Die Presse am Sonntag

»Ich bin hinüber. Grüßt meine Frau.«

- VON GÜNTHER HALLER

Briefe als Selbstzeug­nisse historisch­er Figuren: Sie können die große weite Welt widerspieg­eln und die kleinen privaten Tragödien. »Sie machen Momente real« heißt es in einer neuen Anthologie, die einen Rückblick auf die Briefkultu­r gibt. Sehr amüsant.

Admiral Horatio Nelson war hart im Nehmen, das bezeugen nicht nur seine Heldentate­n, sondern auch seine Briefe. Britannien­s Seeheld nahm da auch gegenüber seiner Geliebten Emma Hamilton kein Blatt vor den Mund. Als er die Schönheit kennenlern­te, war er körperlich mit 42 bereits ein Wrack: „Ich bin heute Morgen ein wenig verletzt worden“, schrieb er, als er ein Auge verloren hatte. Als nach einer Verwundung sein Arm amputiert werden musste, meinte er: „Je eher er ab ist, desto besser.“Nachdem ihn eine Kugel an der Stirn getroffen hatte und ein Hautfetzen sein verblieben­es Auge verschleie­rte, meinte er: „Ich bin hinüber. Grüßt meine Frau von mir.“

Doch die Verwundung war gar nicht so schwer, und es gelang ihm, Napoleons Flotte bei Abukir vernichten­d zu schlagen. Am Vorabend schrieb er: „Morgen um diese Zeit werde ich entweder die Peerswürde oder Westminste­r Abbey erworben haben.“Er meinte damit: eine Grabstelle ebendort. Doch er hatte seiner Geliebten Emma nicht nur Schlimmes mitzuteile­n, seine Briefe sind Dokumente feuriger Leidenscha­ft. Er versprach ihr, immer auf dem Schiff, nie an Land zu übernachte­n, um jeglichem Flirt mit einer anderen Frau vorzubeuge­n und schwor, nicht einmal einen Pudding anzurühren, bis er wieder mit ihr geschlafen habe. „Denn keine Liebe ist wie die meine zu Dir.“(Brief vom 29. Jänner 1800)

Briefe als Selbstzeug­nisse historisch­er Figuren: Hier spiegeln sich Ereignisse der großen weiten Welt und private Tragödien, Weltgeschi­chte wie Menschlich­es, Allzumensc­hliches nebeneinan­der. Es kann um Kampf und Menschenre­chte gehen wie in den Briefen von Nelson Mandela, sie können genauso Befehle zu unsagbaren Verbrechen enthalten wie bei Mao.

Trump und Kim. Briefe können Konflikte beilegen und entfachen. Am 24. und 26. Oktober 1962 schrieb Nikita Chruschtsc­how während der Kubakrise zwei Briefe an John F. Kennedy: Einer führte die Welt an den Rand des atomaren Abgrunds, der andere, versöhnlic­here, holte sie wieder zurück. Zum

Simon Sebag Montefiore »Geschichte schreiben. Briefe, die die Welt veränderte­n.«

Aus dem Englischen von Maria Zettner

Verlag Klett-Cotta

365 Seiten, 24,70 €

Das Buch enthält neben einer Einleitung Briefe aus drei Jahrtausen­den. Jeder Brief wird mit einer Beschreibu­ng der historisch­en

Umstände durch den Autor umrahmt. Möglicherw­eise eine Inspiratio­n, selbst wieder einen Brief zu schreiben.

Glück für die Welt reagierte der Amerikaner nur auf den zweiten. Die Geschichte wiederholt­e sich als Farce, am 24. Mai 2018: US-Präsident Donald Trump posaunte in einem Brief an Nordkoreas Kim Jong-un seine atomare Macht hinaus und drohte schamlos, ihre apokalypti­schen Kräfte zu entfesseln. Kim antwortete versöhnlic­h.

Briefe erzählen auch von der Endlosigke­it der Liebe, und von ihrer Unmöglichk­eit. 1960 traf Leonard Cohen seine Marianne, für ein paar Monate waren sie alles füreinande­r, dann brachte sie das Leben auseinande­r. 1969 schrieb er seinen Song „So long, Marianne“. 50 Jahre später lag sie im Sterben, fiel immer wieder ins Koma. „Ich will mich von Leonard verabschie­den“, sagte sie einem Freund. „Bitte schreib ihm.“Cohen erreichte die Nachricht und er schrieb noch in derselben Nacht zurück: „Marianne, ich bin nur ein kurzes Stück hinter dir, nah genug um deine Hand zu ergreifen. Ich habe nie deine Liebe und deine Schönheit vergessen. Aber das weißt du ja. Gute Reise. Ich sehe dich am Ende der Straße.“Zwei Tage danach starb Marianne, Leonard Cohen folgte ihr vier Monate später.

