Die Wandlung der Klaudia Tanner
In Niederösterreich regiert die ÖVP absolut – und absolut selbstbewusst. So wollte Klaudia Tanner auch als agieren. Bund und Bundesheer folgen aber anderen Regeln. Über eine Ministerin, die Geduld lernen musste.
Es ist schon weit nach 23 Uhr, als Klaudia Tanner langsam etwas unruhig wird. Eigentlich sollte sie gerade in Lissabon sein, um am nächsten Tag pünktlich zum informellen EU-Verteidigungsministertreffen zu erscheinen. Stattdessen sitzt sie hier, auf einem Plastikstuhl im Gate 44 des Münchner Flughafens. Und wartet auf den Anschlussflug. Zwei Stunden hat die Verteidigungsministerin davor schon in einer kleinen, gut belegten Maschine am Boden verbracht. Dann musste sie sie wieder verlassen. Ein technischer Defekt. Die portugiesische Airline entschuldigt sich später am Gate: Man wird gar nicht mehr abheben können. Ein Spritzer oder ein Bier wären jetzt gut, findet Tanner, aber die Bars haben geschlossen. Als Wiedergutmachung gibt es auf die Schnelle von der Fluglinie Orangensaft und Mineralwasser im Tetrapak, aber keine Übernachtungsmöglichkeit für alle Fluggäste: Die Hotels haben während Corona kaum Kapazitäten. Die Heimreise wird für Tanner noch lang: Zuerst mit dem Taxi nach Salzburg, von dort dann weiter mit einem Bundesheerfahrzeug. Um kurz vor vier Uhr früh ist sie zu Hause. In Lissabon wird Tanner von der Botschaft vertreten. Unter anderem soll die Anzahl der Bundesheersoldaten in Mali erhöht werden.
Womöglich ist es eine der wichtigsten Lehren, die Tanner in den vergangenen eineinhalb Jahren gezogen hat: In diesem Job braucht es Geduld. Seit ihrer Angelobung im Jänner 2020 haben sich ihr Zugang und ihr Politikstil verändert. Das sagen auch Beobachter aus unterschiedlichen Parteien. Pragmatischer, geschickter sei Tanner geworden, heißt es. Sie plant keine großen Sprünge, lieber kleine Schritte.
Dazu muss man wissen: Tanner ist in der niederösterreichischen ÖVP, im niederösterreichischen Bauernbund politisch groß geworden. Die Volkspartei regiert dort absolut und vor allem absolut selbstbewusst. Mit dieser Einstellung kam Tanner nach Wien. Gemeinsam mit ihrer früheren Beraterin, Katharina Nehammer, hatte sie eine Mission: Die Truppe sollte von ihrem maroden Image befreit und ordentlich aufgeräumt werden. So trat Tanner auch auf: „Airbus wird mich noch kennenlernen!“, richtete sie dem Eurofighter-Konzern aus (den Sager bereut sie bis heute nicht). Zu Kritikern sagte sie: „Ich rudere niemals zurück. Ich bin es gewohnt, durchzumarschieren.“Und ihr Ressort warnte sie vor: „Milch und Honig werden nicht fließen.“
Krisensommer 2020. Aber der Ballhausplatz liegt nicht in St. Pölten, das Bundesheer ist nicht der Bauernbund. Regierungspolitik und das Verteidigungsministerium folgen eigenen Regeln. Das Heer steht auch auf der Prioritätenliste von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht weit oben.
Tanners erste Krise findet im Sommer 2020 statt: Ein hoher Militär im
Ressort lädt im Juni eine Runde Journalisten in das Wiener Tschocherl Bendl ein. Dort wird verkündet, dass die militärische Landesverteidigung kein Schwerpunkt des Ressorts mehr ist. Tanner war, erzählte man sich im Haus, nicht eingebunden. Später musste sie das eigentlich Selbstverständliche betonen: Militärische Landesverteidigung bleibt ein Schwerpunkt des Militärs. Im Juli kündigt Tanner dann noch an, dass die Flieger
Saab 105 wie geplant ausgemustert werden. Ersatz gibt es aber nicht: Der Luftraum wird damit nur noch mit Eurofightern gesichert. Und auch deren Zukunft ist ungeklärt.
