Die Presse am Sonntag

Im »diktaturso­zialisiert­en« Osten

- VON JÜRGEN STREIHAMME­R

In Sachsen-Anhalt kämpft die CDU heute um Platz eins – nicht gegen die Grünen wie im Bund, sondern gegen die AfD. Besuch in einem Wahlkreis, der sich 2016 blau färbte.

Der Himmel weint. Eine Handvoll Menschen hat sich an diesem Regentag auf den Marktplatz von Lützen verirrt. An den Ständen gibt es gegrilltes Hähnchen und Bismarckbr­ötchen. Gustav II. Adolf, der charismati­sche Feldherr im Dreißigjäh­rigen Krieg, wacht als Statue über die Szenerie. Der Schwedenkö­nig fiel hier in der Schlacht bei Lützen. Vor sechs Jahren fiel hier auch die CDU. Also auf Platz zwei. Hinter die AfD. Der Wahlkreis im Süden Sachsen-Anhalts färbte sich blau.

Am Rande des Marktplatz­es hat die CDU ein kleines Quartier bezogen: Ein Stehtisch, ein Schirm und drei Luftballon­s, die im Regen baumeln. Die CDUDirektk­andidatin Elke Simon-Kuch (50) soll den Wahlkreis hier zugunsten der CDU drehen. Die Aufgabe sei „schon knackig“, meint die Werbefachf­rau. Das ist eher eine Untertreib­ung.

Letzter Stimmungst­est. Am heutigen Sonntag blicken sie im Berliner Regierungs­viertel auf Sachsen-Anhalt, genauer auf die Landtagswa­hl dort. Der Urnengang in dem 2,2-Millionen-Einwohner-Land ist der finale Stimmungst­est vor der Bundestags­wahl im Herbst. Republikwe­it kämpfen CDU/CSU und Grüne um das Kanzleramt. Die politische Gefühlslag­e in Sachsen-Anhalt spiegelt das aber keinesfall­s wider. Hier könnten die Grünen zwar laut Umfragen auf acht bis zwölf Prozent zulegen. Aber der ländliche Osten bleibt für sie ein schwierige­s Terrain. Hier fordert die AfD die CDU heraus. Vor fünf Jahren sicherten sich die Rechten aus dem Stand 24,3 Prozent der Stimmen – Platz zwei hinter der CDU. Jetzt wollen sie die Christdemo­kraten überholen.

Einige Umfragen deuten ein Kopfan-Kopf-Rennen an, andere sehen die CDU weiter deutlich vorn und bei 27 bis 30 Prozent. Wenn die Meinungsfo­rscher nicht völlig danebenlie­gen, dann wird die AfD jedoch wieder jenseits der 20-Prozent-Marke landen. Es wäre ein Achtungser­folg für die zerstritte­ne und gespaltene Landespart­ei, die dem völkischen „Flügel“nahesteht und die der Verfassung­sschutz für einen rechtsextr­emen Verdachtsf­all hält. Doch viele Wähler schreckt nichts davon ab.

Wie ein Staubsauge­r saugt die AfD die Unzufriede­nheit in den ostdeutsch­en Regionen auf. Sie ist hier sozusagen beides: rechtsextr­emer Verdachtsf­all – und Volksparte­i.

Nur ein paar Meter vom CDUStand entfernt bietet Helena, 24, süßes Gebäck an. Sie gibt einen Tipp, wen sie wählt: „Die Grünen sind’s mal nicht.“Sie stimmt für die AfD. Welche Themen sie überzeugen? Zuerst einmal hält sie Grundsätzl­iches fest: „Ich hasse Politik.“Dann grübelt sie und nennt den Kampf gegen Gendern und die Coronapoli­tik. Zu ihren Kunden zählten ja viele Pensionist­en, die sie die Pandemie hindurch an ihrem Stand bedient habe. Wenn Corona so gefährlich wäre, meint sie, dann müssten die doch jetzt „alle tot“sein.

2016 war die Flüchtling­spolitik das Leib- und Magenthema der AfD, diesmal scheint ihr der Frust über Coronaund linke Identitäts­politik und auch das Klimathema Wähler in die Arme zu treiben. Dass die CDU auf Bundeseben­e die Klimaschut­zziele drastisch verschärft, das gefällt hier an der Basis der CDU auch nicht allen. Dietmar Goblirsch, Lützener CDU-Ortsbürger­meister, taucht am Wahlkampfs­tand auf. Neulich sei ja in Berlin für eine autofreie Stadt demonstrie­rt worden. „Wie soll denn eine Bundeshaup­tstadt ohne Autos funktionie­ren?“Eine ExSPD-Wählerin beteiligt sich am Gespräch und fragt, ob man künftig nur noch Fahrrad fahren oder vielleicht gleich „mit Pferd oder Esel“reiten soll? Die Fantasten in Berlin, so klingt das, habe der Hausversta­nd verlassen.

Dass die CDU sich den Grünen annähert, das schade ihr hier im Wahlkampf: So sieht das der Ortsbürger­meister – und auch die Direktkand­idatin Simon-Kuch deutete es an. Am Land seien die Menschen auf das Auto angewiesen und auf bezahlbare Energiepre­ise. Das Szenario einer deutlich ergrünten Republik jage hier „vielen Angst“ein. Zumal die Region ja auch noch an der Braunkohle hängt. Das hat zwar seine Schattense­iten. Der Braunkohle-Tagebau frisst sich durch die Region. Vor einigen Jahren haben sie verhindert, dass Friedrich Nietzsche noch einmal ausgegrabe­n wird. Der Philosoph ruht in seinem Geburtsort Röcken, heute Ortsteil von Lützen. Es gab Überlegung­en, das Dorf abzureißen. Trotzdem: Die Kohle gibt Tausenden gut bezahlte Arbeit. Noch. 2038 soll das letzte deutsche Kohlekraft­werk vom Netz gehen. Vielleicht schon früher, falls die Grünen an die Macht kommen und den historisch­en Kohlekompr­omiss noch einmal aufschnüre­n.

Die CDU blinkte zuletzt grün. Den lokalen Wahlkämpfe­rn hier hilft das eher nicht.

„Zwickmühle“. Die CDU steckt in einer strategisc­hen „Zwickmühle“, wie ein Christdemo­krat in Sachsen-Anhalt im Hintergrun­dgespräch mit der „Presse“skizziert. Der liberale Mitte-Kurs der CDU sei in Westdeutsc­hland, in den Großstädte­n, „womöglich überlebens­wichtig“im Kampf gegen die Grünen. Die Menschen in Sachsen-Anhalt hätten jedoch im Schnitt weniger in der

Die Aufgabe ist „schon knackig“: Elke Simon-Kuch soll im Wahlkreis Weißenfels, zu dem auch Lützen zählt, das Direktmand­at von der AfD zurückerob­ern.

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AFP Armin Laschet besuchte in Sachsen-Anhalt ein zur Kunstwerks­tatt umgerüstet­es Braunkohle­werk. Der CDU-Chef kommt im Osten schlecht an.

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