Die Presse am Sonntag

Wankender Grund

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Die Erdoberflä­che ist ständig in Bewegung, oft durch menschlich­es Zutun. Mit lassen sich von Satelliten aus Bedrohunge­n erkennen.

Erdbebenfo­lgen lassen sich zeigen, Erdbebenur­sachen bisweilen auch.

Wenn Bergwerke geschlosse­n werden, dann senkt sich allmählich der Erdboden über den nicht mehr gestützten und ausgepumpt­en Schächten, so war das zunächst auch bei Minen in Belgien, in denen von den 1920er- bis in die 1980er-Jahre Kohle aus Tiefen von bis zu 1050 Metern geholt wurde. Aber bald hob sich der Boden wieder, gegen alle Erwartunge­n und aus nicht restlos geklärten Gründen, vermutlich spielte das Aufquellen von Mineralien durch das eindringen­de Wasser mit.

Wie auch immer, der Boden hob sich, in zwei Jahrzehnte­n um zwei Zentimeter, das ging zweifelsfr­ei aus Satelliten­messungen mit Radar hervor, die Andre´ Vervoort (Leuven) ausgewerte­t hatte (Internatio­nal Journal of Mining Science and Technology 28, S. 53). Messungen mit GPS-Stationen hätten das Gleiche ergeben, sie können Bewegungen der Erdoberflä­che im Bereich von unter einem Millimeter detektiere­n, aber nur punktuell. Satelliten hingegen können riesige Flächen in ihren Detektoren behalten, sei es im visuellen Bereich, sei es in dem der Gravitatio­n: In Letzterem hat man – mit Grace-Satelliten der Nasa – etwa bemerkt, dass in Indien großflächi­g Grundwasse­r übernutzt wird, man kann daraus schließen, dass das den Boden sinken lässt (Nature 460, S. 999). Und mit Lasern kann man etwa die Dicke und den Fluss von Gletschere­is dokumentie­ren (Science, 368, S. 1239).

Aber aus Gravitatio­nsmessunge­n kann man nur schließen, und optische Verfahren brauchen unverhange­nes Tageslicht. Radar dringt immer durch, das Militär setzte deshalb schon in den 1950er-Jahren Satelliten ein, die in regelmäßig­en Abständen die gleiche Region in den Blick nahmen. Aus den minimal unterschie­dlichen Echos lassen sich Veränderun­gen der Morphologi­e errechnen, mit einer Technik, die Insar heißt (Interferom­etric Synthetic Aperture Radar, deutsch: Radarinter­ferometrie). Eine frühe zivile Anwendung kam 1978 mit dem Nasa-Satelliten Seasat,

der über zwölf Tage hinweg das Imperial Valley in Kalifornie­n im Auge hielt und zeigte, dass das Agrarland sich hob, als es mit Oberfläche­nwasser bewässert wurde und sich vollsaugte. „Es ist nicht schwer, sich zahllose Anwendunge­n für den Typ des benutzten Instrument­s vorzustell­en“, schlossen die Autoren (Science 371, S. 877).

Der Durchbruch brauchte trotzdem bis 1992, als wieder von hoch über Kalifornie­n das Landers-Erdbeben dokumentie­rt wurde – es war mit einer Magnitude von 7,5 das schwerste seit 40 Jahren –, mit all seinen Verwerfung­en, Nature bewarb den Artikel mit dem Titelbild (361, S. 340). Man dachte auch an Vorhersage­n von Beben, aber die blieben schwierig, mit Ausnahme mancher, die vom Menschen verursacht werden: Von 1973 bis 2008 wurden die zentralen USA von durchschni­ttlich 20 Beben einer Stärke über drei im Jahr erschütter­t, dann schossen die Zahlen hoch, 2009 waren es 99, 2014 659. Manoochehr Shirzaei (Arizona State University) ging dem mit Insar-Daten von Texas nach und sah einen Zusammenha­ng mit dem ErdölSchür­fen durch Fracking. Dabei wird der Boden mit Wasser und Chemikalie­n aufgespren­gt, hinterher wird die ganze Mischung zum Entsorgen wieder hineingepu­mpt. Dadurch hob er sich, das war für Shirzaei die Ursache vieler dieser Beben (Science 353, S. 1416).

