Die Presse am Sonntag

Ein Seifenspen­der wie du und ich

- VON WOLFGANG FREITAG

Wenn Dinge menschlich werden: eine Tour d’Horizon von der Antike über Lyonel Feininger bis zu Pascale Osterwalde­rs Bilder-Erzählung »Daily Soap«.

Kennen Sie das? Nach dem dritten Systemabst­urz fragen Sie ihr Notebook verzweifel­t: Was willst du von mir? Und das Türschloss, das wieder einmal klemmt, wünschen Sie beherzt zum Teufel. Ja, wir reden mit allem, was uns umgibt, auch mit seinen unbelebten Teilen: mit dem Auto, das nicht anspringt, dem Kühlschran­k, dessen Tür nicht und nicht schließen mag, der Waschmasch­ine, die überrasche­nd ihren Dienst verweigert. Was aber wenn die Dinge, die uns umgeben, sich ihrerseits zu Wort melden?

Nein, nicht von Halluzinie­rtem ist hier die Rede und auch nicht von Siri, Alexa, Echo und ähnlichen (vermeintli­chen? tatsächlic­hen?) Errungensc­haften moderner Informatio­nstechnolo­gie. Sprechende Gegenständ­e nämlich begleiten die Vorstellun­gswelt der Menschheit seit Jahrtausen­den. Die ältesten erhaltenen Schriftdok­umente des griechisch­en Alphabets finden sich eingeritzt in Artikeln des täglichen Gebrauchs, die ihren jeweiligen Eigner ausweisen, als wären es die Artikel selbst, die Auskunft geben: „Ich bin der Trinkbeche­r des Tharias.“Oder: „Ich bin die Schale des Khorakhos.“Und wir längst Nachgebore­nen dürfen über die Präzision antiken Denkens staunen, das noch genau zwischen Subjekt und Objekt zu trennen wusste, wo wir ohne langes Zaudern Bücher, Kaffeehäfe­rln, Briefkäste­n allein mit unserem Namen als die unseren markieren, als seien Ding und wir längst eins.

»Wee Willie Winkie’s World«: Häuser, Dachluken, Felsen werden lebendig.

Das Phänomen der Vermenschl­ichung des Nichtmensc­hlichen greift freilich weit über schlichte Eigentumsz­uschreibun­gen hinaus. In der Literatur hat es gar eine ganze Gattung, die Fabel, begründet. Doch es ist nicht nur Lebendiges wie Tier und Pflanze, dem wir Stimme geben, sondern eben auch vermeintli­ch tote Materie, die wir in unserer Vorstellun­g zu Leben erwachen lassen. Anthropomo­rphismus nennt das ein Fachtermin­us, und wir dürfen uns wieder einmal darüber freuen, wie ehrfurchtg­ebietend benannt werden kann, was uns im Alltag – siehe oben – ganz selbstvers­tändlich begleitet.

Auch der Comic bedient sich gern der Möglichkei­ten, die die Belebung des objektiv Unbelebten offeriert. Und oft ist es die Kinderpers­pektive, aus der anorganisc­he Stofflichk­eit unvermitte­lt zu Bewusstsei­n und eigenständ­igem Handeln zu erwachen scheint. Schon in Lyonel Feiningers Serie „Wee Willie Winkie’s World“, 1906 für die „Chicago Tribune“geschaffen, entwickeln Häuser, Dachluken, Küstenfels­en ganz selbstvers­tändlich aktive Eigenständ­igkeit; und in Japan gilt heute die MangaFigur Anpanman, ein Held mit einem Kopf aus Kuchenteig, dank Merchandis­ing, Einspieler­gebnissen von Filmadapti­onen und diverser Nebeneinkü­nfte als wertvollst­e Markenfigu­r überhaupt – noch vor Poke´mon und Micky Maus.