Von einer anderen Krise profitierte Tanner allerdings politisch: Corona. Bei Massentests, in Pflegeheimen, an der Grenze wurden Grundwehrdiener, Berufssoldaten und die Miliz (Uniformierte mit einem zivilen Hauptberuf) gebraucht. Bis zu 8000 Soldatinnen und Soldaten waren gleichzeitig im Einsatz. Das Ansehen des Heeres stieg, das Budget auch – das Finanzressort plante ohnehin kein Nulldefizit mehr.
Während Corona stieg das Ansehen des Bundesheeres – und auch das Budget.
Im Hintergrund wird gerade an einer Reform der Struktur gearbeitet. Auch der Verkauf der Eurofighter an Indonesien ist noch nicht vom Tisch. Verfassungsjuristen klären, ob eine europäische Kooperation bei der Luftraumüberwachung mit Österreichs Neutralität vereinbar ist. Das Ansuchen, eine parlamentarische Enquete zum Thema abzuhalten, liegt bei Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka.
Die Ziele, die Tanner für sich formuliert, sind pragmatische: Weiter investieren, Strukturen verschlanken, die Fähigkeiten der Truppe ausbauen, den Frauenanteil erhöhen. Große sicherheitspolitische Fragen sind offen. Die Opposition fürchtet, man will sie gar nicht stellen.
Abgaben für jene ausländischen Konzerne, die Kupfer, Gold und Silber aus dem Land sprengen und Gift und Wassermangel zurücklassen. 19 Prozent der Stimmen reichten dem kommunistischen Gewerkschafter für den ersten Platz. Und dahinter, mit gerade einmal 13 Prozentpunkten: Keiko Fujimori.
Dritter Versuch. Bereits 2011 und 2016 kandidierte die Peruanerin für das höchste Staatsamt. Ihr Vater, Alberto Fujimori, hatte zuvor mehr Erfolg: Er regierte das Land in den Neunzigerjahren – nach einem sogenannten Selbstputsch im Jahr 1992 allerdings autoritär. Fujimori senior sitzt seit 2007 in Haft, fünfmal verurteilt wegen grober Menschenrechtsvergehen und massiver Korruption.
Das zweite der Verbrechen wird nun auch seiner Tochter Keiko angelastet. Die 46-Jährige soll umgerechnet 17 Millionen Dollar an illegalen Wahlspenden von Reichen und Industriellen erhalten haben, die in ihre Präsidentschaftskampagne 2016 geflossen sind. Die an US-Unis ausgebildete Ökonomin, mit einem Amerikaner verheiratet, saß 18 Monate in Untersuchungshaft. Es kann gut sein, dass sie sich nach dem Urnengang wieder hinter Gitter begeben muss.
Für viele Peruaner steht der Familienname Fujimori für eine korrupte Polit-Elite.
Im Wahlkampf tourt Keiko mit dem weißen Fußball-Nationaltrikot Perus durchs Land, das ein breiter roter Diagonalstreifen kreuzt. Sie hat es nicht leicht, denn ihr Familienname ist für viele Bürger, vor allem auf dem Land, Symbol für eine korrupte Elite. Dass unter der Herrschaft ihres Vaters Zwangssterilisationen, vor allem an Frauen aus indigenen Familien, durchgeführt wurden, haben viele Menschen ebenso wenig vergessen wie die Tatsache, dass Keiko ihren Vater stets in Schutz genommen hat. Dass sie nun erstmals auch eine justizielle Aufarbeitung dieser Verbrechen gegen die Menschlichkeit gutheißt, mag ebenso dem Wahlkampf geschuldet sein wie das Versprechen, den Menschen, die im Umfeld der Minen leben, einen Anteil der von den Bergbaukonzernen eingenommenen Gebühren abzugeben. Die Rede ist von umgerechnet knapp 500 Euro jährlich pro Kopf.
Zukunft: Bergbau. Klar ist: Perus Zukunft liegt wieder in den Minen. Die Welt braucht leitfähige Metalle, Peru ist nach Chile ihr zweitgrößter Kupferproduzent. Fujimori hat den Konzernen signalisiert, die Rohstoffausbeutung intensivieren zu wollen, darum hat sie die breite Unterstützung von Perus Establishment: Industrie, Medien und sogar Mario Vargas Llosa. Der nobelpreisgekrönte Grandseigneur der lateinamerikanischen Literatur hatte die Fujimoris unzählige Male übel verwünscht, doch nun adelte er Keiko zur einzigen Person, die Peru davor bewahren könne, „in die Hände des Totalitarismus zu fallen“.
In den Umfragen liegen beide Kandidaten, der linke Lehrer Castillo und die mutmaßlich Korrupte, gleichauf.