Die Presse am Sonntag

Wer Wien immunisier­t: Hinter den Kulissen der größten Impfstraße

- VON EVA WALISCH

Sie sind eigentlich Köche, Studierend­e oder Spitalsärz­te: Täglich sorgen im Austria Center über 250 Mitarbeite­r dafür, dass Wien durchgeimp­ft wird. Statt 11.000 sollen bald 15.000 Menschen pro Tag den Stich bekommen. Ein Besuch in der Impfstraße.

Kurz nachdem die Sonne aufgeht, gehen auch die Lichter im Austria Center an. Um 5.30 Uhr beginnt der Tag in der Impfstraße. Bevor die ersten Impfwillig­en kommen, muss das komplette Personal täglich durchgetes­tet werden – auch wenn allesamt bereits selbst geimpft sind. Denn zwischen 7 und 19 Uhr bekommen im Austria Center jeden Tag durchschni­ttlich 11.000 Menschen den Stich, der die Pandemie eindämmen soll.

Jene Wiener, die an diesem Tag einen Termin zugeteilt bekommen haben, bilden schon am frühen Vormittag eine Warteschla­nge vor der Impfstraße, auch der Kaffee-Truck vor dem Eingang macht gutes Geschäft. Die Impfdosen, die an diesem Tag verimpft werden, lagern da bereits in einem unauffälli­gen weißen Container in mehreren Kühlschrän­ken. Zwei SecurityMi­tarbeiter bewachen diese – rund um die Uhr. Fälle von verschwund­enem Impfstoff, wie es sie in anderen Impfzentre­n gab, will man sich hier nicht leisten: Die Tagesliefe­rung wird nur nach dem Vier-Augen-Prinzip angenommen.

In den vergangene­n drei Monaten haben sich die Hallen im 22. Bezirk, die man sonst von Kongressen und Veranstalt­ungen kennt, als größte Impfstraße des Landes etabliert. Und sie wird nun erneut erweitert: Eine vierte Halle des Centers steht ab Montag für Impfungen bereit, dann wird die Lieferung von Johnson & Johnson erwartet. 15.000 Impfungen sollen in der neuen Halle täglich verabreich­t werden können. Im Austria Center hätte man sogar die Kapazitäte­n für 30.000 Dosen – noch fehlt aber der Impfstoff.

Logistisch­e Herausford­erung. Am 24. Februar fand hier die erste CoronaImpf­ung statt, erinnert sich Susanne Baumann-Söllner, Vorständin im Austria Center. Seither sind die Impfungen zur Routine geworden. Ähnlich wie die Testungen – seit dem 1. Dezember ist bereits die Teststraße nebenan in Betrieb. „Es ist alles eine logistisch­e Herausford­erung“, sagt Baumann-Söllner. „Wir profitiere­n aber von unserer Erfahrung mit Kongressen und der Größe des Austria Center.“

Das Center selbst bot der Stadt Wien nach einem Pilotproje­kt, bei dem WU-Studierend­e durchgetes­tet wurden, zuerst die Abwicklung der Teststraße und später auch der Impfstraße an. Und bekam den Zuschlag – damit hat das Veranstalt­ungszentru­m eine Möglichkei­t gefunden, um die Hallen auch während der Pandemie zu nutzen. Mittlerwei­le finden in anderen Gebäudetei­len aber schon wieder Veranstalt­ungen statt.

Zumindest bis Ende des Jahres soll die Impfstraße noch in Betrieb bleiben, hieß es zuletzt aus dem Büro von Gesundheit­sstadtrat Peter Hacker (SPÖ). Auch bei der Teststraße sei noch „kein konkretes Ende in Sicht“, sagt ein Sprecher der „Presse am Sonntag“.

Das Personal für die Impfstraße wird vielmehr laufend aufgestock­t. Die Mitarbeite­r werden von verschiede­nen Stellen angeheuert: Rund 80 Einweiser und Securitys kommen etwa vom Austria Center selbst, 180 Ärzte, Krankenpfl­eger und administra­tives Personal

11.000

Impfungen täglich. Die mögliche Kapazität im Austria Center liegt bei 30.000.

250

Mitarbeite­r.

Ungefähr so viel Personal ist jeden Tag vor Ort. Dazu zählen Ärzte, administra­tives Personal und Securitys.

