Zweite Chance – Wie sich Pleitiers aus der
Viele Unternehmen kämpfen um ihr Überleben. Nicht alle werden es schaffen. Doch das ist nicht das Ende der Welt. Schon die ganz Großen haben eine Insolvenz hinter sich. Ein Plädoyer für das Scheitern.
Ich habe den Gästen leidgetan und ich habe mir selbst leidgetan“, erzählt Martina Postl unter Tränen davon, wie die Coronapandemie ihr Cafe´ an den Rand der Existenz gedrängt hat. Zwar haben Unternehmen während der Coronakrise die Sozialund Steuerbeiträge gestundet bekommen, aber nach so vielen Monaten ohne Umsatz, konnte Postl die Ratenzahlungen nicht mehr bedienen. Dabei lief alles so gut. Im Dezember 2016 hatte sie die ehemalige verqualmte Spielhöhle im 16. Bezirk übernommen und zu einem familienfreundlichen Kaffeehaus umgewandelt. Die ersten drei Jahre schrieb sie planmäßige Anlaufsverluste. Und schon allein im Jänner und Februar 2020 nahm sie mehr als die Hälfte des Gewinns ein, der für das ganze Jahr kalkuliert war. „Das Cafe´ geht wie die Hölle“, sagte die ehemalige Bankerin zur „Presse am Sonntag“. Doch dann kam Mitte März 2020 der erste Lockdown. Der hat sie kalt erwischt. Ihr ganzes Geld hatte sie in ihren 35 Jahre lang gehegten Traum investiert. Ihre Reserven waren aufgebraucht.
Normalerweise würden kleine Geschäfte nicht so große Reserven brauchen, sagt Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel. Wenn sie fünf Prozent mehr verdienen als sie ausgeben, reiche das. Reserven für so eine Krise hätten nur die ganz Großen. „So ein Stopp der Wirtschaft ist unvergleichbar“, sagt Stiefel mit Blick in die Geschichte. Der emeritierte Professor für Wirtschaftsund Sozialgeschichte an der Universität Wien spricht von zwei großen Pleitewellen in Österreich. Einmal 1871 und einmal in den 1930er-Jahren. In den vom Krieg geprägten Zeiten war der Konsum stark zurückgegangen. „Nun hätte man die Wirtschaft nicht so weit runterfahren dürfen.“
Als Postl das Wort Insolvenz zum ersten Mal hörte, dachte sie: „Ist das alles wirklich notwendig?“Sie ist tieftraurig. Aber sie begreift auch, dass es notwendig ist. „Ich habe eine Verantwortung als Geschäftsführerin.“Seit Mai ist das Sanierungsverfahren abgeschlossen. Innerhalb von zwei Jahren muss sie 20 Prozent ihrer Schulden zurückbezahlen. Fünf Prozent wurden direkt beim Abschluss des Verfahrens bezahlt. Es folgen jeweils fünf Prozent nach zwölf, 18 und 24 Monaten. Die Gläubiger haben dem Verfahren einstimmig zugestimmt. Denn bei einer Zerschlagung der Gesellschaft würden sie wahrscheinlich weniger von ihrem Geld zu sehen bekommen. Die Gläubiger sind in ihrem Fall die Gebietskrankenkassen und das Finanzamt. Bei Lieferanten hat sie kaum Schulden.
„Das Verfahren lief sehr professionell ab und ich habe viel Feedback bekommen“, versichert Postl. Sie empfiehlt es auch anderen Unternehmen, die derzeit straucheln. Sie sei die erste Gastronomin, die während Corona ein Sanierungsverfahren eingeleitet hat. „Die Gastronomen retten sich jetzt mit den staatlichen Stützen drüber, aber das große Erwachen kommt im Sommer und Herbst.“
Der Staat greift ein. Wie nie zuvor hat der Staat in das Pleitegeschehen eingegriffen. Das Aussetzen der Antragspflicht bei einer Überschuldung hat dazu geführt, dass Firmen in Schieflage mit der Insolvenzanmeldung zu lang warten, sagt der Chef des Gläubigerschutzverbands KSV1870, RicardoJose´ Vybiral. Die Insolvenzzahlen haben sich von einer normalen Entwicklung völlig abgekoppelt. „Sie wurden politisch geschaffen und das bedeutet minus 40 Prozent im Vorjahr und minus 58 Prozent im ersten Quartal 2021.“Für dieses Jahr erwartet der KSV 20 Prozent mehr Insolvenzen als vor dem Ausbruch des Virus. 2019 gingen 5018 Unternehmen Pleite. Die Arbeit von 17.200 Menschen war davon betroffen. „In normalen Zeiten ist der Grund für eine Pleite fast immer ein Managerfehler“, sagt Historiker Stiefel.
Chocolatier und Gründer der Zotter Schokoladen Manufaktur
„Die Unternehmer überschätzen sich, spekulieren oder ihnen fehlt genügend Kapital“, erklärt der Historiker. Auch jetzt sind nicht alle Pleiten auf Corona abzuwälzen. Ende Juni laufen die Coronahilfen der Regierung aus. „Für viele Unternehmen wird es knapp“, sagt Vybiral.
