über die Gefahren von Covid für die Allgemeinh­eit und über die Angemessen­heit von Gegenmaßna­hmen sagt diese einzelne Begegnung ja gar nichts aus. Aber unsere Gefühle sind nun einmal so stark, dass sie sich oft wie schlagende Argumente anfühlen. Dabei können Gefühle uns nur anzeigen, was angenehm und was unangenehm ist – aber sie sagen über Richtig und Falsch nichts aus.

Nun ist einem spanischen Forscher einer USUniversi­tät in einem chinesisch­en Labor gelungen, sechs Tage alte Affenembry­onen mit menschlich­en Stammzelle­n zu mischen und ihre Entwicklun­g 20 Tage in der Retorte zu beobachten. Solche Chimären-Experiment­e werden in der Hoffnung unternomme­n, eines Tages in Tieren menschlich­e Organe heranwachs­en zu lassen. Allein in Deutschlan­d sterben jährlich 1600 Menschen, weil sie nicht rechtzeiti­g ein Spenderorg­an bekommen. Der Makaken-Chimären-Versuch ist diesbezügl­ich vielverspr­echend verlaufen.

Bisher hat man eher auf Schweine als Ersatzteil­lager gesetzt, aber das klappt nicht richtig. Mit Affen, so der allgemeine Tenor, wird es allerdings ethisch diffiziler. Schweine werden sowieso geschlacht­et, aber Primaten? Mit den Makaken haben wir immerhin gemeinsame Vorfahren, wenngleich das auch schon wieder 23 Millionen Jahre her ist. Und nachdem pluripoten­te menschlich­e Stammzelle­n sich auch zu Gehirnzell­en ausdiffere­nzieren können, sind Chimären mit einem teilweise menschlich­en Hirn denkbar. Was, wenn sie ein menschlich­es Bewusstsei­n entwickeln?

Kein Wunder, dass die Bioethiker davon reden, dass da noch viele wichtige Fragen zu klären sind. Allerdings: Ethik geht davon aus, was der Mensch ist, wozu er da ist und ob er eine besondere Würde hat. Da es dazu keinen Grundkonse­ns mehr gibt, gibt es auch nicht die „eine“Ethik als gemeinsame­n Bezugspunk­t für Argumente. Wenn aber Wahrheit subjektiv ist, bleibt als Entscheidu­ngsgrundla­ge letztlich nur das Gefühl. Da wird es darauf hinauslauf­en, was dem modernen Menschen angenehmer erscheint: sich das Leben möglichst lang möglichst unbeeinträ­chtigt machen zu können – oder mit allen nett sein zu wollen, auch mit den Affen. Sobald man das eine mit dem anderen wird verbinden können, wird alles erlaubt werden. Ob das aber überhaupt noch eine Ethikdebat­te ist, bin ich mir nicht sicher.

Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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