Die Faszination des runden Leders
Lang hielt man Literatur über Fußball für Schund. »Die Presse am Sonntag« tritt den Gegenbeweis an. Seit Nick Hornbys »Fever Pitch« hat sich viel getan – auch in Österreich.
Es war einmal ein armer kleiner Bub, der war kaum sieben Jahre alt, aber schon loderte in ihm eine Leidenschaft: er liebte den Fußball über alles.“Mit diesen Worten beginnt Ödön von Horva´ths Sportmärchen „Legende vom Fußballplatz“, das 1925 in der satirischen Wochenzeitschrift „Simplicissimus“erschien.
In dem Text wohnt der Bub einem überirdisch guten Match bei. „Das Spiel hatte begonnen um nimmermehr beendet zu werden und die Zweiundzwanzig spielten wie er noch nie spielen sah.“Bloß hat das Ganze einen Haken. Denn das Märchen endet so: „Seit dieser Zeit hat niemand mehr den armen kleinen Buben auf einem irdischen Fußballplatze gesehen.“Mit anderen Worten, der kleine Bub hat sich beim Zuschauen den Tod geholt. Horva´ths Märchen spiegelt die kritische Sicht des Autors auf das Massenphänomen Fußball, insbesondere dessen passive Konsumenten, wider.
Aber wie sieht es bei zeitgenössischen Autoren aus? Wie erzählen sie ihre Geschichten über das runde Leder? Im Folgenden ein kleiner Überblick über Literatur, die sich durchaus erfolgreich der Faszination des Fetzenlaberls widmet.
Früher lieblos behandelt. Weniger pessimistisch als Horva´th, sondern vielmehr aus der Sicht eines leidenschaftlichen Fans schrieb der Brite und Arsenal-Anhänger Nick Hornby Anfang der 1990er-Jahre seinen Bestseller „Fever Pitch“. Der Autor ließ sich dabei auch nicht von unzähligen Verlagen abschrecken, die meinten, dass sich Fußballbücher nicht verkaufen würden. Diese standen unter dem Generalverdacht, „schlampig zusammengeschmierte Ghostwriter-Autobiografien“zu sein. Bloß sei damals, so Hornby, offenbar niemand auf die Idee gekommen, dass diese lieblose Behandlung, und nicht der sportliche Inhalt, der Grund für das Ladenhütertum einschlägiger Bücher gewesen sei.
Der bereits verstorbene uruguayische Schriftsteller Eduardo Galeano, ebenfalls ein Fußballenthusiast, hat mit „Der Ball ist rund“eine Hommage an den Fußball als volksnahes Spektakel verfasst – bissige Seitenhiebe gegen die profitorientierte Fußballindustrie inklusive. „Fußball“des belgischen Autors Jean-Philippe Toussaint schlägt in dieselbe Kerbe: Das Buch ist zwar eine Liebeserklärung an die Sportart, andererseits illustriert es auch anhand der Fußball-EM 2016, wie aus einer Veranstaltung, die einst nur wahre Fans in die Stadien lockte, ein beliebiges kommerzielles Spektakel wurde.
Underdogs als Helden. Auch klassische Underdog-Geschichten lassen sich anhand der Schicksale von FußballMannschaften perfekt erzählen. David Peace zeichnet etwa in „Damned United“schwarzhumorig die 44 unglücklichen Tage von Brian Clough als Trainer des englischen Erstligavereins Leeds United nach. J. L. Carr wiederum schildert in „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“auf höchst unterhaltsame Weise den Weg einer winzigen Dorfmannschaft bis ins Finale des traditionellen FA-Cups – des ältesten Fußballwettbewerbs der Welt – im Wembley-Stadion in London. Und in „Dezemberkids“der algerischen Autorin Kaouther Adimi versucht eine Gruppe von Kindern, einen Fußballplatz zu retten. Dafür legen sich die Jugendlichen sogar mit dem korrupten politischen System des Landes an.
Arnautovi´c als Vorbild. Und Österreich? Viele wollen in der Hauptfigur des Profifußballers Ivo in Tonio Schachingers 2019 für den Deutschen Buchpreis nominierten Roman „Nicht wie ihr“den realen Marko Arnautovic´ erkennen. Das Buch sei auch ein Roman für Fußballfans, schrieb die „Presse“nach dessen Erscheinen. Die Betonung liegt auf „auch“. Womit sich wieder einmal Nick Hornbys Worte bestätigen: Auch Fußballromane funktionieren nur dann, wenn sie relevante Geschichten erzählen.
Abschließend noch einmal zurück zu Horva´th. Sollte sich also das rotweiß-rote Sommermärchen heuer tatsächlich erfüllen: Vorsicht! Man denke an die Doppelbödigkeit des Autors. Vielleicht war alles nur ein Traum!
Tonio Schachinger Nicht wie ihr Kremayr & Scheriau 304 Seiten
22,90 Euro
TB 12,90 Euro
Nick Hornby
Fever Pitch
Übersetzt von
Ingo Herzke Kiepenheuer & Witsch 336 Seiten
9,90 Euro