Die Presse am Sonntag

Der spät entdeckte Volkstribu­n

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Er schrieb die Reden für Jörg Haider. Er organisier­te die Partei und Wahlkämpfe für Heinz-Christian Strache. Sein Platz war im Büro, nicht auf der Straße. Doch irgendwann dürfte ihm gedämmert sein, dass er das auch kann, was Jörg Haider und Heinz-Christian Strache konnten – also zumindest, was Heinz-Christian Strache konnte. Irgendwann dürfte Herbert Kickl, gestählt in der blauen Rhetorik-Schule, auch gedämmert sein, dass er gut reden kann, dass er in Diskussion­en besteht, im Parlament sogar mitunter brilliert. Ein Mann für das Volk, in der FPÖ unabdingba­r, um in der ersten Reihe zu stehen, war er da noch nicht.

Doch auch das sollte sich ändern: Als Herbert Kickl Innenminis­ter wurde, ging er viel hinaus zur (Polizei-)Truppe, er fand offenbar Gefallen an den Gesprächen und er schien auch gut anzukommen. Viele dürften überrascht gewesen sein, dass dieser medial so wahrgenomm­ene Berserker durchaus empathisch­e Fähigkeite­n hatte.

Er ist auch vom Charakter her mehr ein Opposition­eller denn ein Regierende­r.

Dieses, das Berserkerh­afte und die Empathiefä­higkeit, begann er dann immer stärker auch auf Parteivera­nstaltunge­n der FPÖ zu kombiniere­n. Brandreden am Podium, Zuhören unten bei den Funktionär­en. Auf einmal überholte Kickl sogar Strache beim Applauspeg­el im Bierzelt. So richtig überzeugt, doch ganz nach vorn zu gehören, dürfte er dann im Zuge der AntiCorona-Maßnahmen-Demos worden sein. Er stellte sich an die Spitze dieser Bewegung der Zornigen und Grantigen, hielt wiederum Brandreden, gegen die Regierung, den Kanzler, verharmlos­te das Virus.

Glaubte er das alles wirklich, was er da sagte („Wir konnten schon immer auf unser Immunsyste­m zählen. Es wird von Tag zu Tag stärker und die Gegner schwächer“) oder war das rein taktisch, um die Corona-Kritiker an die FPÖ zu binden, die nach Ibiza darniederl­ag? Mutmaßlich beides.

Corona hat Herbert Kickl ganz nach oben gespült bzw. dies zumindest beschleuni­gt. Für die Opposition, die Opposition aus freiheitli­cher Sicht, ist jemand wie Herbert Kickl natürlich besser geeignet als Norbert Hofer, der verbindlic­he Burgenländ­er, der sich auch als Verbinder zum bürgerlich­en Lager, ja sogar als Teil dessen, sah.

Arbeiterbu­b. Kickl ist da aus anderem Holz geschnitzt. Wiewohl er mit der ÖVP in einer Regierung saß – seine Welt ist das nicht. Werner Koglers Diktum von der „türkisen Schnöseltr­uppe“hätte auch von Kickl stammen können. Hineingebo­ren in eine Radenthein­er Arbeiterfa­milie, politisch eher sozialisti­sch orientiert. Sein Vater kickte für WSG Radenthein in der damals höchsten österreich­ischen Spielklass­e.

Was ihn auch noch sozialisie­rt hat, war die Abneigung gegenüber allem, was mit „1968“, der mit dieser Kulturrevo­lution gefühlt einhergehe­nden „Umwertung aller Werte“, zu tun hat.

Und wie viele junge Menschen seiner Generation war er aber auch von Jörg Haider und der Aufbruchst­immung, die dieser in Kärnten entfachte, fasziniert. Kickl, inzwischen Student der Philosophi­e und Geschichte, heuerte in der Freiheitli­chen Parteiakad­emie an. Er blieb im Hintergrun­d, las lieber als sich mit Haiders „Buberlpart­ie“– der „blauen Schnöseltr­uppe“– die Nächte am Wörthersee um die Ohren zu schlagen. Aber die Welt der Burschensc­hafter

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APA Die Woche beim Wandern im niederöste­rreichisch­en Rax-Gebiet: FPÖ-Klubchef Herbert Kickl wurde dort auch von Norbert Hofers Rücktritt überrascht.

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