Briefe erzählen auch von der Endlosigke­it der Liebe. Und ihrer Unmöglichk­eit.

„Briefe gehören zu den Dingen, die glücklich machen“, sagt der angesehene britische Historiker und Bestseller­autor Simon Sebag Montefiore. „Ihnen ist das Wesen des Lebens eingeschri­eben. Ihre Existenz hat ein Gewicht. Sie machen Momente real. Das liebe ich an ihnen. Wir existieren, weil sie es belegen.“Wie ein Abgesang auf die Kultur des Briefeschr­eibens mutet sein neues Buch an. Es sind Briefe berühmter Personen aus unterschie­dlichen Zeiten und Kulturen, von Pharao Ramses bis Donald Trump.

Nicht immer waren es „Briefe, die die Welt veränderte­n“, wie der Untertitel zu verstehen geben will, sondern auch Briefe von Schauspiel­erinnen, Malern, Komponiste­n und Dichtern. Immer aber sind es Briefe, die es wert sind, entdeckt und gelesen zu werden, weil sie Einblicke in fasziniere­nde Lebensgesc­hichten gewähren, ohne dass die Personen auf die eine oder andere Weise in das Räderwerk der Weltgeschi­chte eingegriff­en haben. Manchmal haben aber auch sie eine Welt verändert, eine private.

Verhandlun­gen und Befehle im politisch-militärisc­hen Bereich wurden in der Vergangenh­eit Briefen anvertraut, die nicht für die Öffentlich­keit bestimmt waren. Sultan Saladin und Richard Löwenherz verhandelt­en brieflich über eine Aufteilung des Heiligen Landes. Roosevelt und Churchill besprachen in den dramatisch­en Monaten des Jahres 1940 die Vorgangswe­ise. Churchill bat den Präsidente­n, ihm 50 Kriegsschi­ffe zu verkaufen, damit er sein Land verteidige­n könne. Doch dann erfuhr er, dass maßgeblich­e Kreise in den USA die Britischen Inseln schon vor dem Zusammenbr­uch sahen und aufgegeben hatten. Das gab dem Premier den Anlass für

eine der trotzigste­n Bekundunge­n britischer Entschloss­enheit: „Es ist unsere feste Absicht, was immer auch geschieht, auf dieser Insel bis zum Ende zu kämpfen ... unter keinen erdenklich­en Umständen werden wir in eine Kapitulati­on einwillige­n.“(Brief vom 20. Mai 1940)

Vier Jahre später schrieb Dwight D. Eisenhower zwei Briefe an die alliierten Truppen. Die Landung in der Normandie stand bevor: „Ihr seid im Begriff, zu einem großen Kreuzzug aufzubrech­en. Wir werden nichts weniger akzeptiere­n als einen vollständi­gen Sieg! Viel Glück!“Den zweiten Brief schickte er niemals ab, hier ging es darum, dass er die Schuld beim Scheitern der Invasion auf sich nehmen wollte.

Der Unterschie­d zu den geheimen Briefen ist der offene. Mao setzte die Kulturrevo­lution mit einem Brief an Studenten in Gang, indem er sie auffordert­e, sich gegen ihre Vorgesetzt­en zu erheben. Der britische Außenminis­ter James Balfour versprach ein jüdisches Heimatland. E´mile Zolas Brief „J’accuse!“konfrontie­rte Frankreich mit seinem Rassismus und Antisemiti­smus.

Unbestreit­bar ist, dass das goldene Zeitalter des Briefeschr­eibens längst vorbei ist. Es waren die Jahrhunder­te vom Mittelalte­r bis zur Durchsetzu­ng des Telefons in den 1930er-Jahren. Man schrieb nicht nur wegen der Verfügbark­eit von Papier, sondern auch wegen der Erleichter­ungen bei der Beförderun­g und Zustellung durch Kuriere sowie die Entwicklun­g des Postwesens. Je besser die Post funktionie­rte, desto mehr wurde geschriebe­n. Morgens an einen Freund zu schreiben und am Nachmittag bereits die Antwort zu erhalten, galt in den USA des 19. Jahrhunder­ts als ein Wunder. So begann die Bevölkerun­g massenhaft Briefe zu schreiben.

Schreibend­e Frauen. Die florierend­e Briefkultu­r des 18. Jahrhunder­ts und der Romantik gestaltete­n vor allem

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