Sind die Haie noch zu retten?
Von den uralten Jägern sind in den offenen Ozeanen drei Viertel durch Nachstellung in der Existenz bedroht. Denen an Küsten kann der Tourismus helfen.
Ein Zebra hat sein Leben lang Streifen, und ein Leopard bleibt bei seinen Flecken. Aber ein Hai legt mit dem Altern seine Streifen ab und Flecken an, deshalb hat er zwei Namen – Zebrahai und Indopazifischer Leopardenhai –, vielleicht deshalb auch wird er in vielen Aquarien gehalten. Auch in der freien Natur ist er ein Liebling tauchender Touristen bzw. er war es: Er ist am Verschwinden, regional schon weg.
Das Schicksal teilt er mit vielen anderen Haien, es wird eng für sie, die seit 420 Millionen Jahren die ärgsten Massensterben überlebt haben. Dass sie so alt sind, weiß man von einzelnen ihrer zahnähnlichen Schuppen, sonst gab es lang nichts, was fossilieren hätte können: Haie (und Rochen) haben keine Knochen, sondern ein Gerüst aus Knorpel. Und das eine Gewebe, das doch hart ist und dem Zahn der Zeit standhält, das der Zähne, hatten die ersten Haie offenbar nicht, auch heute ernährt sich der größte von ihnen (und allen Fischen), der Walhai, von Plankton. Als die Zähne aber einmal kamen, kamen sie in so großer Zahl, dass sie sich an den wunderlichsten Orten fanden, etwa in den Bergen um Florenz.
Dorthin hatte man 1666 einen an der Küste gefangenen Weißen Hai gebracht, er kam in die Hände des Anatomen Steno. Dem fiel an den Zähnen auf, dass sie exakt so aussahen wie Steine, die Hirten von Bergweiden mitbrachten – Petroglossen – und als Amulette verkauften. Daraus schloss er, dass die Berge früher keine waren, sondern aufgestiegen aus dem Meer, dass also die Haut der Erde nicht fix war, sondern in Bewegung, es war ein Schlag für den Schöpferglauben, der dem des Kopernikus vergleichbar war.
Dort, wo nun die Berge waren, war also früher Lebensraum für Haie, salziges Wasser, in weniger dichtes süßes vordringen können sie nicht, dazu sind sie trotz ihres leichten Gerüsts zu schwer, und sie haben, anders als Knochenfische, keine Schwimmblasen erfunden, nur die extrem fetthaltige Leber gibt ihnen Auftrieb, deshalb können die meisten nie rasten, sie müssen immer schwimmen, sonst zieht es sie hinab. – Und zum Schwimmen brauchen sie umso mehr Energie, als sie die gleiche Erfindung machten wie die der Beutetiere, die ihnen äußerlich ähnlich sind, Thunfische: Beide haben einen auf Geschwindigkeit optimierten Körper – er ist extrem stromlinienförmig und heißt thunniform –, den sie mit der Schwanzflosse vorantreiben, und dabei hilft ihnen im Inneren partielle Endothermie, das Heizen von Muskeln. Ausgerechnet den zentralen heizen Haie nicht, aber wie zäh der ist, hat Ulrich Becher in „Das Herz des Hais“schauerlich imaginiert: Das Organ wird einem gefangenen Hai herausgerissen und weggeworfen, doch es schlägt und schlägt.
Aber nicht nur das Herz hält durch, und Haie sind nicht nur gattungsgeschichtlich alt. Sie stellen auch den Methusalem des Tierreichs, den Grönlandhai, er kann 500 Jahre alt werden, das hat Julius Nielsen (Kopenhagen) aus radioaktivem Kohlenstoff in den Augenlinsen gelesen (Science 353, S. 702), die gleiche Methode ergab bei Weißen Haien 70 Jahre. Sie haben auch in der Natur nichts zu fürchten – fast nichts, wo Killerwale auftauchen, Orcas, ziehen Weiße Haie sich zurück (Scientific Reports 9: 6153) –, das bekamen sie erst durch die Menschen und vor allem dann, als die Kaiser der Sung-Dynastie (960–1279) eine mit dem Signum der Kraft versehene Delikatesse entdeckten und für sich reservierten, die der Flossen (Environmental Management 54, S. 151).