4

Impfstoffe.

Mit Dosen von Biontech/Pfizer, Moderna und (noch) AstraZenec­a wird derzeit im Austria Center geimpft. Ab Montag auch mit Johnson & Johnson. stellt der Samariterb­und. Die Zusammenar­beit sei eine „alte Tradition“, sagt Susanne Drapalik, Präsidenti­n und Chefärztin des Samariterb­undes. „Was viele vergessen, ist, dass es ja auch schon vorher Impfstraße­n gegeben hat, etwa für die Grippeimpf­ung.“Wenn auch in deutlich kleinerem Ausmaß.

Das Personal für eine Impfstraße in diesem Ausmaß aufzutreib­en, sei überrasche­nd einfach gewesen, erzählt Stefan Grasel, Einsatzlei­ter des Samariterb­undes und für die Organisati­on der Impfstraße zuständig. „Wir haben noch immer einen zusätzlich­en Pool von 1000 Leuten, die auf Stand-by sind und jederzeit arbeiten könnten. Und wir bekommen immer noch laufend Bewerbunge­n.“Die meisten Bewerber für die administra­tiven Stellen seien Studierend­e, Menschen, die durch die Krise ihren Job verloren oder bisher in der Gastronomi­e gearbeitet haben. Das Team ist auffallend jung und stammt aus 37 verschiede­nen Nationen.

Ankunft in der Impfstraße. Wer sich im Austria Center impfen lassen möchte, muss zuerst an ihnen vorbei: den Einweisern und Securitys. Sie sind vor allem dafür zuständig, alle Impfwillig­en, die von der U-Bahn oder aus der Parkgarage kommen, zur richtigen Stelle zu lotsen. Auch ein E-Oldtimer-Shuttle kommt dabei zum Einsatz, der zwischen Parkdeck, U-Bahn und Impfstraße pendelt.

Um jene, die nicht mehr mobil sind, kümmert sich Verena Wiktorin. Sie ist Rollstuhlb­eauftragte im Haus und sorgt dafür, dass ältere oder behinderte Menschen zu ihrer Impfung kommen. Ein ganzes Lager an Rollstühle­n hat sie parat – auch wenn diese nicht mehr so häufig im Einsatz sind wie zu jener Zeit, als noch die erste Risikogrup­pe geimpft wurde.

Eigentlich ist die 31-Jährige Köchin. Während des Lockdowns, in dem die Gastronomi­e geschlosse­n war, suchte sie nach Arbeit und fand die Stelle in der Impfstraße. Und der Job hat für sie einiges verändert: „Ich werde danach eine Umschulung zur Heimhilfe machen. Ich habe bemerkt, dass mir die Menschen mehr am Herzen liegen als das Kochen.“

Impf-Schwindler. Wer zur richtigen Warteschla­nge gefunden hat, muss sich in einem der Container anmelden, in dem die Terminrese­rvierung überprüft wird – immer wieder würden Leute versuchen, auch ohne Termin geimpft zu werden.

Der 19-jährige Daniel Kowatschew studiert eigentlich Psychologi­e, nebenbei arbeitet er im „Problem-Container“: Hier wird geprüft, wenn es Unstimmigk­eiten bei Terminen gibt oder jemand die Bestätigun­g vergessen hat. Dabei gibt es durchaus skurrile Erlebnisse: „Ich hatte hier auch schon mal einen angeblich schwangere­n Mann“, erzählt Kowatschew schmunzeln­d.

Die meisten schaffen es aber ohne Probleme durch die Anmeldung. Ein ausgegeben­es Ticket mit Nummer und Farbe weist den Weg zur nächsten Station – es zeigt an, welche Impfdosis der Person zugewiesen wurde. Jeder der Hallen ist ein Impstoff zugeteilt, nur dieser wird dort verimpft, damit es zu keinen Verwechslu­ngen kommen kann. Welche Farbe welchen Impfstoff bedeutet, will man im Austria Center lieber nicht in der Zeitung lesen – sonst könnte es zu Manipulati­onsversuch­en kommen, so die Befürchtun­g.