„Erst kannst du die Leute nicht bezahlen, dann die Steuern und dann wird es immer bedrohlicher“, erinnert sich Josef Zotter an 1996. „Als Unternehmer ist man ein bisschen naiv und verdrängt.“1987 hatte er als motivierter Jungunternehmer sein erstes Cafe´ gegründet. Schnell folgten drei weitere Lokale – alles mit Kredit. „Dann hab’ ich den Überblick verloren“, gesteht der ausgebildete Koch und Kellner ganz offen.
Am Montag hatte er den Insolvenzantrag abgegeben und am Dienstag stand in allen Zeitung „Nobelkonditor geht Konkurs“. „Die Leute haben einen großen Bogen um mich gemacht“, sagt er lachend. Jetzt kann er es locker sehen. Damals hat das seine Familie sehr belastet. Sein Vater hat sich nicht mehr in die Kirche getraut.
»Nun hätte man die Wirtschaft nicht so weit runterfahren dürfen.« »Unternehmer überschätzen sich, spekulieren oder es fehlt genügend Kapital.«
Es war die schwerste Zeit seiner Karriere, aber auch die lehrreichste. „Wir brauchen eine Kultur des Scheiterns“, fordert Zotter. Es nütze nichts, etwas zu vertuschen. Man dürfe ruhig das Wort Pleite in den Mund nehmen „Du musst es dir auch eingestehen. Man kann nicht den Banken, den Lieferanten und allen anderen die Schuld geben.“
„Vorher kennt man niemanden, der Pleite war und danach fallen dir ganz viele ein“, sagt Zotter und verweist auf Jeff Bezos. Der
Gründer und Geschäftsführer von Amazon stand mit seiner Handelsplattform anfangs oft
auf der Kippe. Seine Suchmaschine A9 wurde kein Erfolg. Auch der MicrosoftGründer Bill Gates setzte seinen Straßenverkehrszähler Traf-O-Data in den Sand.
Auch die ersten Projekte von Staubsauger-Mogul James Dyson und der verstorbene Apple-Chef Steve Jobs schlugen fehl. Man könnte noch viel mehr Millionäre und Milliardäre aufzählen, die zuerst auf die Nase fielen und dann
Das Caf´e Ritter Ottakring hat Martina Postl erst im Dezember 2016 eröffnet. Der ganze Bezirk hat Gutscheine gekauft, damit es Corona überlebt.
Wirtschaftsgeschichte schrieben.
So auch Josef Zotter. „Jetzt steht ein geiles Unternehmen da“, sagt der Chocolatier und Gründer der Zotter Schokoladen Manufaktur stolz. „Was ich damals an Schulden hatte, zahlen wir heute an Steuern im Quartal. Damals waren wir 50 Mitarbeiter, heute sind wir über 200.“Nach dem Aus seines ersten Unternehmerlebens, wie er es nennt, begann sein zweites. Im Kuhstall seines Vaters begannen seine Frau und er noch einmal von vorn. Mit ihr ist er seit über 34 Jahren verheiratet. Es war vor allem seine Familie, die ihm Kraft gegeben hat.
Das Emotionale belastet. „Bei mir hat es in einer Scheidung geendet“, sagt Damian Izdebski. Sein ComputerFachhändler DiTech war zunächst die Erfolgsgeschichte in Österreich. „Mit einer Milliarde Umsatz und fast 400 Angestellten wurde ich als SuperMigrant gefeiert“, sagt der in Polen geborene Unternehmer. Politiker schüttelten ihm reihenweise die Hand. Als er 2014 wegen Liquiditätsproblemen in die Insolvenz schlitterte, wurde er zur Persona non grata. Die gesellschaftliche Ausgrenzung war hart für ihn und seine Familie. „Das sind emotionale Rückschläge, die schwer zu verkraften sind. Die belasten zusätzlich.“
Es werde einem in Österreich nicht leicht gemacht. „Die Österreicher neigen dazu, nur noch die Pleite zu sehen. Dann wirst du behandelt wie ein Verbrecher. Was du vorher geschaffen hast, zählt nicht mehr“, klagt Izdebski.
In den USA ist das anders. Dort gebe es Investoren, die ausschließlich in Unternehmer investieren, die erfolgreich waren und gescheitert sind. Die Wahrscheinlichkeit beim zweiten Unternehmen erfolgreich zu sein, sei viel größer. „Bei uns wird das so gesehen, wenn du einmal gescheitert bist, wirst du ein zweites Mal scheitern. Das ist totaler Blödsinn und irrational. Das würde implizieren, dass wir nicht aus unseren Fehlern lernen. Aber das tut ja der Mensch.“In den USA hatte der Unternehmer nach seiner Pleite auch die Idee zu seinem Buch „Meine besten Fehler“. Darin gibt er seine Erfahrungen weiter.
