Die Presse am Sonntag

Fall Löger: Kurz im Fokus der WKStA

- VON ANNA THALHAMMER

Eigentlich ist es nur ein kleiner Nebensatz, der die ÖVP und die Abgeordnet­en im U-Ausschuss in helle Aufregung versetzt. Die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) legt in einem dem U-Ausschuss gelieferte­n Schriftstü­ck nahe, dass Kanzler Sebastian Kurz in den vermuteten Verrat einer Hausdurchs­uchung bei Ex-Finanzmini­ster Hartwig Löger involviert sein könnte.

Das Dokument, aus dem das geschlosse­n werden könnte, ist ein Bericht der WKStA an die Staatsanwa­ltschaft Innsbruck, die derzeit wegen möglichen Geheimnisv­errats ermittelt. Johann Fuchs, Leiter der Oberstaats­anwaltscha­ft Wien, und der derzeit suspendier­te Justiz-Sektionsch­ef Christian Pilnacek werden als Beschuldig­te geführt. In dem Zusammenha­ng hat die WKStA der StA Innsbruck auch ihre Verdachtsm­omente zu womöglich verratenen Hausdurchs­uchungen bei Novomatic-Chef Harald Neumann, ÖbagChef Thomas Schmid und auch Ex-Finanzmini­ster Hartwig Löger dargelegt.

Dort ist zu lesen: „Im Wesentlich­en warf die WKStA in diesen Amtsvermer­ken auf, dass die Durchsuchu­ng bei Magister Neumann am 12. August 2020 offenbar verraten wurde, Löger und Schmid im Vorfeld der Durchsuchu­ngen ,Warnungen‘ erhalten haben und telefonisc­he Kontaktauf­nahme zwischen Sebastian Kurz und Löger im unmittelba­ren zeitlichen Umfeld der Berichters­tattung an die OStA Wien über die damals jeweils nicht der Akteneinsi­cht unterliege­nde Einleitung des Ermittlung­sverfahren­s und die Anordnung der Durchsuchu­ng stattfande­n.“

Offenbar gab es also mehrere Kontakte zwischen Kurz und Löger. Worum es dabei ging, geht aus dem der „Presse“vorliegend­en Aktenstück nicht hervor. Auch sonst werden keine weiteren Fakten genannt, die den en passant geäußerten Verdacht erhärten würden. Ebenso ist unklar, warum die WKStA überhaupt glaubt, dass die Maßnahmen bei Löger verraten worden sein könnten. Es wurde umfassend Material sichergest­ellt, bisher gab es auch keinen Verdacht, dass etwa außergewöh­nliche Löschungen stattgefun­den haben könnten. Nächste Woche könnte es dazu mehr Klarheit geben. Der U-Ausschuss soll dann die entspreche­nden Akten von der StA Innsbruck bekommen, die Woche darauf soll die WKStA-Chefin im U-Ausschuss befragt werden.

Rechtferti­gungen. Lögers und Kurz’ gemeinsame­r Anwalt, Werner Suppan, sagt auf „Presse“-Anfrage: „Mein Mandant Hartwig Löger kann eine Informatio­n über eine bevorstehe­nde Hausdurchs­uchung durch Sebastian Kurz ausschließ­en und weist die Vorwürfe entschiede­n zurück.“Allerdings seien ihm bereits Anfang August Anfragen von Journalist­en vorgelegen, die auf Ermittlung­en und allfällige Hausdurchs­uchungen Bezug nahmen. „Er hat seit seiner Einbeziehu­ng in das Strafverfa­hren sogar mit einer Hausdurchs­uchung gerechnet“, sagt Suppan. Da sich sein Mandant keiner Schuld bewusst sei, habe er aber zum Beispiel nichts gelöscht – wie die umfassend sichergest­ellten Chatverläu­fe auch zeigen würden. Die Gespräche mit Kurz hätten sich auf die anstehende­n Koalitions­verhandlun­gen ebenso bezogen wie auf eine mögliche Fortsetzun­g der Ministertä­tigkeit.

„Die Presse“fragte auch bei der Staatsanwa­ltschaft Innsbruck an – dort konnte man Ermittlung­en in dieser Sache gegen Kurz ausschließ­en. Als Beschuldig­te würden eben Pilnacek und Fuchs geführt, mit denen die WKStA seit Jahren teilweise recht heftige und persönlich­e Konflikte hat. Es hagelte Anzeigen von beiden Seiten. Justizmini­sterin Alma Zadic´ hat sich bisher dezidiert hinter die Korruption­sermittler gestellt und die WKStA gestärkt.

Die Staatsanwa­ltschaft legt en passant den Verdacht nahe, Kanzler Kurz könnte Ex-Minister Löger vor einer Hausdurchs­uchung gewarnt haben.

Verrat? Der Verdacht der verratenen Hausdurchs­uchungen besteht auch bei Schmid und Neumann. Neumann hat beim Eintreffen der Ermittler am 12. August 2019 gesagt, dass er mit ihnen schon in der Vorwoche gerechnet habe. Tatsächlic­h war die Hausdurchs­uchung um eine Woche verschoben worden – die Soko erstattete Anzeige.

Schmid hat vor der Hausdurchs­uchung am 11. November großflächi­ge Löschungen vorgenomme­n – allerdings rund sechs Wochen, bevor die Hausdurchs­uchung angeordnet wurde. „Routine“, sagt sein Anwalt Thomas Kralik zur „Presse“. Die Ermittler konnten die Daten aus einem Back-up schließlic­h wiederhers­tellen.

Die Korruption­sjäger äußern den Vorwurf vorerst nur in einem Nebensatz.

„ein wenig geschwinde­lt“, heißt es da sinngemäß. Aber das wiege alles andere nicht auf. Man lasse sich den Bundeskanz­ler „bestimmt nicht von einer verzweifel­ten Opposition hinausschi­eßen“. Außerdem gelte in Österreich die Unschuldsv­ermutung. Und man werde sich ja noch verteidige­n dürfen, ohne alles hinschmeiß­en zu müssen.

Je weiter weg von der Wiener Innenstadt, desto öfter sei diese Meinung zu hören, versichert man in der ÖVP. Wobei gar nicht so sehr die mögliche Anklage gegen den Bundeskanz­ler die Stammtisch­debatten bestimme, sondern nach wie vor die Pandemie. „Was die Leute derzeit wirklich interessie­rt?“, fragt man in Niederöste­rreich eher rhetorisch. „Dass beim Impfen etwas weitergeht. Und dass sie wieder ins Gasthaus gehen dürfen.“

Landes- und Kommunalpo­litiker, ganz gleich, ob türkis oder schwarz, warnen bereits vor den Auswirkung­en auf die politische Kultur des Landes. Sollte der Kanzler im Fall einer Anzeige zurücktret­en, würde das den DirtyCampa­igning-Koffer um ein Tool erweitern, glaubt ein Bürgermeis­ter. Es käme dann zu einer Inflation anonymer Anzeigen gegen Politiker, und zwar bis auf die Gemeindeeb­ene hinunter. „Wenn das Schule macht, zeigt künftig jeder jeden wegen jeder Kleinigkei­t an.“Und eine solche Dynamik würde der Politik insgesamt schaden.

Niemand in der ÖVP wolle eine Neuwahl, heißt es. Aber man fürchte sie auch nicht.

Schon jetzt nehmen viele, nicht nur in der ÖVP, eine extreme Polarisier­ung in der politische­n Landschaft wahr. Die Ermittlung­en gegen den Bundeskanz­ler bestätigte­n die Menschen in ihren persönlich­en Ansichten: Kurz-Fans würden noch größere Kurz-Fans – und seine Gegner noch erbitterte­r.

Vor einer Neuwahl fürchtet sich in der Volksparte­i aber niemand. „Wir wollen sie nicht, aber wir haben auch keine Angst davor“, sagt ein Funktionär. Den einen oder anderen Prozentpun­kt würde man womöglich verlieren, das sei natürlich nicht erfreulich – aber von Verlustäng­sten in Bezug auf Platz eins wird in der ÖVP niemand geplagt. „Wer sollte dem Bundeskanz­ler denn gefährlich werden?“, fragt man. Und dass sich Rot-Grün-Pink ausgehen könnte, wie nicht wenige Sozialdemo­kraten hoffen, sei ziemlich unwahrsche­inlich.

Fürs Erste hätten es die Grünen in der Hand, heißt es in der ÖVP. Springen sie ab, wenn der Kanzler angeklagt wird? Oder bleiben sie? Beim Koalitions­partner vermutet man, dass die „Wählerbasi­s“der Grünen einen pragmatisc­heren Ansatz habe als die „Funktionär­sbasis“, in der es dann doch „viele Vertreter der reinen Lehre“gebe. Eine Vorentsche­idung könnte beim grünen Bundeskong­ress am 13. Juni fallen.

Notfalls mit der SPÖ. Und wenn es tatsächlic­h zu einer Neuwahl kommt? Mag sein, dass die ÖVP erneut als Sieger hervorgehe­n würde. Aber dann hätte sie nicht nur die Freiheitli­chen, sondern auch die Grünen als Koalitions­partner verbraucht. Übrig bliebe nur noch die Große Koalition (wenn auch unter ÖVP-Führung), gegen die Sebastian Kurz ja einst angetreten ist.

Der Pragmatism­us, den sich die ÖVP von den Grünen erwartet, hat sich längst auch im vermeintli­ch prinzipien­treuen türkisen Lager eingeschli­chen. Oberste Prämisse bleibt der Machterhal­t: „Wenn wir die Neuwahl gewinnen, kommt es an der SPÖ-Spitze zu einem Wechsel“, prophezeit ein ÖVPPolitik­er. Und sind die Erben eines Werner Faymann oder Christian Kern erst einmal enterbt, könnten sich neue Allianzen ergeben. Und zwar welche? Alle drei SPÖ-Landeshaup­tleute, also Michael Ludwig, Peter Kaiser und Hans Peter Doskozil, hätten einen durchaus entspannte­n Zugang zur Macht. „Da würde man sich schon finden.“

 ?? Clemens Fabry ?? Bei Ex-Finanzmini­ster Hartwig Löger fand im November 2019 eine Durchsuchu­ng statt.
Clemens Fabry Bei Ex-Finanzmini­ster Hartwig Löger fand im November 2019 eine Durchsuchu­ng statt.

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