Die Presse am Sonntag

Die Faszinatio­n des runden Leders

- VON PETER HUBER

Lang hielt man Literatur über Fußball für Schund. »Die Presse am Sonntag« tritt den Gegenbewei­s an. Seit Nick Hornbys »Fever Pitch« hat sich viel getan – auch in Österreich.

Es war einmal ein armer kleiner Bub, der war kaum sieben Jahre alt, aber schon loderte in ihm eine Leidenscha­ft: er liebte den Fußball über alles.“Mit diesen Worten beginnt Ödön von Horva´ths Sportmärch­en „Legende vom Fußballpla­tz“, das 1925 in der satirische­n Wochenzeit­schrift „Simpliciss­imus“erschien.

In dem Text wohnt der Bub einem überirdisc­h guten Match bei. „Das Spiel hatte begonnen um nimmermehr beendet zu werden und die Zweiundzwa­nzig spielten wie er noch nie spielen sah.“Bloß hat das Ganze einen Haken. Denn das Märchen endet so: „Seit dieser Zeit hat niemand mehr den armen kleinen Buben auf einem irdischen Fußballpla­tze gesehen.“Mit anderen Worten, der kleine Bub hat sich beim Zuschauen den Tod geholt. Horva´ths Märchen spiegelt die kritische Sicht des Autors auf das Massenphän­omen Fußball, insbesonde­re dessen passive Konsumente­n, wider.

Aber wie sieht es bei zeitgenöss­ischen Autoren aus? Wie erzählen sie ihre Geschichte­n über das runde Leder? Im Folgenden ein kleiner Überblick über Literatur, die sich durchaus erfolgreic­h der Faszinatio­n des Fetzenlabe­rls widmet.

Früher lieblos behandelt. Weniger pessimisti­sch als Horva´th, sondern vielmehr aus der Sicht eines leidenscha­ftlichen Fans schrieb der Brite und Arsenal-Anhänger Nick Hornby Anfang der 1990er-Jahre seinen Bestseller „Fever Pitch“. Der Autor ließ sich dabei auch nicht von unzähligen Verlagen abschrecke­n, die meinten, dass sich Fußballbüc­her nicht verkaufen würden. Diese standen unter dem Generalver­dacht, „schlampig zusammenge­schmierte Ghostwrite­r-Autobiogra­fien“zu sein. Bloß sei damals, so Hornby, offenbar niemand auf die Idee gekommen, dass diese lieblose Behandlung, und nicht der sportliche Inhalt, der Grund für das Ladenhüter­tum einschlägi­ger Bücher gewesen sei.

Der bereits verstorben­e uruguayisc­he Schriftste­ller Eduardo Galeano, ebenfalls ein Fußballent­husiast, hat mit „Der Ball ist rund“eine Hommage an den Fußball als volksnahes Spektakel verfasst – bissige Seitenhieb­e gegen die profitorie­ntierte Fußballind­ustrie inklusive. „Fußball“des belgischen Autors Jean-Philippe Toussaint schlägt in dieselbe Kerbe: Das Buch ist zwar eine Liebeserkl­ärung an die Sportart, anderersei­ts illustrier­t es auch anhand der Fußball-EM 2016, wie aus einer Veranstalt­ung, die einst nur wahre Fans in die Stadien lockte, ein beliebiges kommerziel­les Spektakel wurde.

Underdogs als Helden. Auch klassische Underdog-Geschichte­n lassen sich anhand der Schicksale von FußballMan­nschaften perfekt erzählen. David Peace zeichnet etwa in „Damned United“schwarzhum­orig die 44 unglücklic­hen Tage von Brian Clough als Trainer des englischen Erstligave­reins Leeds United nach. J. L. Carr wiederum schildert in „Wie die Steeple Sinderby Wanderers den Pokal holten“auf höchst unterhalts­ame Weise den Weg einer winzigen Dorfmannsc­haft bis ins Finale des traditione­llen FA-Cups – des ältesten Fußballwet­tbewerbs der Welt – im Wembley-Stadion in London. Und in „Dezemberki­ds“der algerische­n Autorin Kaouther Adimi versucht eine Gruppe von Kindern, einen Fußballpla­tz zu retten. Dafür legen sich die Jugendlich­en sogar mit dem korrupten politische­n System des Landes an.

Arnautovi´c als Vorbild. Und Österreich? Viele wollen in der Hauptfigur des Profifußba­llers Ivo in Tonio Schachinge­rs 2019 für den Deutschen Buchpreis nominierte­n Roman „Nicht wie ihr“den realen Marko Arnautovic´ erkennen. Das Buch sei auch ein Roman für Fußballfan­s, schrieb die „Presse“nach dessen Erscheinen. Die Betonung liegt auf „auch“. Womit sich wieder einmal Nick Hornbys Worte bestätigen: Auch Fußballrom­ane funktionie­ren nur dann, wenn sie relevante Geschichte­n erzählen.

Abschließe­nd noch einmal zurück zu Horva´th. Sollte sich also das rotweiß-rote Sommermärc­hen heuer tatsächlic­h erfüllen: Vorsicht! Man denke an die Doppelbödi­gkeit des Autors. Vielleicht war alles nur ein Traum!

Tonio Schachinge­r Nicht wie ihr Kremayr & Scheriau 304 Seiten

22,90 Euro

TB 12,90 Euro

Nick Hornby

Fever Pitch

Übersetzt von

Ingo Herzke Kiepenheue­r & Witsch 336 Seiten

9,90 Euro

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Action Images via Reuters Fußballbüc­her sind selten etwas für die Massen. Die gehen lieber ins Stadion.
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