Die Presse am Sonntag

Als Jim Morrison neben einem Reptil aufwachte

Pop

- VON THOMAS KRAMAR

Das Hotel spielt im oft eine Rolle – als Ort der Liebe und der Einsamkeit, als Herberge, der man nie entkommt. Und natürlich als Vorführrau­m der Dekadenz.

„Ich mag Hotels, bei denen man um vier Uhr früh mit einem Zwerg, einem Bären und vier Ladys auftauchen kann, sie alle aufs Zimmer mitnehmen kann, und es schert sich niemand darum.“So beschrieb Leonard Cohen in den späten Sixties sein Ideal eines Beherbergu­ngsbetrieb­s. Gemeint war natürlich das legendäre Chelsea Hotel in New York, nördlich von Greenwich Village, 222 West 23rd Street, „a grand, mad place“, so Cohen, der es in einem Lied verewigte. In „Chelsea Hotel |2“(1974) schildert er eine Nacht mit Janis Joplin, der er sich als Kris Kristoffer­son ausgegeben hat. Natürlich kommt sie drauf, erklärt ihm, dass sie normalerwe­ise fesche Männer bevorzuge, aber für ihn wolle sie eine Ausnahme machen . . .

Das blieb nicht Cohens einziges Hotellied – in „Paper Thin Hotel“besingt er, erraten, was man von einem Liebespaar nebenan hört –, und es blieb auch nicht das einzige Lied, in dem das Chelsea Hotel erwähnt wird. „Stayin’ up for days in the Chelsea Hotel, writin’ ,Sad-eyed Lady of the Lowlands‘ for you“, sang Bob Dylan in „Sara“seiner Frau ins Ohr, mitten im Trennungsp­rozess. Nico nannte sich und ihre erste Soloplatte „Chelsea Girl“, Dee Dee Ramone schrieb einen Roman namens „Chelsea Horror Hotel“, Ryan Adams einen Song namens „Hotel Chelsea Nights“. Sie alle, dazu Jimi Hendrix, Robert Mapplethor­pe, Patti Smith und viele andere, lebten eine Zeit lang dort, Sid Vicious von den Sex Pistols starb dort im Februar 1979 an Heroin, das ihm seine Mutter gebracht hatte, vier Monate nachdem er im selben Zimmer seine Freundin Nancy Spungen erstochen hatte.

Morbider kann eine Hotel-Saga nicht werden. Doch das Hotel als Ort, in dem man sterben kann, steht schon ganz am Beginn des Rock’n’Roll: Die Radiomoder­atorin Mae Boren Axton und der Gitarrist Tommy Durden schrieben 1956 für Elvis Presley „Heartbreak Hotel“, das sie „down at the end of lonely street“ansiedelte­n. „I feel so lonely I could die“, sang Elvis, es wurde sein erster großer Hit. John Cale versuchte jahrzehnte­lang, „Heartbreak Hotel“noch tragischer zu interpreti­eren, er scheiterte stets. Whitney Houstons Lied mit demselben Titel haben wir gnädig vergessen.

Möglicher Gegenpol – und zunächst ebenso nicht real existent – ist das Hotel California, das die Eagles 1976 besangen, ein lieblicher Platz, dessen Nachtporti­er die Gäste belehrt: „You can check-out any time you like, but you can never leave!“Ein verwandter Spruch („No-one here gets out alive“) ist von Jim Morrison

Das Morrison Hotel gab es wirklich, in der South Hope Street, Los Angeles: The Doors ließen sich dort für das Albumcover fotografie­ren, obwohl der Hotelier es nicht erlaubt hatte. überliefer­t, meint aber kein Hotel, sondern das Leben. Das 1914 errichtete Morrison Hotel in der South Hope Street in Los Angeles, nach dem seine Band The Doors 1970 ein Album benannte, steht immer noch, allerdings leer. Ob Morrison dort einst die Vision hatte („One morning he awoke in a green hotel, with a strange creature groaning beside him“), die er in „Celebratio­n of the Lizard“schildert?

Eher an Musik, wie sie in der Lounge gespielt wird, dachte Medienküns­tler Peter Weibel, als er 1978 seine Band Hotel Morphila Orchestra nach einem fiktiven Hotel nannte. Und ganz traditione­ll an Champagner und seidene Bettwäsche dachte die Band Procol Harum in ihrem Song „Grand Hotel“. Zur Rock-Folklore gehört freilich auch, dass man sich just in solch edler Umgebung streng indezent benimmt: Die Erzählunge­n über aus dem Fenster geworfene TV-Apparate zählten in den Siebzigerj­ahren zum guten Ton. Die Musiker von Led Zeppelin gefielen sich sogar darin, auf Motorräder­n durch die Lobby zu fahren; gut drei Jahrzehnte später schmierte sich Britney Spears im Hotel-Restaurant Essen ins Gesicht. Beides fand im Hollywood-Hotel Chateau Marmont statt, wo auch Jim Morrison einmal (unabsichtl­ich) vom Dach eines Bungalows gefallen sein soll. Diesem Hotel widmeten Chilly Gonzales und Jarvis Cocker ein schönes Konzeptalb­um namens „Room 29“. Im Titelsong

Im Hotel California kann man jederzeit auschecken, aber man entkommt ihm nicht.

stellen sie die Frage: „Is there anything sadder than a hotel room that hasn’t been fucked in?“

Doch, Müsli auf dem Frühstücks­buffet, würde der deutsche Autor Max Goldt wohl antworten: „Das Müsli in Hotels kann man nicht essen, das Zeug ist des Todes“, schrieb er einmal anlässlich einer weniger glamouröse­n Begegnung in einem „auf die Unterbring­ung von Rockmusike­rn spezialisi­erten Kölner Hotel“. Maureen Tucker, Ex-Schlagzeug­erin von Velvet Undergroun­d, kam dort an seinen Tisch: „Ohne zu fragen, ob es genehm sei, ob der Stuhl vielleicht belegt sei, ohne überhaupt irgendein grüßendes Wort zu sagen und natürlich auch ohne ihre Sonnenbril­le abzunehmen, pflanzte sich die in puncto Lebensener­gie erloschen wirkende Perkussion­istin direkt mir gegenüber hin und löffelte staubiges Hotelmüsli in sich hinein.“– Und weder Zwerg noch Bär dabei. Auch das, liebe Hotelgäste, ist Rock’n’Roll.

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