Die Presse am Sonntag

Pragmatism­us kommt vor Revolution

- VON THOMAS PRIOR UND JULIA WENZEL

Vor dem Bundeskong­ress der Grünen nächsten Sonntag geht in der Regierung die Sorge vor einem Aufstand der grünen Basis um. Doch wie realistisc­h ist das?

Es kommt nicht oft vor, dass die Grünen einem FPÖ-Obmann dankbar sein können. Doch diese Woche hat ihnen Norbert Hofer gleich doppelt geholfen. Wenn es so kommt, wie alle glauben, dass nämlich Herbert Kickl die freiheitli­che Partei übernimmt, schmälert das die künftigen Koalitions­optionen der ÖVP und damit wohl auch die türkise Neuwahlber­eitschaft. Stand jetzt wären KurzÖVP und Kickl-FPÖ auf der persönlich­en Ebene inkompatib­el.

Daneben hat Norbert Hofer mit seiner Rücktritts­ankündigun­g auch vom Umstand abgelenkt, dass die Grünen – wenn auch unverschul­det – in ein Dilemma geraten sind: Wie lassen sich die Ermittlung­en gegen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (wegen einer möglichen Falschauss­age im U-Ausschuss) und Finanzmini­ster Gernot Blümel (der unter Korruption­sverdacht steht) mit dem „Saubere Politik“-Selbstvers­tändnis der Grünen vereinbare­n?

Fürs Erste ganz gut, wie die Parteiführ­ung in den vergangene­n Wochen versichert­e: Nicht die Grünen hätten ein Problem, sondern die ÖVP. Und wie man mit einer allfällige­n Anklage gegen den Kanzler umgehe, werde man sich überlegen, wenn es so weit sei. Die schwelende Social-Media-Debatte über Sinn und Unsinn der grünen Regierungs­beteiligun­g passte nicht ganz zu diesem scheinbar gelassenen Spiel auf Zeit, dürfte aber auch nicht repräsenta­tiv für die gesamte Partei sein.

Ein echtes Stimmungsb­ild wird wohl erst der grüne Bundeskong­ress nächsten Sonntag in Linz liefern. In der ÖVP warnt man bereits, die grüne Basis könnte einen Aufstand gegen TürkisGrün anzetteln: „Sollte bis dahin noch Anklage gegen Sebastian Kurz erhoben werden, könnte das zum Supergau für die Koalition werden“, sagt ein türkiser Nationalra­tsabgeordn­eter.

»Überzogene Erwartunge­n« an die Regierungs­beteiligun­g wurden mittlerwei­le abgelegt.

Wie unwahrsche­inlich es ist, dass es kommende Woche schon zu einer Anklageerh­ebung kommt, weiß natürlich auch die ÖVP. Für die Grünen lässt das nur zwei Schlüsse zu: Entweder handle der Koalitions­partner hier aus strategisc­hem Kalkül. Oder, wie es im grünen Parlaments­klub heißt: „Die Türkisen sind nervöser als wir.“

Allerdings geht auch bei den Grünen das Revolution­sgespenst um. Der „Kurier“berichtete diese Woche, dass Funktionär­e der einflussre­ichen Wiener Landespart­ei beim Bundeskong­ress einen Beschluss erwirken wollten: Demnach sollten die Grünen die Koalition beenden, wenn angeklagte Regierungs­mitglieder den Rücktritt verweigern. Der Antrag sei „gerade noch“verhindert worden, hieß es. Das Dementi ließ nicht lang auf sich warten.

Bisher, versichert die grüne Bundesgesc­häftsführe­rin Angela Stoytchev, sei kein (derartiger) Antrag zur Auflösung der Regierung eingetrude­lt. Doch das ließe sich vor Ort nachholen. Ein „Dringliche­r Antrag“bräuchte dann aber eine Zweidritte­lmehrheit, um behandelt zu werden. Und das, meint ein grüner Funktionär, sei ziemlich unrealisti­sch. Die Parteispit­ze hat dennoch

 ?? Caio Kauffmann ?? Werner Kogler hat die Rückendeck­ung der Grünen. Man vertraut auf seinen Umgang mit der ÖVP.
Caio Kauffmann Werner Kogler hat die Rückendeck­ung der Grünen. Man vertraut auf seinen Umgang mit der ÖVP.

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