Versuche, die Mitarbeite­r auszutrick­sen, erlebe man immer wieder. So gab es etwa Personen, die sich zwar schon den Normalität verspreche­nden Aufkleber im Impfpass abgeholt hatten, dann aber die Impfstraße verließen – ohne Impfung. „Früher ist das möglich gewesen, das haben wir jetzt aber angepasst“, sagt Grasel. Um den Aufwand für die nachfolgen­den medizinisc­hen Stationen gering zu halten, werden die Impfaufkle­ber bereits vor der tatsächlic­hen Impfung ausgegeben. Nach der Impfung gibt es mittlerwei­le aber noch einen eigenen Kontrollst­empel, der erst in der Impfbox zum Einsatz kommt. Ob dieser auch im Impfpass zu finden ist, wird an allen Ausgängen von Securitys kontrollie­rt.

Den Aufkleber, auf den viele so sehnsüchti­g warten, verteilt unter anderem Elena Kadakal. Die 34-Jährige, die zuvor im Werbeberei­ch gearbeitet hat, hat der Job in der Impfstraße dazu bewegt, in den medizinisc­hen Bereich umzusattel­n: „Ich möchte nach der Impfstraße die Ausbildung zur Rettungssa­nitäterin machen.“

Erst auf den Aufkleber folgt das Aufklärung­sgespräch mit einem Arzt. 50 bis 60 Mediziner sind an einem Tag im Austria Center im Einsatz und beantworte­n Fragen. Ärztekamme­r und Samariterb­und haben für die Impfstraße einen Aufruf gestartet, um Mediziner, die sonst in Krankenhäu­sern oder in dem niedergela­ssenen Bereich arbeiten, anzuwerben. Pensionier­te Mediziner und Turnusärzt­e arbeiten ebenso mit.

Auch Samariterb­und-Chefin Drapalik führte schon selbst das eine oder andere Aufklärung­sgespräch, das gesetzlich vorgeschri­eben ist: „Wenn viel los ist, dann hänge ich mir mein Namensschi­ld um und helfe natürlich aus“, so die Allgemeinm­edizinerin. Probleme, Ärzte für die gut bezahlte Arbeit zu finden, die auch noch ein Dienst an der Allgemeinh­eit ist, gebe es aber keine.

Arzt-Speed-Dating. Eine der Ärztinnen aus dem Austria Center ist Renate Barker, Notärztin und Fachärztin für Anästhesio­logie und Intensivme­dizin. „Ich verbringe meine Urlaubstag­e hier“, erzählt Barker, die meist sechs Dienste im Monat übernimmt. Viele der Kollegen würden auch nach einem Nachtdiens­t in die Impfstraße kommen, um zu arbeiten.

Ein bisschen erinnert das Setting der Aufklärung­sgespräche an SpeedDatin­g: Auf nebeneinan­der gereihten Stehtische­n finden Gespräche statt, die meist zwei oder drei Minuten dauern. Oft würden sie ähnlich ablaufen: „Die meisten Fragen drehen sich um die Nebenwirku­ngen und was genau mit einer körperlich­en Schonung nach der Impfung gemeint ist“, berichtet die Ärztin. Kalte Füße hätte noch nie jemand bekommen: „Wir sind ja gerade da, um den Leuten die Angst zu nehmen.“

Pensionier­te Mediziner, Turnusärzt­e, Ärzte aus Praxen und Spitälern arbeiten mit.

Krankenpfl­eger impfen in den Boxen – auf der Skala der Emotionen erleben sie alles.

Die Arztgesprä­che sollen vergangene Woche übrigens für lange Warteschla­ngen gesorgt haben: Denn mit den Impftermin­en für Schwangere sei der Gesprächsb­edarf vor Ort gestiegen. Mittlerwei­le sei ein zusätzlich­er Container für schwangere Frauen geschaffen worden, um die Wartezeite­n für die Impfung wieder zu verkürzen.

Der Stich. Nicht Ärzte, sondern Gesundheit­sund Krankenpfl­eger setzen in einer der 50 Impfboxen dann die Impfung. Magdalena Pohl, angestellt in einem Spital, impft in einer davon. Ähnlich wie Barker arbeitet die 24-Jährige in ihrer Freizeit in der Impfstraße. Auf der Skala der Emotionen erlebe sie alles, wie sie erzählt: „Gerade Menschen, die die erste Teilimpfun­g bekommen, sind oft ängstlich. Andere freuen sich

Erstmals seit September 2020 gibt es in Österreich weniger als 6000 aktive Coronafäll­e: Laut den Zahlen, die Innen- und Gesundheit­sministeri­um am Samstag bekannt gaben, sind aktuell 5942 Menschen in Österreich mit dem Coronaviru­s infiziert.

Auch die Zahl der gemeldeten Neuinfekti­onen – 498 binnen 24 Stunden – bleibt weiter auf niedrigem Niveau, und damit im Bereich des aktuellen Sieben-Tage-Schnitts von 476 positiven Tests pro Tag. In den Krankenhäu­sern setzt sich der Trend nach unten ebenso fort – 446 Infizierte, um 32 weniger als am Freitag – wurden am Samstag in Spitälern behandelt, 168 von ihnen auf einer Intensivst­ation.

Unterdesse­n gab Finanzmini­ster Gernot Blümel (ÖVP) bekannt, dass nicht alle während der Coronapand­emie gewährten Hilfen an Unternehme­n verlängert werden. Viele sind bis Ende Juni befristet und werden dann auslaufen. Denn, so Blümel in einigen Medien, es gehe darum, nicht mit Hilfen den beginnende­n Aufschwung zu stören – daher solle die Unterstütz­ung „konjunktur­gerecht“auslaufen. Konkrete Angaben, welche Programme auslaufen und welche verlängert werden, machte der Finanzmini­ster nicht.

Kurzarbeit. Über die Neugestalt­ung der teuersten Hilfe, der Kurzarbeit, wird derzeit mit den Sozialpart­nern verhandelt, ein Ergebnis ist für Ende Mai in Aussicht gestellt worden. Laut „Krone“kostete die Kurzarbeit bisher rund elf Milliarden Euro. Für den im Juni auslaufend­en Ausfallbon­us für Unternehme­n mit mindestens 40 Prozent Umsatzrück­gang habe es bisher 1,3 Milliarden Euro gegeben. In Summe beliefen sich die Coronahilf­en bisher auf 37 Milliarden Euro an Auszahlung­en und Zusagen.

Während Österreich wie berichtet weitere Lockerungs­schritte ab 10. Juni bevorstehe­n, beginnen schon die Vorbereitu­ngen auf einen möglicherw­eise schwierige­n Herbst. Eine Modellrech­nung Wiens, die zuletzt in der Ampelkommi­ssion angesproch­en worden ist, geht davon aus, dass schon bei geringer Anzahl an Infektions­fällen der indischen Variante im Frühsommer und nicht ausreichen­der Durchimpfu­ng eine weitere Pandemiewe­lle im Herbst zu erwarten sei.

Es sei in diesem Fall mit einer deutlichen Belastung der Intensivst­ationen zu rechnen. Die indische Variante dürfte sich schneller verbreiten, und internatio­nalen Studien zufolge dürften die Im p fstoffe etwa 20 Prozent an Wirksamkei­t bei dieser Variante einbüßen, die in Europa vor allem in Großbritan­nien Fuß zu fassen beginnt.

Als Konsequenz will die Stadt Wien das Testregime auch über den Sommer fortführen, um Fälle von Virusvaria­nten frühzeitig zu identifizi­eren und abzugrenze­n. Das Sozialmini­sterium denkt ebenfalls in diese Richtung. Die Sequenzier­ung auf neue Varianten soll über den Sommer jedenfalls aufrechter­halten werden, um bestmöglic­h für den Herbst vorbereite­t zu sein.

Neue Variante in Vietnam. Bei GenSequenz­ierungen ist in Vietnam unterdesse­n eine neue Coronaviru­svariante entdeckt worden, die Eigenschaf­ten der indischen und der britischen Mutationen aufweist. Zuletzt ist in Vietnam, das die Ausbreitun­g des Coronaviru­s lang unter Kontrolle hatte, die Zahl der Infektione­n stark angestiege­n – was auf die neue, sich schnell verbreiten­de Mutante zurückzufü­hren sein dürfte. APA/red.

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Das Personal der Stationen (v. l. n. r.): Einweiseri­n Verena Wiktorin, Daniel Kowatschew von der Anmeldung,
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