»Könnten den Wettlauf verlieren«
Mit Gurgeltests für daheim hat der Virologe Christoph Steininger Wiens Teststrategie mitgeprägt. Dass sie wegen sinkender Infektionszahlen bald obsolet werden können, glaubt er nicht.
Im Zuge der Initiative „Alles gurgelt!“werden in Wien wöchentlich rund 340.000 Proben ausgewertet, Tendenz steigend. Gleichzeitig sinkt die Sieben-Tage-Inzidenz und liegt mittlerweile bei unter 40. Ist es wirklich noch sinnvoll, so viele Tests zu machen? Christoph Steininger: Tatsächlich geht nicht nur die Sieben-Tage-Inzidenz zurück, sondern auch die Rate der positiven Ergebnisse, Ihre Frage ist also berechtigt. Allerdings sind Massentestungen vor allem dann sinnvoll, wenn die Positiven-Rate niedrig ist und zumindest unter eins liegt. Das ist der Fall, somit haben wir unser Ziel erreicht.
Genau das meine ich. Die Zahlen sind auf einem sehr niedrigen Niveau, auch die Prognose ist angesichts des starken saisonalen Effekts positiv. Warum also weiterhin im Akkord testen, wenn das Ziel erreicht ist? Weil das Virus immer noch zirkuliert. Schauen Sie nach Australien. In dem Bundesstaat Victoria und der Hauptstadt Melbourne wurde nach einer Zunahme von Infektionen erneut ein Lockdown verhängt, obwohl Australien schon als virusfrei galt.
Darauf will ich hinaus. Ist es bei einer Handvoll Infektionen nicht effizienter, die Bevölkerung noch intensiver über infrage kommende Symptome aufzuklären, sich dann auf die symptomatischen Fälle zu konzentrieren und konsequentes Contact Tracing zu betreiben, anstatt wahllos gesunde Menschen zu testen?
Das wäre schon auch ein gangbarer Weg. Aber jede Strategie hat Vor- und Nachteile. Ein Problem dieser Pandemie ist, dass rund die Hälfte der Infizierten asymptomatisch bleibt, das Virus aber dennoch weitergeben kann. Diese Personen können nur mit präventiven Tests gefunden werden. Und das Contact Tracing ist ohnehin Teil unserer Strategie. Denn je früher wir – auch asymptomatische – Infizierte ermitteln, desto eher kann die Kontaktnachverfolgung beginnen.
Was ist mit den falsch positiven Resultaten? Die Spezifität der PCR-Methode liegt bei 99 Prozent. Das ist ziemlich gut, aber wegen der geringen Vortestwahrscheinlichkeit gibt es dennoch viele falsch positive Befunde.
Ja, das kommt immer wieder vor, aber in einem viel geringeren Ausmaß als bei den Antigen-Schnelltests. Kein Test ist perfekt. Die Alternative wäre, auf Massentests zu verzichten.
Was ist so schlecht an dieser Alternative? In ein paar Wochen wird jeder, der will, geimpft sein. Wie lang soll das mit den Eintrittstests noch so weitergehen?
Sie haben es selbst gesagt, das hängt vom Impffortschritt ab. In Österreich wurden gerade einmal zehn Prozent der Bevölkerung vollständig immunisiert, wir haben also einen weiten Weg vor uns. Auf diesem Weg müssen wir mit neuen Mutanten rechnen, die die Impfung umgehen können. Wir befinden uns in einem Wettlauf, den wir möglicherweise nicht gewinnen werden, obwohl wir mit der Impfung das richtige Instrument in der Hand halten. Mit anderen Worten: Wir brauchen in der nachhaltigen Bekämpfung der Pandemie auch andere Säulen, darunter fallen routinemäßige Zutrittstests ebenso wie etwa Antikörperbestimmungen, um mehr über den Immunitätsstatus der Bevölkerung zu erfahren.
Was ist mit der Maskenpflicht – wie lang dürfte sie uns noch erhalten bleiben?
Die Maskenpflicht wird noch länger bleiben. Vor allem in Bereichen, in denen das Halten von Abstand kaum möglich ist und wir schwer kontrollieren können, ob jemand geimpft, genesen oder getestet ist. In einem Taxi etwa, einem Hotel oder in öffentlichen Verkehrsmitteln. Zum Glück haben wir uns an Masken gewöhnt.
Na ja, niemand trägt gern eine Maske. Natürlich nicht, ich trage sie auch nicht gern. Aber wenn das soziale, kulturelle und gesellschaftliche Leben wieder in Schwung kommen und die Wirtschaft angekurbelt werden soll, müssen wir die Zahl der Infektionen niedrig halten. Lieber trage ich eine Maske, als auf einen Restaurantbesuch zu verzichten.
Schon klar, aber wie lang denn noch?