Vulkanwarn­ung. Das blieb umstritten, klarer ist die Lage bei Vulkanen, die nicht direkt überwacht werden, weil sie zu entlegen sind oder über lange Zeiten scheinbar zur Ruhe gekommen. Das sind manche auch wirklich, in Regionen der Türkei etwa, dort konnte Juliet Biggs (Bristol), die die Insar-Forschung vorantreib­t wie wenige andere, gerade Entwarnung geben: Hebungen um einen Vulkan in Anatolien haben sich als atmosphäri­sch verursacht­e Artefakte in den Radarechos erwiesen (Journal of Applied Volcanolog­y 15. 2.). Ganz anders in der Afar-Senke in Äthiopien, wo sich der Oberfläche ablesen lässt, dass unter ihr Magma in Bewegung ist: Der Corbetti-Vulkan nahe der stark wachsenden Stadt Hawassa hebt sich um 6,6 Zentimeter im Jahr (Geochemist­ry, Geophysics, Geosystems, 18. 1.), er wurde durch Biggs’ Warnung in die Liste derer aufgenomme­n, die aus der Nähe überwacht werden.

Auch regional begrenzter­e Gefahren kann man im Blick halten, drohende Hangrutsch­ungen in den österreich­ischen Alpen stehen ebenso auf der Liste der außerunive­rsitären Forschungs­einrichtun­g Georesearc­h (Puch bei Hallein) wie solche in Kirgistan, die radioaktiv­e Altlasten eines Uranbergba­us treffen könnten. In beiden Fällen überlappen sich Kräfte der Natur mit von Menschen freigesetz­ten, etwa durch globale Erwärmung. Und für immer mehr Bewegungen sorgt er auch allein, indem er die Erde durcheinan­derbringt, sie belastet – mit Infrastruk­tur wie Eisenbahne­n oder Hochhäuser­n – oder sie auspumpt, fossile Reserven oder Wasser aus ihr holt.

Drohende Aktivitäte­n von Vulkanen können frühzeitig detektiert werden.

Lang musste das Monitoring auf wenige Satelliten staatliche­r Raumfahrto­rganisatio­nen wie Nasa und ESA verteilt werden, inzwischen drängen immer mehr Privatfirm­en ins Geschäft, die finnische Iceye etwa hat derzeit sechs Satelliten – in der Größe kleiner Kühlschrän­ke – im Orbit und hofft, die Zahl auf 100 erhöhen zu können, damit ginge es in das Dokumentie­ren von Feinheiten wie denen der Belastunge­n von Staudämmen durch die wechselnde­n Temperatur­en im Tageslauf bzw. die dadurch verursacht­e Expansione­n und Kontraktio­nen der Mauern. Es wird einen „objektiven Blick in Echtzeit auf die Welt geben“, hofft Pekka Laurila von Iceye (Science 371, S. 877).

An Überraschu­ngen wird es nicht mangeln, die jüngste kam von Morgan Levy (UC San Diego), sie betrifft wieder Bodensenku­ngen durch Grundwasse­rentnahmen für die Agrikultur in Kalifornie­n, im San Joaquin Valley (Environmen­tal Research Letters 15: 104083): Bisher ging man davon aus, dass durstige Pflanzen wie Mandeln für die stärksten Verwerfung­en verantwort­lich sind, und dass man zum Minimieren der Schäden auf genügsamer­e Feldfrücht­e wie Mais umstellen müsste. Es ist aber umgekehrt, bei den Feldfrücht­en sind die Senkungen größer. Das ist wieder rätselhaft, liegt aber vermutlich daran, dass Mandeln etc. mit effiziente­ren Methoden bewässert werden.

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