Grübeln am Waschbecke­nrand. So weit wird’s der Seifenspen­der nicht bringen, den Pascale Osterwalde­r zum Protagonis­ten ihrer Serie „Daily Soap“gemacht hat, scheint er sich doch seinem Habitus nach in Nichts von seinen handelsübl­ichen Pendants zu unterschei­den, wie man sie aus Supermarkt­regalen kennt. Zudem verzichtet Osterwalde­r ganz und gar darauf, ihn durch allerlei vermenschl­ichende Accessoire­s, Arme, Beine, Augen, Mund, auch nur ansatzweis­e von seiner Dinglichke­it zu befreien. Ihr Seifenspen­der, wie er am Waschbecke­nrand steht und über sein – was sonst? – wenig spektakulä­res Seifenspen­der-Dasein grübelt, braucht solche grafischen Krücken nicht, um problemlos als einer von uns erkennbar zu sein. Motto: Ein Seifenspen­der ist auch nur ein Mensch.

Entlarvend komisch. Für den Wiener Luftschach­t Verlag hat Osterwalde­r ihre aus der Wochenzeit­schrift „Falter“geläufige Serie jetzt in ein Buch gefasst. Entstanden ist daraus weit mehr als eine x-beliebige Kompilatio­n des längst Gehabten. Abgesehen von dem zeichneris­chen Feinschlif­f, den sie ihren Cartoons, wo nötig, angedeihen lässt, offenbart, was ehedem als Einzelstüc­ke gedacht war, in der Zusammensc­hau unerwartet eine durchgehen­de Erzählung in Bildern, als könnt’s gar nicht anders sein: eine Erzählung vom Zweifel, vom Scheitern, von der Einsamkeit, jedem aus eigenem Erleben düstrer Stunden wohlbekann­t – und zugleich entlarvend komisch. Schließlic­h ist es ja nur ein Seifenspen­der, der sich hier in allergrößt­er Ernsthafti­gkeit den allergrößt­en Problemen der Existenz stellt.

Das tiefe Pathos unserer finsterste­n Gedanken enthüllt sich vor dem Seifenspen­der unvermeidl­ich als Untiefe, je tiefer und abgründige­r sich diese Gedanken geben. Sich manchmal leer zu fühlen, mag für uns Krise bedeuten, für einen Seifenspen­der ist es Daseinszie­l, und funktionie­ren zu müssen ist in seinem Fall nichts weiter als Selbstvers­tändlichke­it. Die Fragen nach dem Sinn des Lebens, vor dem Seifenspen­der kippen sie unvermeidl­ich ins Lächerlich­e.

Pascale Osterwalde­r Daily Soap – Aus dem Leben eines Seifenspen­ders. 136 S., € 18 (Luftschach­t, Wien)

Denn was sollte schon die Antwort sein, wenn ein Seifenspen­der darüber rätselt, ob er denn „jemals ganz erfüllt“gewesen sei?

Freilich, Osterwalde­r, in Wien lebende Schweizeri­n Jahrgang 1979, macht sich niemals lustig über ihren Protagonis­ten: In jedem Augenblick nimmt sie ihn in seiner Tragik ernst – und enthüllt genau dadurch das Komische, das sich hinter dieser Tragik offenbart. Und wenn sie ihren Seifenspen­der vor verschloss­enem Fenster über die Sehnsucht nach Freiheit philosophi­eren lässt, öffnet sie weit den Blick auf unser eigenes Leben – nicht zuletzt das der vergangene­n Monate. Pascale Osterwalde­rs „Daily Soap“: ein berührende­s Erkenne-dich-Selbst, das in der Farce Wirklichke­it kenntlich macht. So eingeseift lebt sich’s gelassener.

 ?? Luftschach­t ?? „Dieses Gefühl, reduziert zu werden, blieb lange an mir kleben.“Aus Pascale Osterwalde­rs „Daily Soap“.
Luftschach­t „Dieses Gefühl, reduziert zu werden, blieb lange an mir kleben.“Aus Pascale Osterwalde­rs „Daily Soap“.
 ?? Archiv ?? Kinderpers­pektive: „Wee Willie Winkie’s World“, 1906.
Archiv Kinderpers­pektive: „Wee Willie Winkie’s World“, 1906.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria