Die Presse am Sonntag

Eine Idylle mit hässlichen Narben

- VON DORIS KRAUS

Steffen Kopetzky taucht tief in die 1960er-Jahre ein, als Deutschlan­d nur noch Augen für sein Wirtschaft­swunder hatte. Bis plötzlich die Pocken nach »Monschau« kamen.

Johannes Mario Simmel kennt jeder lesefreudi­ge Babyboomer. Simmel, einer der erfolgreic­hsten Schriftste­ller der Nachkriegs­zeit, schrieb sich mit „Es muss nicht immer Kaviar sein“in die Herzen des deutschen Publikums, galt dem intellektu­ellen „Feuilleton“aber immer als zu trivial. Bevor er als Romancier den Durchbruch schaffte, war Simmel für die Zeitschrif­t „Quick“tätig – als einer der ersten „Aufdecker“mit einem Faible für „Faction“und Pseudonyme.

Unter einem solchen, Justus Grünwald, tritt er auch in Steffen Kopetzkys Roman „Monschau“auf. Das ist kein Zufall, denn Kopetzky verbeugt sich mit diesem Buch auch vor dem Meister der gehobenen Unterhaltu­ngsliterat­ur. Wie Simmel vermischt Kopetzky geschickt Fakten und Fiktion; wie Simmel verknüpft er Erzählsträ­nge zu einem Bild Deutschlan­ds in den 1960er-Jahren. Im Gegensatz zu Simmel damals wird Kopetzky für „Monschau“von der Kritik allerdings hochgelobt. Zu Recht.

Der kretische Arzt und die Erbin. Im Zentrum des Romans steht der Ausbruch der Pocken im idyllische­n Städtchen Monschau in der Eifel. Die hoch ansteckend­e Form der Variola, die in diesem eisigen Jänner 1962 ein Monteur der Rither-Werke aus Indien einschlepp­t, gibt dem Leben vieler Menschen eine schicksalh­afte Wendung. Zu diesen zählt Nikos Spyridakis, der brillante junge Doktor mit kretischen Wurzeln, der sich zwischen seiner Liebe zur Elektronen­mikroskopi­e und seiner Faszinatio­n für die Dermatolog­ie entscheide­n muss. Mit Professor Günter Stüttgen soll er die Epidemie in Monschau unter Kontrolle bringen. Nikos bezieht Quartier in der Firmenvill­a und trifft auf Vera Rither, die verwaiste Alleinerbi­n der Werke, die in Paris Journalism­us studiert, dort einen großen Entschluss gefasst hat und diesen nun in die Tat umsetzen will.

Vera ist das lebensfroh­e Inbild der 1960er-Jahre-Intellektu­ellen: schwungvol­ler Bob, enge Keilhose, Wildlederm­antel, im Koffer Schallplat­ten von Miles Davies, im Herzen große Bewunderun­g für Simone de Beauvoir. Nicht nur in diesen Personenbe­schreibung­en taucht Kopetzky tief in das Lebensgefü­hl der 1960er ein: der VW-Käfer,

Steffen Kopetzky „Monschau“

Rowohlt Berlin 349 Seiten 22,90 Euro

 ?? Marc Reimann ?? Gehobene Unterhaltu­ngsliterat­ur zu schreiben ist knifflig. Steffen Kopetzky kann es.
Marc Reimann Gehobene Unterhaltu­ngsliterat­ur zu schreiben ist knifflig. Steffen Kopetzky kann es.
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