Gejagte Jäger. Das prägte die ostasiatische Kultur: Auf den Märkten von Hongkong und China wurden 2004 90 Prozent der weltweit erbeuteten 13.614 Tonnen Haifischflossen angelandet, insgesamt erbrachte der Haihandel 2011 über eine Dreiviertelmilliarde Dollar, 438 Millionen für 17.154 Tonnen Flossen, 380 Millionen für 121.641 Tonnen Fleisch (Current Biology 27, S. R565). So bilanzierte Nicholas Dulvy (Burnaby) 2017, er wies darauf hin, dass geschätzte zwei Millionen Tonnen Hai in diese Rechnung nicht eingehen, weil sie nicht gehandelt, sondern lokal für den Eigenbedarf gefischt werden.
Der hat Tradition. Schon vor Jahrhunderten haben Indigene Brasiliens Haie gejagt, Simon-Pierre Gilson (Federal University of Santa Clara) hat es aus Hausmüll gelesen (Journal of Archeological Science: Reports 8. 2.). Auch heute sind Bewohner vieler Küsten hinter ihnen her, etwa die im Kongo, die in den ewigen Wirren der Bürgerkriege zum Fischfang übergingen und sich auf Haie spezialisierten, als auf dem Land immer mehr chinesische Entwicklungshelfer auftauchten und vor dem Land immer größere chinesische Fangflotten, die andere Fische abräumten. An Haie dürfen sie nicht, aber Kongolesen dürfen es und verdienen nun ihren Lebensunterhalt mit Haifischflossen für die Chinesen im Land, viele von denen exportieren in ihre Heimat (Hakai Magazine 15. 12.).
Und es geht nicht nur um die Haie, die in Küstennähe leben, sondern auch um die in den offenen Meeren, in denen die Hochseefischerei abräumt, oft mit long lines, kilometerlangen Stahlseilen mit Tausenden Haken. Deren Köder sollen Thun- und Schwertfische locken. Aber „oft gehen als Erste Haie dran“, berichtet Stuart Sandin von der Scripps Institution of Oceanography (The Scientist 29. 1.), und das in solchen Mengen, dass die Bestände an ozeanischen Haien seit 1970 um 71 Prozent zurückgegangen sind, von den 31 Arten sind drei Viertel bedroht. Die Bilanz zog heuer Nathan Parcoureau (Nature 27. 1.).
Eine vergleichbare Übersicht für die Haie an den Küsten gibt es nicht, es wird ihnen kaum besser ergehen, aber sie haben einen Verbündeten, die auf sie gestützte Tourismusindustrie, sie bringt 314 Millionen Dollar im Jahr: Lebende Haie sind für Anwohner wertvoller als tote, deshalb will Charlie Heatubun (University of Papua) mit ihrer Hilfe dem Zebra- bzw. Leopardenhai vor indonesischen Inseln aufhelfen (Science 17. 2.). Der legt Eier – viele andere Haie gebären lebend –, und das in so immenser Zahl, dass Männchen und Weibchen in vielen Aquarien getrennt gehalten werden, an Nachschub würde es nicht mangeln.
Den gäbe es nicht für die Haie in den Ozeanen, ihr Gedeih oder Verderb liegt eher am Willen: Der Weiße Hai hat sich erholt, seit man ihn unter Schutz gestellt hat, bei anderen ist der gegen die Interessen der Hochseefischerei nicht durchzusetzen.
Feinde mussten sie keine fürchten, bis die Menschen auf ihren Geschmack kamen.
Der Fang ist lukrativ, er bringt über eine Dreiviertelmilliarde Dollar im Jahr.