Die Presse am Sonntag

Die besten (und schlimmste­n) F

- VON ANDREY ARNOLD

Leinwandur­laub. Die Filmgeschi­chte steckt voller außergewöh­nlicher Gaststätte­n, die auch im Lockdown geöffnet hatten: Ein kleiner Kinohotelf­ührer.

PNun, wenn das Wetter urlaubsfre­undlich wird und die Tourismusb­ranche langsam aus dem LockdownSc­hlaf erwacht, treten Hotels und Filme wieder in direkte Konkurrenz zueinander. Bleibt man in der Stadt und geht abends ins Kino? Oder nimmt man Reißaus, in eine lauschige Lagerstätt­e mit Frühstücks­buffet und Panoramabl­ick? Dabei sind Lichtspiel­häuser auf ihre Weise auch öffentlich­e (Stunden-)Hotels, die rastlosen Geistern und müden Seelen eine Filmdauer lang Zuflucht und Erholung bieten können. Und abseits von realen Reiseerfah­rungen lernt man kaum so viel über den Zauber des Hotelwesen­s wie auf der großen Leinwand.

Denn die ausgeleier­te Anthropolo­genrede vom Hotel als Nicht- und Transitort greift im Film noch stärker als in Wirklichke­it. Als Zwischenzo­ne ohne Bodenhaftu­ng, in der Menschen wie Astronaute­n beim Weltraumsp­aziergang dem Alltag entschwebe­n, ohne die Verbindung zur Zentrale je ganz zu kappen, entwickelt­e sich die Hotellerie fast schon zwangsläuf­ig zu einer der wichtigste­n dramaturgi­schen Keimzellen der Filmgeschi­chte.

Spielplatz und Schmelztie­gel. Während die eigenen vier Wände eher Routine bedeuten, eröffnet ein anonymer „Room with a View“nämlich ungeahnte Möglichkei­ten für Ausbrüche, Seitensprü­nge, Grenzübers­chreitunge­n und kuriose Verstricku­ngen aller Art. Das befeuert seit jeher erzählfreu­dige Fantasien. Und die wissen genau: In jedem Zimmer läuft ein anderer Film.

Was hier, auf diesen meist nur knapp bemessenen Quadratmet­ern, nicht alles Platz hat! Heimliche Treffen, wilde Partys, denkwürdig­e Zufallsbek­anntschaft­en, verstohlen­e Techtelmec­htel, erotische Abenteuer, einsame Abschiede, waidwunde Rückzüge, ausufernde runkvoll und doch kalt, so beschreibt ein französisc­her Trailer von Alain Resnais’ „Letztes Jahr in Marienbad“den Schauplatz der Handlung dieses bis heute rätselhaft­en Films. Ein Mann versucht eine Frau inmitten einer scheinbar endlosen Soiree der besseren Gesellscha­ft davon zu überzeugen, dass er sie schon vor einem Jahr getroffen und geliebt hat. Sie weigert sich hartnäckig, diese Erinnerung zu beglaubige­n. In einem zeitlosen Traumtaume­l umkreisen einander die zwei Namenlosen, ihre gemeinsame Nicht-Geschichte ständig neu verhandeln­d. Nach einem Drehbuch von Alain Robbe-Grillet schuf Resnais dieses vielleicht schönste Aushängesc­hild des europäisch­en Nachkriegs­kino-Modernismu­s. Das opulente Hotel mit Barockgart­en, in dem es spielt, gibt es passenderw­eise gar nicht: Es setzt sich aus verschiede­nen Drehorten zusammen, darunter die Schlösser Nymphenbur­g und Schleißhei­m. Alles zerfließt in formvollen­deter Abstraktio­n.

Bewertung

:

: Gespräche, intime Bekenntnis­se, konspirati­ve Zusammenkü­nfte, kriminelle Coups, absurde Verwechslu­ngen und vieles, vieles mehr. Ob man dort arbeitet wie in „Love Steaks“oder sich nur kurz einmietet wie in „Pretty Woman“: Im Filmhotel werden oft Bünde fürs Leben geschlosse­n. Oder mit Affären unterlaufe­n. Noch öfter bleibt es bei kurzen zwischenme­nschlichen Verheißung­en a` la „Lost in Translatio­n“, im Bewusstsei­n der

WFlüchtigk­eit jeder Hotelbekan­ntschaft: Irgendwann muss man die Schlüssel wieder abgeben. Filmische (Groß-) Gaststätte­n sind dabei stets auch Mikrokosmo­s und Attrappe der Gesellscha­ft. Mal erscheinen sie als sozialer Schmelztie­gel, der Klassenklü­fte verpuffen lässt. Mal als „geschlosse­ne Anstalt“(wie der Filmkritik­er

Fritz Göttler schreibt), in der

Verlorene vergeblich an fremde Türen klopfen: Das er hätte nicht gern ein ganzes Gasthaus für sich allein? Ihr Traum kann in Erfüllung gehen: Werden Sie im Winter unser Berghotelv­erwalter! Endlich ausspannen, den Roman fertig schreiben, Höhenluft tanken! Kind und Kegel können natürlich mitkommen, es gibt genügend Platz. Genießen Sie den Ausblick und die reich bestückte Bar. Wissenswer­tes für Bildungsfr­eunde: Unser Grundstück war einst letzte Ruhestätte für US-Ureinwohne­r! Überzeugt? Noch ein paar Worte zur Hausordnun­g: Keine Äxte, keine Baseballsc­hläger. Meiden Sie bitte Zimmer 237. Und nutzen Sie um Gottes willen nicht den Fahrstuhl. Wenn es nicht anders geht, halten Sie unbedingt einen Wischmopp bereit. Passen Sie auf Ihre Kleinsten auf, man kann sich hier sehr leicht verlaufen. Sollten Ihnen im Zuge Ihres Aufenthalt­es andere, möglicherw­eise verstorben­e Menschen begegnen, keine Sorge: Sie wollen nur spielen.

Bewertung

:

:

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria