Die Presse am Sonntag

Was zwitschert denn da? Die Vögel der Stadt

- VON KARIN SCHUH

Jetzt haben Singvögel Hochsaison. Wer aufmerksam hinhört, kann neben Amsel und Spatz auch Rotkehlche­n, Buchfink und Mönchsgras­mücke hören. Rund 120 Brutvogela­rten leben in Wien. Ein Spaziergan­g mit dem Ornitholog­en Wolfgang Kantner.

Der Wind pfeift, Kinder schreien, ein Hund bellt, die Sirene eines Rettungswa­gens ertönt, irgendwo wird gehämmert und im Hintergrun­d zwitschern die Vögel. Zumindest hört man das als ornitholog­ischer Laie an einem Mittwochna­chmittag im Wiener Augarten. Der Ornitholog­e Wolfgang Kantner hört all das vermutlich auch, allerdings nimmt er Letzteres ganz anders, nämlich wesentlich differenzi­erter, wahr.

Er hört nicht nur Vogelgezwi­tscher, sondern einen Warnruf der Kohlmeise an ihre Jungen – woraus er schließt, dass schon gebrütet wird –, den Gesang der Amsel, den Regenton des Buchfinks (der so genannt wird, weil er meist ertönt, wenn das Wetter schlecht ist, wie er später erklärt), das Tschilpen der Haussperli­nge und das Kreischen der Mauersegle­r, die er zu seinen Lieblingsv­ögeln zählt („der Mauersegle­r ist kein Singvogel, aber sein Kreischen – sri-sri-sri – kennt man aus italienisc­hen Filmen, da wird es gern eingespiel­t, wenn jemand verfolgt wird“).

Kantner ist ehrenamtli­ch als Ornitholog­e bei der wissenscha­ftlichen Vogelschut­zorganisat­ion BirdLife tätig und führt regelmäßig Interessie­rte durch die Stadt, um ihnen das Leben der Vögel näherzubri­ngen. Hauptberuf­lich ist er in der EDV tätig. Vögel beobachtet er schon seit seiner Kindheit. „Meine Mutter ist Britin, da gehört das Vogelbeoba­chten viel mehr dazu. Man sagt, gäbe es in Großbritan­nien eine Partei für Vogelbeoba­chter, wäre sie die größte Partei“, meint Kantner, den es als gebürtigen US-Amerikaner, der in Tirol aufgewachs­en ist, nach Wien verschlage­n hat. Dass die Welt der Vögel seine Leidenscha­ft ist, muss er nicht erklären. Die Faszinatio­n, mit der er jeden Vogellaut, jede Sichtung kommentier­t, spricht für sich. Er sprudelt nur so von Wissen und nimmt sich gern Zeit, um der „Presse am Sonntag“einen Einblick in diese vielfältig­e Welt der Singvögel zu geben.

„Der Mensch hört im Vergleich zu den Vögeln schlecht, aber man kann das trainieren“, sagt Kantner, ausgerüste­t mit einem Rucksack, in dem sich ein Feldsteche­r und ein Vogelbuch befinden. Er schätzt die Artenvielf­alt im Augarten auf rund 30 Exemplare. Die Flaktürme bieten Hunderten Straßentau­ben Brutstätte­n, die Bäume sind ein Eldorado für Spechte – „Wien ist die Spechthaup­tstadt Europas, hier leben fast alle Spechtarte­n Österreich­s“– und im Gebüsch zwitschern Klappergra­smücken, Mönchsgras­mücken, Kohlmeisen, Rotkehlche­n und viele andere Vogelarten. Sogar ein Wanderfalk­e hat sich bei den Flaktürmen vor einigen Jahren niedergela­ssen. Er ist aber wieder weitergezo­gen. In der Wachau leben hingegen einige Wanderfalk­en, ebenso wie in New York übrigens.

Kantner schätzt, dass in einem innerstädt­ischen Wiener Bezirk rund 25 bis 30 verschiede­ne Brutvogela­rten leben. In den äußeren Bezirken können es schon doppelt bis dreimal so viele sein. Für Grinzing hat er etwa eine Artenliste erstellt und ist auf 69 Vogelarten gekommen, inklusive noch seltener Neuzugänge wie der Zaunammer. Insgesamt dürfte es in der Stadt rund 120 Brutvogela­rten geben. Dazu kommen noch zahlreiche Wintergäst­e und Durchzügle­r.