Ich verstehe schon, worauf Sie abzielen. Ein Leben wie vor der Pandemie wird es nicht mehr geben. Denn auch unsere Psychologie hat sich geändert. Wir werden nicht mehr akzeptieren, dass jemand das Grippevirus in ein Krankenhaus trägt. Oder dass Zehntausende Menschen, die weder geimpft noch genesen noch getestet sind, nebeneinander auf einem Rockkonzert feiern. In solchen Situationen werden wir uns nicht mehr wohlfühlen.
Das bedeutet: Freiheiten, die wir im Juli nicht zurückbekommen, werden wir nie wieder bekommen? Denn im Herbst werden die Zahlen steigen – mit oder ohne Herdenimmunität, mit oder ohne neue Varianten.
Das bedeutet: Wir müssen uns in Zukunft an neue Maßnahmen gewöhnen, um ein Leben zu führen, das unserem früheren Leben in weiten Teilen ähnelt. Programme wie „Alles gurgelt!“wird es genauso brauchen wie den vollständig implementierten Grünen Pass sowie ganz neue Werkzeuge, die noch gar nicht entwickelt sind. Das Virus kann nicht eliminiert werden, also müssen wir lernen, damit umzugehen. Singapur etwa hat eine 70- bis 80-prozentige Immunisierung der Bevölkerung erreicht und war zuletzt dennoch mit steigenden Zahlen konfrontiert. Mit der Impfung allein werden wir die Pandemie nicht unter Kontrolle halten.
Zurück zu Ihren Gurgeltests, die gar keine Gurgeltests sind, weil es reicht, wenn der Mundraum gespült wird. Die Abwicklung ist relativ unkompliziert, aber zu sagen, sie könnte nicht einfacher sein, stimmt auch wieder nicht. Man sollte im Umgang mit
Arzt und Unternehmer. Christoph Steininger ist Virologe an der Medizinischen Universität Wien und Mitbegründer des Unternehmens Lead Horizon, das im Zuge der Initiative „Alles gurgelt!“Gurgeltests für zu Hause anbietet. Die Kampagne der Stadt Wien und der Wirtschaftskammer startete Ende Jänner für Mitarbeiter von Betrieben und Sozialeinrichtungen. Seit
26. März sind die kostenlosen PCRGurgeltests allen zugänglich, die in Wien leben, arbeiten oder zur Schule gehen. Mittlerweile werden wöchentlich rund 340.000 Proben ausgewertet. Insgesamt waren es bisher rund
2,5 Millionen Auswertungen.
24 Stunden. Wer seine Probe in einem der 620 Standorte der Rewe-Gruppe (Billa, Bipa, Penny) abgibt, erhält innerhalb von 24 Stunden das Ergebnis per E-Mail. Vier neue Packungen pro Woche können mit einem Barcode in einem der genannten Geschäfte abgeholt werden. Die negativen Befunde (die Tests werden vor laufender Kamera durchgeführt, auch ein Ausweis muss in die Kamera gehalten werden) gelten 72 Stunden lang als Eintrittstest. dem Smartphone bzw. Computer schon geübt sein. In welchen Bereichen könnten noch Verbesserungen vorgenommen werden?
Sie sprechen da ein reales Problem an, daher sind wir auch sehr dankbar für Rückmeldungen von Kunden, um die Anleitung benutzerfreundlicher zu machen. Derzeit arbeiten wir wieder an einer neuen App, die die Handhabung noch einfacher machen wird. Auch in den Schulen wird es Optimierungen geben, beispielsweise soll die Dateneingabe durch Eltern oder Lehrer möglich sein. Der Großteil unserer Kunden ist im Übrigen zwischen 20 und 55 Jahre alt, aber es sind auch 100-Jährige dabei. Die jüngsten sind drei.
Sie wollen Ihre Tests auch in anderen Bundesländern anbieten – warum hat das bisher nicht geklappt?
Sehr gute Frage, ich weiß es wirklich nicht. Die fertigen Konzepte liegen auf dem Tisch, auch seitens der Bevölkerung besteht Bedarf, trotzdem hat noch keiner der Landeshauptleute Ja gesagt. Die Gründe dafür kenne ich nicht, vielleicht finden Sie es heraus.
Vielleicht sind die Anforderungen andere – längere Distanzen zum Beispiel, um die Proben abzuholen und ins Labor zu bringen. Diese Faktoren haben wir in unseren Konzepten berücksichtigt, sie stellen kein Problem dar, weil die Post ein verlässlicher Partner ist.
Sind Sie zu teuer? Die Stadt Wien zahlt mittlerweile rund fünf Euro pro Test.
Damit sind unsere Tests günstiger als Antigen-Schnelltests.
Dann fällt mir auch nichts mehr ein. Eine letzte Frage noch. Sie sind ja Mitbegründer des Unternehmens. Hat Sie diese Idee zum Millionär oder Multimillionär gemacht? Weder noch. Wir haben hohe Ausgaben, die App benötigt fast wöchentlich ein Update. Natürlich rechnet es sich – das sollte es auch, wir sind schließlich ein privates Unternehmen. Aber wir schaffen auch Arbeitsplätze in Österreich und zahlen hier Steuern.