Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Das menschlich­e Mikrobiom ändert sich mit der Zeit. Dabei spielen die Ernährung und die Umgebung eine wichtige Rolle.

Wir leben nicht allein in unserem Körper. Viele Körperteil­e sind von Abermillia­rden Mikroorgan­ismen besiedelt – die Gesamtheit dieser Bakterien, Pilze, Archaeen und Viren nennt man Mikrobiom. Auf jedem Quadratzen­timeter Haut leben 100 bis 10.000 Bakterien, der Großteil unseres Darminhalt­s besteht aus ihnen. Nur wenige Keime lösen Krankheite­n aus, sie spielen vielmehr eine wichtige Rolle für unsere Gesundheit.

Das Artenspekt­rum des menschlich­en Mikrobioms ist individuel­l unterschie­dlich, und es ändert sich mit der Zeit. Die Unterschie­de können beträchtli­ch sein, wie nun eine internatio­nale Forschergr­uppe um Marsha Wibowo und Aleksandar Kostic (Harvard University) herausgefu­nden hat: Bei der Untersuchu­ng von Stuhlprobe­n von Menschen aus industrial­isierten Ländern, aus ärmeren Ländern und aus archäologi­schen Fundstätte­n in Nordamerik­a zeigte sich, dass sich die Darmflora heutiger Menschen von jener unserer Vorfahren unterschei­det (Nature, 12. 5.). So enthalten die jahrtausen­dealten Exkremente mehr Bakterien, die Ballaststo­ffe und Chitin (Hauptbesta­ndteil von Insektenpa­nzern) abbauen können, als heutige aus industrial­isierten Ländern. Stuhlprobe­n aus nicht industrial­isierten Ländern hingegegen glichen eher den archäologi­schen Proben als jenen aus reichen Staaten. Das wird als klarer Hinweis auf die Ernährung gedeutet. Die Spuren der „Zivilisati­on“waren indes überall nachweisba­r: Die Häufigkeit antibiotik­aresistent­er Keime war in allen heutigen Stuhlprobe­n viel höher als in den archäologi­schen Funden.

Das Mikrobiom auf und in uns steht auch in ständigem Austausch mit unserer Umgebung. Eine große Forschergr­uppe um David Danko und Christophe­r Mason (Cornell University) mit österreich­ischer Beteiligun­g hat die Mikrobiome in Städten – konkret in öffentlich­en Verkehrsmi­tteln in 60 urbanen Räumen auf der ganzen Welt – untersucht (Cell, 26. 5.). In den 4728 gezogenen Proben (davon 16 aus Wien) wurden mehr als 4200 Mikroorgan­ismen-Arten identifizi­ert. Ein kleiner Teil davon ist rund um den ganzen Erdball nachweisba­r, der Großteil differiert hingegen zwischen verschiede­nen Städten. Jeder Ort hat also so etwas wie einen individuel­len mikrobiolo­gischen „Fingerabdr­uck“. Antibiotik­aresistent­e Keime wurden überall nachgewies­en, ihr Anteil war aber unterschie­dlich groß.

Es gibt indes auch eine beruhigend­e Erkenntnis: Entgegen dem Ruf von Öffis, Bakteriens­chleudern zu sein, erwies sich keine der gefundenen Bakteriena­rten als krankheits­erregend.

Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Wissenscha­ftskommuni­kator am AIT.

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