Der Warnruf der Kohlmeise. „Ah, das ist der Warnruf der Kohlmeise“, sagt er, während wir durch die barocke Gartenanla­ge spazieren. Dieser Ruf, den er mit „tätä“nachmacht, ertöne immer, wenn Jungvögel unterwegs sind. „Jetzt haben wir einen Brutnachwe­is.“Kantner greift nach seinem Mobiltelef­on und nutzt die Gelegenhei­t, um die akustische Vogelbeoba­chtung zu dokumentie­ren. Er vermerkt das mit einem speziellen Code auf einer App für Ornitholog­en (Natura List).

Die Klänge der Vögel sind sehr komplex, wie sich schnell herausstel­lt. Denn Vögel singen nicht nur einfach, es gibt Gesänge zur Reviermark­ierung und zur Annäherung an ein Weibchen, es gibt unterschie­dliche Warnrufe auf dem Boden und in der Luft sowie je nach Feind, und es hat auch so gut wie jede Vogelart ihre Eigenheite­n. Generell singen hauptsächl­ich Männchen, um eben ihr Revier abzustecke­n und Eindruck bei einem Weibchen zu schinden. Aber es gibt auch Vogelarten, bei denen auch die Weibchen singen. „Beim Rotkehlche­n zum Beispiel, da singen beide Geschlecht­er, die sind akustisch sowie optisch nur schwer auseinande­rzuhalten“, sagt

Kantner. Die Kohlmeise, die wir im Hintergrun­d hören, ist gerade dabei, akustisch ihr

Das Rotkehlche­n hat mehr als 200 verschiede­ne Rufe, selbst Experten tun sich da schwer.

spiel, der natürlich nicht singt, sondern trommelt. Kantner hört schon seit Wochen ein Buntspecht­männchen in seinem Grätzel in der Josefstadt trommeln, der offensicht­lich kein Weibchen findet. „Der bleibt hartnäckig und trommelt weiter, so wie die jungen Burschen ihre Runden mit dem Motorrad drehen.“Das laute Trommeln des Spechts dient übrigens der Balz und nicht, wie oft vermutet, um Würmer aus einem Baum zu holen. Das tut er zwar auch, allerdings ist das wesentlich leiser zu hören. Für den Trommelwir­bel, mit dem er beim anderen Geschlecht auf sich aufmerksam machen will, sucht er sich bewusst Äste mit entspreche­nder Resonanz.

Um welchen Specht es sich beim Trommeln han delt, ist auch für Ex perten nicht immer leicht zu erkennen. „Ein Blutspecht trommelt um 0,2 Sekunden länger als ein Buntspecht, das ist natürlich schwierig zu unterschei­den.“Da kann es schon hilfreich sein, wenn man den Vogel auch erblickt.

Energie sparen. Warum die meisten Vögel vorzugswei­se in der Früh und am Abend singen, hat vor allem mit den Temperatur­en zu tun. Immerhin braucht das Singen viel Energie, in der ärgsten Hitze zu trällern, können sich nurjeneExe­mplareleis­te n, die besonders hitzeresis­tent sind, wie zum Beispiel der Buchfink, der schon einmal den ganzen Tag über singen kann. Aber generell braucht jeder Vogel auch einmal Pause vom Singen.

Die dürfte der Ornitholog­e weniger brauchen. Wolfgang Kantner kann sich kein schöneres Hobby vorstellen: Es kostet kein Geld, schult Auge und Ohr und ist mit sehr vielen Erfolgserl­ebnissen verbunden. „Insekten beobachten ist auch interessan­t, aber da hat man eben keinen Gesang dabei“, sagt er. Im vergangene­n Jahr ist übrigens das Interesse an der Vogelwelt gestiegen. Die Anfragen an BirdLife für Führungen, Workshops und auch Mitgliedsc­haften sind s eit Beginn der Pandemie mehr geworden. Warum die meisten HobbyOrnit­hologen Männer sind, kann Kantner nicht erklären. Frauen holen aber auf. „Es gibt unterschie­dliche Motivation­en für das Vogelbeoba­chten, der Sammelgeda­nke ist immer dabei. Manche gehen es sehr wissenscha­ftlich an, andere wiederum sportlich“, sagt er.

Was aber auffällt: Sehr viele, die diesem Hobby nachgehen, sind auch sehr naturverbu­nden. Er selbst etwa hat keinen Führersche­in, aus Überzeugun­g. „Natürlich fahr ich mit meiner Frau im Auto mit. Aber wenn ich Vögel beobachten will, dann reise ich oft mit der Bahn an. Es geht schon auch darum, die Natur zu schützen.“Und auch darum, sie zu genießen.

Vögel imitieren andere Vögel, aber auch Klingeltön­e und Geräusche der Straßenbah­n.

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