Doch wie sollte es für ihn weitergehen? 8000 Euro musste er im Monat zurückzahlen. Ohne Reserven und ohne Job schien das unmöglich. AMS kam für ihn nicht in Frage. „Ich war gewohnt 70 bis 80 Stunden die Woche zu arbeiten.“Also gründete er ein neues Unternehmen namens Techbold, ein Dienstleister, der sich als Brandschutzunternehmen in sämtlichen IT-Belangen sieht. Von Freunden und Familie sammelte er Geld zusammen. Denn anfangs wollten ihm Banken nicht einmal ein Konto geben. „Du bist auf einer roten Liste. Man wird schlechter behandelt als jemand, der mit 20 Jahren sein erstes Unternehmen gründet.“Dabei sind für ihn gescheiterte Manager die besseren Manager.
Mit fast 70 Mitarbeitern und zehn Millionen Euro Umsatz ist sein Unternehmern in der Krise profitabel. „Das klingt zynisch, aber ich kann eine Insolvenz jedem empfehlen.“Fachlich würde man bei einer Insolvenz so viel lernen wie sonst nie im Geschäft. „Es war eine teuer bezahlte Lektion.“Wie Zotter ist auch er zu schnell gewachsen. Und es sei ein Fehler gewesen, alles allein finanzieren zu wollen. Den Großteil seiner Schulden hat er schon beackert. Noch immer stehen 100.000 Euro aus.
Für Marcus Mautner Markhof, Eigentümer der Grieskrichner Brauerei, ist das Stigma nicht so groß. Während der Coronakrise bringt man ihm mehr Verständnis entgegen. Über Nacht sind im 73 Prozent des Umsatzes weggebrochen. „Die Wirte sind uns treu geblieben und die Lieferanten waren nachsichtig. Auch die eigene Mannschaft hat geholfen, die Firma zu retten. Obwohl sie Monate auf ihr Gehalt warten mussten, haben sie mit angepackt. Dem zolle ich größten Respekt.“
Die Brauerei steckte mitten in der Umstrukturierung als der erste Lockdown kam. Im Herbst 2020 meldete Mautner Markhof ein Sanierungsverfahren an und nahm sich die NiemetzRettung zum Vorbild, wo die Insolvenz einen regelrechten Kaufrausch bei Schwedenbomben auslöste. Vielen sei der Unterschied zwischen einem Konkurs und einer Sanierung nicht klar, erklärt der Unternehmer, der das Traditionsunternehmen
2013 übernahm. „Beim Konkurs ist es richtig aus, bei einer Sanierung gesundet das Unternehmen. Man kann sich aus dem Graben herauskämpfen.“Eine Niederlassung in Tirol wurde geschlossen und auch 37 Prozent des Personals wurde abgebaut, aber jetzt blickt er positiv in die Zukunft.
Auch Cafe´-Besitzerin Postl wurde vom Zuspruch überwältigt. Sie bekam von Stammgästen sogar Geld angeboten und die Lieferanten haben ihr den Rücken gestärkt. Sogar der Bezirksvorsteher (SPÖ) und der Gemeinderat (ÖVP) haben Gutscheine gekauft und im Bezirk verschenkt. So würden vielleicht mehr neue Kunden ins Lokal kommen. „All das hat mir Kraft gegeben“, sagt die Gastronomin. Inzwischen wünscht sie sich nur, das Leben wie vor Corona zurück. Während Manager lernen mit Krisen umzugehen, hat die Gesellschaft vielleicht gelernt zusammenzuhalten – und vor allem zweite Chancen zu geben.
Ab Juli laufen die Coronahilfen nur noch eingeschränkt weiter. „Ich hoffe, dass sich die Leute nicht zu viel auf die Hilfen verlassen“, sagt Zotter. „Viele haben sich vor der Eröffnung sogar gefürchtet. Für die wird es schwierig.“In Zeiten, in denen große Teile der Wirtschaft nicht mehr nach den Regeln des Marktes spielen, muss jeder sein Geschäft individuell prüfen, sagt der Gläubigerschützer Vybiral. In einer Umfrage des KSV blicken befragte Unternehmen hoffnungsfroh auf die kommenden drei Jahre. Die aktuelle Geschäftslage klassifizieren 45 Prozent als sehr gut oder gut. Auch der Gründeresprit bleibt erhalten. Weder die Daten der Wirtschaftskammer (WKO) noch des KSV weisen rückläufige Gründungsdaten auf. Izdebski sieht inzwischen wie die Start-up-Bewegung mit Business Angels eine andere Stimmung ins Land bringen. Sie gehen anders mit dem Scheitern um.
So positiv diese Ergebnisse auch sind, fehlende Umsätze wird nicht jeder wettmachen können. Immerhin sind die Gehälter durch Kurzarbeit etwas erhalten worden. Auch die hohe Sparquote könnte auf mehr Konsum hindeuten. „Doch in Krisenzeiten sparen Menschen lieber und warten ab, bis alles vorbei ist“, erklärt Stiefel. Keiner weiß, wann das sein wird. Aber eine Pleite ist kein Schande.
»Das sind emotionale Rückschläge, die schwer zu verkraften sind.«